Symphony X, Studioalbum Numero acht: das Größte und Beste und Tollste, was sie je abgeliefert haben? Superlative sind subjektiv. Und insbesondere im Falle von "Iconoclast" kommt es wohl auch darauf an, ob man vorher gerade The Divine Wings ... oder Paradise Lost gehört hat. Von letzterem ausgehend ist "Iconoclast" eine logische Weiterentwicklung ... ach was, das Album ist eine brachiale Neudefinition des Wortes 'konsequent'! Und wenn man seine Antennen gerade irgendwo zwischen "The Damnation Game" und "V" ausgerichtet hat, wird man erstens ein bisschen von dem magisch-melodischen Kribbeln von früher vermissen, und zweitens wird einem per apokalyptischer Offenbarung das Hirn aus der Birne gepustet!
»With rage we ride into the flames
Striking with spears of hate,
At the heart where evil reigns
Holding the line from the charge
Of armored steeds
Gather around this deadly ground,
Come watch the war god bleed.
The chaos unseen rips the midnight sky
Infernal machines arise - flesh and steel collide«
Hossa. Und jetzt stell sich einer mal die passende Vertonung zu diesem Stückchen Poesie vor. Und genau so klingt "Iconoclast" ...
Es ist düster, hart und Ehrfurcht erregend. Mehr als je zuvor verbinden SX Thrash und Power Metal mit ihrem hochtechnisierten Ausnahmekönner-Prog. Schon beim Titeltrack zu Beginn durchlebt der Hörer vor dem ersten Stück Gesang erst einmal zwei Minuten lang Watchtower-mäßige Psycho-Attacken und einen monumental-düsteren Fantasy-Soundtrack mit megatonnenschweren Riffs und dramatisch-mystischen Streicher-Klängen. Dann shoutet Russell Allen furchteinflößender und dämonischer als je zuvor - technisch wie immer Weltklasse. Ein eingängiger, äußerst straighter Chorus: Tempo raus, geht genial ins Ohr, zum Fäuste-in-die-Luft-Reißen. Das ist auch größtenteils die Marschrichtung auf dem gesamten Album.
Die drei 'Michaels' sind gewohnt brillant: Romeo frickelt übermenschlich durch seine klassischen Skalen. Pinnella prägt "The End Of Innocence" und "Bastards Of The Machine" mit großartigen Fingerübungen. Und Lepond groovt zusammen mit Jason Rullo, dass Berge zittern und Bäume welken. Die Duelle und Dreier-Läufe sind das beste, was die Prog-Welt hergibt. Zu Gunsten von Annihilator-Einschlägen wird zwar in puncto warmer, atmosphärischer Parts zurückgesteckt. Aber das Hightech-Geknüppel, was die Band hier abzieht, ist alles andere als mit dem Kopf durch die Wand. Spätestens ein Hördurchgang mit Kopfhörer zwingt zum Kniefall: Die gegeneinander arbeitenden Rhythmen von "The End Of Innocence", das hochemotionale Romeo-Solo in "Dehumanzied", der pushende Drive im überraschend Hard Rock-lastigen (!) "Bastards Of The Machine", die abgedrehten Übermenschlichkeiten in der Rhythmussektion, Russell Allens edle Inbrunst ... alles großes Kino für harte Menschen.
Und dann, in der finalen Viertelstunde (von CD 1), werden nun doch auch andere Trademarks wieder stärker betont: Da wäre zum einen "Children Of A Faceless God" im mittleren Tempo und mit einem mehrstimmigen, getragenen Chorus. Und zum anderen "When All Is Lost", das sowieso richtig aus dem Raster fällt. Lyrische Klavierklänge, besonders in den Übergängen mit hauchzart dosierten Dissonanzen - das ist so typisch Pinnella! Ein gestreckter Aufbau hin zur epischen Powerballade - majestätisch. Ein Chorus mit viel Pathos und ein gestreckter Instrumentalpart mit feinfühligen Momenten in der Tradition von "The Accolade" und einigen Momenten, die nach 'klassischem' 70er-Jahre-Symphonic Rock klingen. Große Gänsehaut!
Unentbehrlich ist aber auch die Bonus-CD - es gibt keine erdenklichen Gründe, auf die Special Edition zu verzichten. "Electric Messiah" ist eine eindringliche Hymne, die eigentlich eher nach Russell Allen bei Star One klingt. Es folgen "Prometheus (I' Am Alive)" mit seinem Mix aus Thrash-Strophe und supermelodischem Refrain, der Speed-Knaller "Light Up The Night" und das brachial daherstampfende "The Lords Of Chaos" mit genial verzögertem Refrain. Ebenso klasse wie das Synthie-Sound-geprägte "Reign In Madness", das vielleicht eher nach "Twilight In Olympus" klingt - qualitativ allesamt Pflichtnummern!
... und dennoch kann man auch wehmütig werden. Denn die Magie von Longtracks wie "The Divine Wings Of Tragedy", "Through The Looking Glass" oder "Rediscovery (Part II) - The New Mythology)" scheint Zauber von gestern. Der Sound ist sicherlich - mit Ausnahmen - weniger facettenreich. Man braucht ein paar Hördurchgänge mehr als früher, um beim Reinhören gleich zu wissen, bei welchem Song man ist - ein kleiner Abstrich, der sich aber ab dem zehnten Hördurchgang erübrigt. Und an dem führt ohnehin kein Weg vorbei. Symphony X anno 2011 strahlen weniger Wärme aus und gehen ein Stück weit weg von den ganz, ganz großen Spannungsbögen. Auch in den nun kompakteren Refrains; die kommen sehr viel knallender auf die Zwölf.
Aber hey, gestern ist gestern und nicht heute, und bei Wiederholungen sinkt auch irgendwann die Einschaltquote. Das, was die fünf Herren hier abliefern, degradiert 99 Prozent der High Tech-Power Thrasher zu Milchbubis. Und Gänsehaut geht auch mit Grusel-Faktor; das gilt noch stärker als schon bei "Paradise Lost". Außerdem passt die Marschrichtung sagenhaft gut zur ultimativ dunklen Sci-Fi-Endzeit-Thematik der Songs - ein krachendes Revival des beliebten Heavy Metal-Stoffs der 80er 'Mensch gegen Maschine'. Das hier ist der Soundtrack für die Borg-Fans unter den Star Trek-Guckern.
"Iconoclast" - dicke, Genre-übergreifende Kaufempfehlung auch für hartgesottene Qualitätsliebhaber, die bislang wenig proggig unterwegs waren. Dafür gibt es eine Vorwarnung für Symphony X-Fans der klassischen Sorte.
Line-up:
Russell Allen (vocals)
Michael Romeo (guitar)
Michael Pinnella (keyboard)
Michael Lepond (bass)
Jason Rullo (drums)
Tracklist |
CD1:
01:Iconoclast (10:51)
02:The End Of Innocence (5:27)
03:Dehumanized (6:48)
04:Bastards Of The Machine (4:56)
05:Heretic (6:25)
06:Children Of A Faceless God (6:21)
07:When All Is Lost (9:10)
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CD2:
01:Electric Messiah (6:14)
02:Prometheus (I Am Alive) [6:47]
03:Light Up The Night (5:04)
04:The Lords Of Chaos (6:10)
05:Reign In Madness (8:38) |
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Externe Links:
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