Unsere Aufgabe ist es jetzt, in die Zukunft zu kucken.
Rocktimes Interview Nach längerer Veröffentlichungs-Pause melden sich die Kult-Metaller Stratovarius mit einem Album zurück, das wieder viel 'klassischer' anmutet als die letzten Outputs der Finnen. Dazwischen liegen nicht nur fünf Jahre Zeit, sondern auch die unsanfte Trennung von Mastermind Timo Tolkki. Wir haben uns mit dem deutschen Stratovarius-Drummer Jörg Michael unterhalten - über persönliche Schlammschlachten, juristische Nachwehen und die Frischzellenkur, welche die Band schließlich neue Kraft schöpfen ließ und zum neuen Album "Polaris" geführt hat.


Interview vom 29.05.2009


Boris Theobald
RockTimes: Auf Polaris klingt die Band so frisch wie lange nicht mehr, beinahe wie neu geboren - entspricht das auch der tatsächlichen Stimmung bei Stratovarius?
Jörg: Ja, das Wort 'frisch' hören wir tatsächlich öfter. Irgendwie haben wir den Stratovarius-Sound mit dem neuen Album ja nicht wirklich neu erfunden. Es ist das, was die Band immer ausgezeichnet hat. Wir sind selber auch Fans der Musik gewesen - spielen seit zwölf, teilweise 15 Jahren in dieser Band. Man merkt aber schon - du benutzt den Begriff 'neu geboren' - dass man auf jeden Fall die Lust wiedererlangt hat. Und das Wort 'frisch' gefällt mir unheimlich gut, weil wir uns tatsächlich auch so gefühlt haben. Wir waren wirklich wahnsinnig froh, dass wir nach dieser langen Zeit ohne Album endlich wieder neue Sachen machen konnten und spielen konnten; und das hört man der Platte natürlich auch an. Und ich empfinde das selber auch so!
RockTimes: Wie würdest Du "Polaris" einordnen im direkten Vergleich mit dem letzten, für mich eher enttäuschenden, uninspiriert klingenden Album und auch den Vorgängern, den "Elements"-Alben?
Jörg: "Elements" war aus meinem Blickwinkel so eine Art 'Masterpiece'. Das war die größte Produktion; da waren ein richtiges Orchester am Werk mit... ich glaub 50 oder 55 Leuten, Chöre und auch ein wahnsinnig aufwändiger Titel-Track - eine Mammut-Produktion, bei der man direkt für zwei Alben produziert hat. Da hat man sicherlich etwas gemacht, was man danach nicht mehr toppen konnte. Man hat diesen Stratovarius-Sound auf irgend 'ne Wolke gehoben - weiter ging's auch nicht mehr; was sollte nach diesem Titeltrack "Elements" noch kommen?

Und von daher war dann auch das Album, was danach kam, total reduziert auf's Wesentliche. Obwohl dir das Album nicht gefällt, finde ich es eigentlich immer noch ganz gut. Was ich aber nicht mehr machen würde, ist, dass man zum Beispiel von vornherein sagt: Wir benutzen jetzt keine Double-Bass-Drums. Warum soll man sich so künstlich schon von vornherein limitieren? Dadurch haben wir gelernt. Insgesamt hab ich auch das Gefühl... dein Wort 'uninspiriert' hat mir gut gefallen... dass die Band sich an was gewagt hat, was sie so vielleicht gar nicht wollte. Das war ein bisschen künstlich. Obwohl ein paar gute Ideen dabei sind, klingt das Album natürlich auch sehr düster und komplett weg von dem ganzen Stil, den Stratovarius 20 Jahre lang hatten.

Und im Verhältnis zu diesen beiden Platten würde ich sagen, mit der neuen hat man ein ganz 'normales' - das soll jetzt nicht negativ klingen... ein ganz normales Stratovarius-Album abgeliefert. Mit ein paar schönen Songs, ohne großartig zu überlegen, einfach diese Musik gespielt, nicht versucht, irgendwie ein großartiges Konzeptalbum zu machen. Man hat sich einfach hingesetzt, hat ein paar süße Songs geschrieben, die hat man versucht, mit Lust und mit Fun und mit Spritzigkeit irgendwie aufzunehmen - und so empfinde ich das Album.
