Sylvan / Force Of Gravity
Force Of Gravity Spielzeit: 69:31
Medium: CD
Label: Sylvan Music, 2009
Stil: Prog Rock

Review vom 23.09.2009


Boris Theobald
"Force Of Gravity" markiert 2009 das zehnjährige Jubiläum des allerersten Sylvan-Albums "Deliverance". Nun hätten sich die Hamburger Progressive Rocker anno 1999 vielleicht gar nicht träumen lassen, irgendwann einmal so weit im Zentrum der deutschen Prog-Szene zu landen. Posthumous Silence hat dies aus meiner Sicht möglich gemacht - das bisherige Opus Magnum der Band, das 2006 erschienen war, ist für mich ein Must-have für anspruchsvolle Liebhaber des Prog Rock, Neo Prog oder was auch immer... die Promoter der Band sprechen auch von 'New Art Rock', was angesichts der zauberhaften Klanglandschaften auch meines Erachtens durchaus gerechtfertigt ist.
Doch solch ein Über-Album wie "Posthumous Silence" bringt auch den Haken mit sich, dass sich eine Band fortan an ihren Wundertaten der Vergangenheit messen lassen muss. Das war schon für den alsbald veröffentlichten Nachfolger Presets (2007) ein Riesenproblem - wenn wir es hier auch mit einem Sonderfall zu tun hatten. Denn den Stoff dieser beider Alben hatte man praktisch am Stück komponiert, aber auf zwei CDs verteilt: Das atemberaubende Konzeptalbum und der Nachzögling. "Presets" zeigte verstärkt die Pop-taugliche, radiophile Seite der Band - freilich mit Ausnahmen und klar, es sollte kein Nachfolger von "Posthumous Silence" sein, sondern eine bewusst andersartige Ergänzung; doch bekanntlich zählt das, was hinten rauskommt, und das war nun mal aalglatt und tendenziell eindimensional.
Und so ist "Force Of Gravity" nach zwischenzeitlichen Live-Veröffentlichungen der eigentliche, mit Spannung erwartete Nachfolger des Band-Überwerks. Und, was soll ich sagen... Überraschung! Studiowerk Nummer sieben (wir rechnen "Presets" natürlich doch mit) ist ein Paukenschlag und für Sylvan sicherlich ein weiterer Schritt nach vorn. "Force Of Gravity" ist auf der einen Seite ganz klar das härteste Album der Bandgeschichte geworden. Dafür spricht das Metal-lastige "Follow Me" mit seiner atemlos-aufgeregten Stimmung in der Strophe, jäh durchbrochen von einem verschmierten Gitarren-Dickicht, und seinen dramatischen Steigerungen im Refrain. Aber auch auf "King Porn" zieht die Band für eigene Verhältnisse ein paar 'harte Saiten' auf. Mag das ein Einfluss des neuen Gitarristen Jan Petersen sein? Vielleicht. Erstaunlich ist dabei, dass im gleichen Song auch zerbrechliche Klänge im Stile der Neo-Psychedeliker RPWL vorkommen.
Die ruhigen Momente scheinen für Sylvan die typischeren zu sein, was sicherlich auch mit der Stimme Marco Glühmanns zu tun hat. Die klingt zuweilen etwas 'weinerlich' - man muss sie mögen - aber nun mal auch unverkennbar und passt bestens zum oft elegischen Ausdruck der Musik. Und da sie sich auch als sehr wandelbar erweist, gewinnen solche vielseitigen Stücke mit extrem gegensätzlichen Atmosphären ungemein. Zu denen gehört auch der Titeltrack "Force Of Gravity", der lyrische Klavierpassagen mit dramatischem, fast bedrohlich wirkendem Rock-Oper-Bombast umrahmt und damit den Zuhörer vom ersten Takt an fesselt. Aber auch "Turn Of The Tide" ist ein Beispiel dafür, wie Sylvan jedes einzelne Stück zu einem episch angehauchten, ergreifenden Kunstwerk erheben. Beginnend als pittoreske Klavier-Ballade, die an Fishs "A Gentleman's Excuse Me" erinnert, wird die traurige Zartheit plötzlich von spannungsgeladenen Klavier-Akkorden und Neal Morse-Orgelparts abgelöst (er würde das also 'corky organ parts' bezeichnen).