RockTimes: Ist "Polaris" absichtlich 'klassischer', 'back to the roots' geworden, oder ist das einfach so passiert?
Jörg: Das ist ganz automatisch so passiert! Die anderen vier haben sich zuerst in einem Haus in Finnland getroffen Anfang letzten Sommer, da haben die dann einfach mal ein paar Ideen zusammengetragen. Und diese Ideen hat man dann einfach mal zusammenhängend irgendwie aufgenommen; und dann hat man mir das geschickt. Und ich konnte da dann neutral rangehen. Dann haben wir schon mal Fragmente aussortiert - das war gut, das war schlecht. Und dann haben wir gemeinsam die Arrangements im Proberaum erarbeitet - das ist einfach so gekommen.

Wir spielen mit Ausnahme unseres neuen Gitarristen schon sehr lange in dieser Band. Und das schaffst du nicht, wenn du die Musik selber nicht magst. Wir sind eigentlich auch Fans unserer eigenen Band gewesen. Das siehst du zum Beispiel auch an der Solo-Scheibe von Kotipelto oder an der Solo-Scheibe der beiden Johannson-Brüder... das war ja auch nicht so weit weg von Stratovarius, obwohl es meiner Meinung nach nicht ganz die gleiche Qualität hatte bisher. Aber es ging auch in die gleiche Richtung. Und so ist das auch dieses Mal entstanden. Wir hatten natürlich auch 'ne klare Vorgabe - Stratovarius hat immer wirklich sehr, sehr gute Alben gemacht in diesem Stil. Und wenn man unter diesem Namen weiter firmieren möchte, dann kann man nicht auf einmal so 'nen Abklatsch bieten. Deshalb haben wir uns das auch so lange offen gelassen, ob wir überhaupt unter diesem Namen weitermachen wollen.
RockTimes: Das war für euch also nicht von vornherein klar? Tolkki selbst hatte ja nach der unsanften Trennung gesagt, es wäre ehrrührig für ihn, aber auch für euch, noch unter dem Namen Stratovarius weiterzumachen...
Jörg: Das war erst einmal überhaupt nicht klar. Und wenn der Timo Tolkki von Ehre spricht, möchte ich ganz gern wissen, wie er das überhaupt definiert. Aber unabhängig davon war die Sache mit Timo natürlich schon eine Überraschung. Wir haben schon seit 2002, 2003 nach den "Elements"-Aufnahmen öfter mit Timos Krankheit zu tun gehabt. Ihm wurde ja diagnotizert, dass er manisch depressiv ist. Er hat damit ein Problem, und das ist sehr traurig und sehr schade, und aus meiner Sicht haben wir viele Jahre auch versucht, ihm zu helfen, so weit wir dazu in der Lage waren. Er wollte dann tatsächlich irgendwann nicht mehr weitermachen, nicht mehr mit den Musikern und Stratovarius nicht mehr weiterführen. Das hat aus seinem Blickwinkel sicherlich viele Gründe, sicher sind auch Abnutzungserscheinungen dabei in den zwischenmenschlichen Beziehungen der Band, das kann alles sein. Er hat vielleicht auch keine Lust mehr gehabt, diese Musik zu spielen. Vielleicht hat es aber auch noch ganz andere Gründe, die im wirtschaftlichen Bereich zu suchen sind und so weiter.

An dem Punkt standen wir jetzt. Du kriegst auf einmal 'ne Mail, »Ich möchte nicht mehr weitermachen, bitte respektiert das«. Da biste natürlich erstmal überrascht, geschockt, und auch ein bisschen beleidigt, muss ich ganz ehrlich sagen. Denn ich fand nicht, dass wir das so verdient hatten. Aber okay, letztendlich schläft man zwei, drei Nächte drüber und dann akzeptiert man das auch. Du kannst ja keinen zwingen, die ganze Zeit mit den gleichen Leuten zusammenzuspielen. Es ist auch kein Verbrechen, seine Meinung zu ändern. Das akzeptiert man dann schon. Dann sind ein, zwei Wochen ins Land gegangen, da hatten Kotipelto, Johannson und ich auch ein paar langatmige Telefonkonferenzen. Ich kann mich noch an eine erinnern, die ging glaub ich über acht Stunden. Wir fragten uns, was wir jetzt überhaupt machen sollten. Aber irgendwie war es auch ziemlich klar für uns, dass wir nicht sagen »der Timo ist jetzt nicht mehr dabei, und tschüss.« Uns war sofort klar, dass wir weiter was zusammen machen wollen.
RockTimes: Aber Timo Tolkki hatte ja immer noch die Rechte am Namen und an der Musik, oder?
Jörg: Die Rechte an der Musik hatte er über seinen Verlag. Die Rechte an dem Namen, die hat eigentlich niemand in der Band. Die hat früher mal ganz lange der Tuomo Lassila [Gründungsmitglied, in der Band zwischen 1984 und 1995) gehabt, der alte Drummer.
RockTimes: Tolkki hatte aber in einem ausschweifenden Statement gesagt, dass er der Band freimütig etwas Gutes tun werde und euch die Namensrechte abdrückt. Dann war das gar nicht so ein großer Akt, wie er es dargestellt hat?
Jörg: Naja, er hat die Rechte des Back-Kataloges und aus seiner Sicht auch die Rechte des Namens an uns abgetreten. Den Grund weiß er wahrscheinlich heute selber nicht mehr - weiß ich auch nicht. Ich denke, das sollte vielleicht den Fans irgendwie eine gewissen Größe suggerieren. Aber auf der anderen Seite verhält es sich mit den Namensrechten so... wenn du das vor Gericht beweisen müsstest, hätte Timo Tolkki sicherlich große Chancen zu sagen, »der Name gehört mir, ich habe 20 Jahre in dieser Band gespielt und ganz viele Songs aufgenommen.« In so fern ist eine schriftliche Bestätigung von ihm, dass er die Namensrechte abtritt, keine schlechte Sache - obwohl er sie aus meiner Sicht nie hatte. Aber grundsätzlich war das mehr so eine Art generöse Geste, die er nach außen bringen wollte. Wie gesagt, keiner von uns hatte den Namen - der war geschützt von Tuomo Lassila und um 1998 rum war das ausgelaufen.
RockTimes: Es besteht also keine Gefahr, dass ihr eines Tages per richterlichem Beschluss nicht mehr Stratovarius heißen dürft?
Jörg: Jetzt, wo Timo das unterschrieben hat und es vom Anwalt beglaubigt ist, kann er das eigentlich nicht mehr machen.
RockTimes: Die Band hatte ja auch wirtschaftlich Trouble wegen der Pleite des Labels. Seid ihr da aus dem Gröbsten raus?
Jörg: Das ist eine lange Geschichte. Um es abzukürzen: Die Plattenfirma hatte kein Interesse mehr, überhaupt mit Stratovarius weiterzuarbeiten. Die hatten zu dem Zeitpunkt, als wir das zweite Album mit ihnen aufnehmen wollten, ganz andere Probleme. Sanctuary ist ja eine riesige Firma gewesen und die Plattenfirma war nur ein Teil. Die hatten Immobilien, die waren im Ölgeschäft und so weiter. Und die Firma ist einfach pleite gegangen und von Universal aufgekauft worden. Die haben sich bei uns gar nicht gemeldet! Es gab gar keine Kommunikation mehr. Deshalb haben wir vertraglich alle Sachen, die von unserer Seite geleistet werden müssen, auch geleistet - zu den richtigen Zeiten das Demo abgeben und so weiter. Und irgendwann kam dann nichts mehr zurück und wir haben einen Anwalt eingeschaltet.

Der Rechtsstreit dauerte ungefähr zwei Jahre. Ganz am Ende hatte man sich mit Universal geeinigt, dass sie sich aus dem Vertrag rauskaufen, dass wir dafür eine Kompensation bekommen, dass wir auch die Rechte an unserem Back-Katalog wiederbekommen und dass sie sich zu einem bestimmten Teil an den Anwaltskosten beteiligen. Und drei Tage später hat Timo Tolkki es offiziell gemacht, dass er Stratovarius aufgelöst hat - so hat er es formuliert - und dass er jetzt seine neue Band Revolution Renaissance promotet und brachte auch das Album ein paar Wochen später raus. Und weil der Plattenvertrag an die Individuen gekoppelt war, hatte Sanctuary bzw. Universal plötzlich keinen Vertragspartner mehr. Das heißt, wir haben die Kompensation nicht bekommen, wir haben auch den Back-Katalog nicht zurückbekommen und die haben sich auch nicht an den Anwaltskosten beteiligt. Den Anwalt haben letztendlich Johannson, Kotipelto und ich bezahlt - und das war auch nicht ohne.