Ganz stark präsentiert sich die Band auch wieder von der reinen Balladenseite. "Embedded In You" ist die straighteste aller Varianten und durchaus radiotauglich, was in diesem Falle nicht negativ gemeint ist; dennoch die verhältnismäßig schwächste Ballade des Albums dank der starken Konkurrenz. Vor allem "Midnight Sun" ist von einer hypnotisierend schönen Wehmut mit monotoner Klavierbegleitung und einer wie in einem vagen Traum wirkenden, verzerrten Snare Drum als Taktgeber. Miriam Schell, die schon auf "Posthumous Silence" zu hören war, überzeugt als anmutvolle Duettstimme. Nicht minder beeindruckend ist "Isle In Me", das in einer halbbewussten, verträumten Klavieratmosphäre beginnt und sich intensiv steigert. Höhepunkt ist für mich ein fantastisches Gitarrensolo des neuen Mannes Jan Petersen, der beweist, dass ein großer Auftritt nicht nur durch halsbrecherisches Tempo, sondern auch durch ganz großes Gefühl in 'Normalgeschwindigkeit' zu Stande kommt - Petersens Spiel erinnert mich ein wenig an John Petrucci in "The Spirit Carries On" (Dream Theater - "Scenes From A Memory"). Verfeinert werden (nicht nur) die Balladen durch ein Streichquartett, das hier und da eine Musical-hafte Note mit einbringt.
Der am Schluss des Albums ganz richtig platzierte Longtrack "Vapour Trail" vereint nochmal alle Vorzüge der Band und bildet den Höhepunkt dieser endlos ausgefeilten Kompositionskunst, lässt den rockigen Instrumentalstrecken und den elegischen Gesangsmelodien viel Platz, um sich zu entwickeln, samt überraschender Zwischen-Parts. Bemerkenswert ist übrigens das sich famos steigernde Finale, in dem Marco Glühmann in ekstatische Höhen vordringt, die ich ihm nicht zugetraut hätte, gefolgt von einem weiteren wunderbaren Outro-Solo. Unverständlich bleibt für mich nur, was die Nummer "God Of Rubbish" auf diesem Album zu suchen hat, ein plattes Stück im 8-Beat durchgeballten Rocks mit unnötiger Schreierei am Ende. Sie werden damit schon etwas haben ausdrücken wollen - unterm Strich zählt aber, dass ein Song auch musikalisch attraktiv ist. Wer seine Musik auf einen tragbaren mp3-Player überspielt, hat den Vorteil, das Stück bei Bedarf einfach rauslöschen zu können.
Bis auf diese eine Ausnahme ist es höchst aufregend, was Sylvan da Song für Song kreieren. Angelehnt an das Plattencover könnte man von emotionalen Achterbahnfahrten sprechen. Und die 'Force Of Gravity' steht dabei für die unerbittliche Schwerkraft im übertragenen Sinne - die schwermütigen Stimmungen, die so prägend für die Musik der Band sind. Sylvan ist (bis auf besagten Aussetzer) ein großer Wurf gelungen, der fast an "Posthumous Silence" heranreicht - "Force Of Gravity" ist episch, lyrisch und dramatisch.
Line-up:
Marco Glühmann (vocals)
Matthias Harder (drums)
Sebastian Harnack (bass)
Jan Petersen (guitar)
Volker Söhl (keyboard)

Guest musician:
Miriam Schell (vocals - #7)
Tracklist
01:Force Of Gravity (5:12)
02:Follow Me (4:39)
03:Isle In Me (6:00)
04:Embedded (3:29)
05:Turn Of The Tide (6:52)
06:From The Silence (5:42)
07:Midnight Sun (5:10)
08:King Porn (7:31)
09:Episode 609 (6:00)
10:God Of Rubbish (4:01)
11:Vapour Trail (14:30)
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