RockTimes: Und die Rechte am Back-Katalog?
Jörg: Die kriegen wir erst 2015 zurück - so wie es auch vorher geregelt war. Laut dem geplatzten Deal hätten wir sie schon letztes Jahr an Weihnachten zurück gehabt.
RockTimes: Zusammenfassend könnte man sagen, ihr seid auf den Kosten sitzengeblieben, weil...
Jörg: Weil Timo Tolkki uns total verarscht hat! Weil der einfach eine andere Platte rausgebracht hat und gesagt hat, er ist nicht mehr dabei. Die Band war als solche nicht mehr existent, dadurch hatte Sanctuary keinen Partner mehr. Und das war drei Tage nachdem man sich eigentlich geeinigt hatte, da ist der Timo Tolkki damit an die Öffentlichkeit gegangen. Es gab da auch Vereinbarungen mit seiner Firma, mit der er schon längere Zeit gedealt hatte, von dem wir alle nichts wussten... also der hat uns richtig hintergangen, das kan man richtig öffentlich so sagen.

Aber damit sollte das auch gut sein; das ist die Geschichte, die dahintersteckt. Aber für uns ist das mittlerweile Vergangenheit. Timo Tolkki hat zwei Jahre lang übers Internet aufs Übelste schmutzige Wäsche gewaschen, speziell über Kotipelto und über mich, das war nie unser Verlangen, dass wir dazu was sagen müssen. Wir wussten, irgendwann werden wir auch mal mit nem Album zurückkommen, dann werden uns die Leute danach fragen und dann kann man auch ruhig die Wahrheit sagen. Man darf das mit Timo Tolkki auch alles nicht überbewerten. Eigentlich kannst du sagen, das ist ein totales Arschloch - aber man darf auch nicht vergessen, er ist ja eigentlich krank. Und im Prinzip tut er mir heute auch sehr, sehr leid. Wir haben es leider nicht geschafft, ihm so weit helfen zu können, in auf dem Weg zu halten. Unsere Aufgabe ist es aber jetzt nicht mehr, ihm zu helfen, denn das hat er sich natürlich versaut.

Unsere Aufgabe ist es jetzt, in die Zukunft zu kucken. Und da sind wir natürlich froh, dass wir daraus letztendlich gestärkt hervorgegangen sind und auch einen neuen Gitarristen gefunden haben, die Platte gemacht haben und eben so weit sind, dass wir diese Platte promoten können. Wir haben 'ne tolle neue Plattenfirma gefunden, da bin ich sehr glücklich drüber, das ist auch in der heutigen Zeit nicht mehr so einfach, wie das früher einmal war. Man verkauft insgesamt nicht mehr so viele Platten, und deswegen sind die Firmen natürlich auch wesentlich vorsichtiger geworden, wen sie signen, und da haben wir mit Edel 'ne richtig gute erwischt - die Zusammenarbeit funktioniert phänomenal. Jetzt sind wir hier in Dortmund schon seit einer Woche am Proben, und gehen jetzt in den nächsten Tagen auf Tour - und das ist das, was wirklich wichtig ist.
RockTimes: Mit dabei auf dieser Tour ist auch euer neuer Gitarrist. Wie hat sich denn euer 'Jüngster' eingefügt? Matias ist ja nicht nur brandneu in der Band, sondern auch viel jünger als ihr...
Jörg: Jo, da kann man mal sehen - das geht! Ich denke, dass man insgesamt im Rock'n'Roll-Business solchen Sachen ganz aufgeschlossen gegenübertritt. Er hat auch eine riesige musikalische Vorbildung, obwohl er noch sehr jung ist. Das war sicherlich auch eines der Merkmale, die der neue Mann haben muss - er muss das Material spielen können, und da wird dat ja schon eng! Denn Timo Tolkki war alles andere als ein schlechter Gitarrist. Den Matias haben wir in Finnland gefunden... ich würde ihn so ein bisschen als finnisches Wunderkind bezeichnen, er ist wirklich sensationell. Wir sind ganz froh, er hat sich auch super in die Gruppe integriert, wir haben auch niemand anderes angetestet. Und war auch wichtig, dass wir vielleicht ein unbekanntes Gesicht finden, damit das Ganze wirklich als Band rüberkommt und dass wir nicht so einen alten Haudegen, einen etablierten Namen nehmen - das hätte dem Ganzen doch den Touch eines Projektes gegeben. Und mittlerweile kann ich nur sagen - das lässt sich super an! Wie das nach einem Jahr Tour aussieht, weiß ich noch nicht - muss man mal sehen, musst du mich noch mal fragen.
RockTimes: Ändert Matias' Anwesenheit denn auch spielerisch etwas im Gegensatz zu früher, live auf der Bühne?
Jörg: Ja, das tut es tatsächlich, weil er anders spielt. Wir wollen auch nicht versuchen, ihn das Alte kopieren zu lassen. Da gibt's auf einmal Songs, die klingen ganz anders, die klingen aber gut. Es gibt auch Sachen, an denen wir härter üben müssen, die stellen wir auch teilweise um, damit sie gut klingen. Aber das letzte, was wir wollen, ist, eine Tolkki-Kopie da vorne stehen zu haben - niemand kann Timo Tolkki ersetzen, das ist auch gar nicht der Sinn der Sache.
RockTimes: Da scheinen die Ansätze der Bands sich zu unterscheiden. Queensrÿche haben mit Parker Lundgren auch einen sehr jungen neuen Gitarristen, der schon mal angekündigt hat, dass er sich Orginal-Equipment besorgen will, um Chris DeGarmo möglichst originalgetreu nachspielen zu können.
Jörg: Das find ich sehr traurig und sicher auch nicht gut für seine Entwicklung. Es ist bestimmt gut, wenn man die Sachen von Chris DeGarmo erstmal versucht nachzuspielen, die auch vielleicht so original wie möglich nachzuspielen. Da kann man sicherlich toll von lernen. Aber wenn es so weit geht, dass man sich sogar das alte Equipment anschafft, damit man wirklich genau den selben Ton hat und den selben Sound, dann entwickelt man ja überhaupt keine individuelle Identität für sich selber, auch für die Zukunft. Das wird von unserem Gitarristen überhaupt nicht verlangt. Wir versuchen stattdessen, die Stärken, die er hat, noch mehr rauszubringen. Und so gut du auch bist - jeder hat auch irgendwo Schwächen. Da wird es dann auch keinen Drill geben nach dem Motto 'Das war aber vorher so und so'. Aber natürlich haben wir jetzt keinen Blues-Gitarristen genommen. Wir haben schon jemanden gesucht, der in diese Richtung geht.
RockTimes: Der Split mit Tolkki hat den die 'neuen' Stratovarius ja vor ein Riesen-Problem gestellt, weil Tolkki fast die komplette Musik und außerdem die meisten Lyrics geschrieben hatte. Wie habt ihr das Problem gelöst? Teilt ihr euch das Songwriting stärker als früher auf - ist die Band vielleicht auch ein Stück weit demokratischer geworden?
Jörg: Genau so! Das ist jetzt Teamwork; da schreiben eigentlich alle mit, und das ist demokratischer geworden.
RockTimes: Demokratie gab es früher keine?
Jörg: (Überlegt kurz) Wenn man das jetzt so verneint, klingt das, als hätte da früher ein Diktator geherrscht. Das war jetzt auch nicht so. Timo Tolkki, der war auch schon groß; wenn du eine Idee gehabt hast, dann hat er sich das vernünftig angehört, und wenn die besser war als seine, dann hat der die auch genommen. Das wär ja auch Quatsch, wenn du einen Jörg Michael oder einen Jens Johannson in der Band hast, denen nicht zuzuhören. Die wollen ja auch nur das Beste für deine Band. Man darf sich das jetzt nicht vorstellen, dass wir da alle ehrfurchtsvoll gestanden haben und er gesagt hat, wo's langgeht, so war's nicht. Es gab auch bei den alten Alben immer mal wieder Songs, die von den anderen geschrieben worden sind. Bei den letzten Platten war es hundert Prozent Timo Tolkki. Das hat aber natürlich auch einen wirtschaftlichen Grund - du bekommst Gema-Kohle für deine Songs. Und dann siehst du halt zu, dass immer deine Songs drauf sind; das konnte er natürlich bestimmen. Es ist demokratischer geworden - aber unterhalten hat man sich auch früher, weißte...
RockTimes: Ich hab auch beim Durchhören von "Polaris" den Eindruck, spannendere Parts von Jens Johannson zu hören. Täuscht es, oder sind da wirklich mehr Keyboard-Anteile mit drauf?
Jörg: Das hat damit zu tun, dass viele Ideen von Jens mit dabei sind und auch ein paar komplette Songs von ihm auf dem Album. Die Keyboard-Ideen auf den früheren Platten, die waren ja aber auch schon alle von Jens; Timo Tolkki kann ja keine Keyboards spielen. Es gibt aber so ein Song wie "King Of Nothing", das ist sicherlich ein Keyboard-Song. Der ist auch von Jens. Da wirken die Keyboards auch sehr prägnant. Fällt komischerweise vielen auf; mit jetzt persönlich nicht so, ich fand die Keyboards vorher auch schon immer sehr prägnant. So einen Song wie "King Of Nothing" hat es vorher vielleicht nicht gegeben... naja, ist vielleicht gut beobachtet, mag so sein.
RockTimes: Diese Platte ist nun also wieder etwas 'klassischer' geworden; die letzte war experimenteller... wenn man so lange Alben veröffentlicht wie Stratovarius, hat man doch ein Problem: Man kann es nicht jedem Recht machen. Mit neuen Ansätzen vergrault man alte Fans, und wenn man es so macht wie immer, gilt man schnell als langweilig. Wie seid ihr da eingestellt, wem wollt ihr es recht machen?
Jörg: Ach weißt du, wenn du anfängst, dass du es irgendwelchen Fans recht machen willst, dann kannst du nach Hause gehen. Wir haben Musik immer gemacht, weil wir da Spaß dran gesehen haben und hatten das Geschenk in der Hand, dass wir damit auch noch unser Geld verdienen konnten. Das ist wunderbar, das ist sensationell. Das schaffen die meisten schon nicht. Und an dem Punkt, wo du selber nicht authentisch bist, wo du selber nicht ehrlich bist und du irgendwas machst, um den Fans zu gefallen - genau dann wird's auch nicht klappen. Das ist die einzige Rock'n'Roll-Regel, die ich kenne. Wenn jemand irgendwann mal früher zu Metallica gesagt hat, ihr müsst aber so und so sein, so könnt ihr nie erfolgreich sein, eure Musik ist ja nicht kommerziell... und die hätten das dann gemacht, dann wär auch aus der Band nie was geworden. Aber weil die Band immer ehrlich und authentisch war, ist sie die größte Metalband der Erde geworden. So muss man sich das vorstellen; und das ist bei uns auch immer noch so. Wir können nicht beeinflussen. Wir können nur versuchen, unsere beste Musik zu spielen, und darauf hoffen, dass das den Fans auch gefällt. Aber an dem Punkt, wo du denkst, 'ach, das machen wir jetzt so und so - da fahren die Fans bestimmt drauf ab', kannst du nach Hause gehen. Dat klappt nie.
RockTimes: Prima, das klingt, als könnten die Stratovarius-Fans noch mit einigen ehrlichen Alben in Zukunft rechnen...
Jörg: Ja, das war, glaub ich, auch immer so. In der Szene, wo du da spielst, das ist ja Heavy Metal. Ich meine... schon dadurch bist du ja authentisch und ehrlich. Wenn du irgendwie versuchen möchtest, wirklich oben um Geld zu spielen und viele Weiber abzukriegen, dann solltest du vielleicht was anderes spielen (lacht). Aber dass man wirklich irgendwas plant und danach die Musik schreibt, das mag in der heutigen Zeit bei diesen Casting-Bands tatsächlich so der Fall sein, aber so was ist ja auch nicht mehr als 'ne One-Night-Sensation.
RockTimes: Und das sind Stratovarius mit Sicherheit nicht. Vielen Dank, Jörg, dass du dir die Zeit genommen hast. Ich wünsche euch viel Spaß auf der Tour!
Jörg: Herzlichen Dank!
Wir danken Iris von cmm, die uns das Gespräch mit Michael ermöglicht hat.
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