Eigentlich wollte ich einen Bericht über das Konzert von Ten Years After in der ausverkauften Bonner Kult(ur)-Kneipe Harmonie am 10. Oktober 2013 schreiben. Doch eine Sichtung der bislang auf RockTimes veröffentlichten Konzertberichte ergab, dass ein weiterer Bericht nichts wesentlich Neues mehr bringen könnte: Ablauf und Stimmung während des Konzerts sind in dem Beitrag von Jochen v. Arnim über ein TYA- Konzert im Siegburger Kubana im Jahr 2010 sowie weiteren Konzertberichten ausführlich beschrieben; meine diesbezüglichen aktuellen Eindrücke sind im Wesentlichen deckungsgleich. Die Setlist des Auftritts entsprach weitestgehend der von Jürgen Bauerochse besprochenen Live-CD der Band aus dem Jahr 2005, so dass man spätestens jetzt zu der Erkenntnis kommen muss, dass die Band in den »ten years after« dem Eintritt von Joe Gooch im Jahr 2003 weitgehend mit demselben Programm über die Bühnen tingelt. Sei's drum, auch der Auftritt in Bonn war dennoch ein tolles Erlebnis!
Umso überraschender ist daher, dass es hingegen etwas Neues von den 'alten' Ten Years After (also noch mit Alvin Lee) zu berichten gibt. Beim weiteren Schmökern in den Beiträgen über die Band las ich mit großem Interesse das CD-Review von Andre Stäuble über das Kultalbum Recorded Live aus dem Jahr 1973. Das Interesse wuchs noch deshalb, weil der Schreiber darin Songs ansprach und in der Track-List aufführte, die auf meiner CD-Fassung nicht drauf waren. Was hatte der denn für eine Pressung?
Meine Recherchen auf Musik-Sammler.de - einer Seite, auf die ich im vergangenen Jahr durch eine Tipp im RT-Forum aufmerksam gemacht worden war (vielen Dank Andrea) - ergaben, dass im Jahr 1997 die britische Plattenfirma BGO Records eine CD auf den Markt gebracht hat, die besagte drei - wenn auch nur kurze - Tracks zusätzlich enthielt. Außerdem wurde mir klar, dass diese auf der Ursprungs-DoLP auch enthalten gewesen sind. Bis dato war mir gar nicht aufgefallen, dass die Erstausgabe der CD-Pressung von "Recorded Live" aus dem Jahr 1990 diese drei Tracks nicht enthalten hat; zu wenig hatten sich diese im wahrsten Sinne des Wortes 'short tracks' ins Gedächtnis eingeprägt, als dass ich sie vermisst hätte. Die Kürzung war seinerzeit allerdings notwendig, um den Rest auf eine einzige CD pressen zu können.
1997 wurden demgegenüber die Laufzeiten der anderen Tracks - wahrscheinlich im Bereich zwischen den einzelnen Songs - gekürzt, um nach wie vor insgesamt unter der Grenze von 80 Minuten Spielzeit zu bleiben. Erst im Jahr 2000 wurde tatsächlich eine DoCD mit einer Laufzeit von insgesamt 81:11 Minuten veröffentlicht, die inhaltlich 1:1 deckungsgleich mit dem Doppelvinyl war.
Und schließlich entdeckte ich auf Musik-Sammler.de die Information über eine aktuelle Neuveröffentlichung (September 2013) einer DoCD, die sage und schreibe 19 (!) Songs aus den Konzerten enthält, die seinerzeit das Material für die LP hervorgebracht haben, und von denen immerhin sieben Stücke bis heute nicht veröffentlicht worden seien. Insgesamt ergeben die zusätzlichen Tracks nahezu eine Verdoppelung der Gesamtspielzeit des ursprünglichen Albums und rechtfertigen damit grundsätzlich die Produktion einer DoCD.
Neben der einzigen 'Doublette' "Help Me" - natürlich kann man bei genauem Zuhören Unterschiede zwischen den Darbietungen in Amsterdam bzw. Paris feststellen; erheblich sind sie allerdings nicht - erhält man vier weitere Songs sowie insbesondere zwei ausschweifende, lediglich als "Jam" bezeichnete Tracks. Im sehr informativen Booklet mit aktuellen Liner-Notes erklärt Leo Lyons hierzu: »The jamming thing initially started from the time Alvin and I spent playing the Star Club in Hamburg. We had to play so many sets a night that we had to extend the songs to fill in the time. Jams always started out with no real structure, and developed from there. After a period of time, certain sections became an arranged part, but there was always a chance for something different to develop.«
Widerspruch! Für mich sind derartige "Jams" alles andere als 'Lückenfüller', sondern Ausdruck von Spielfreude und insbesondere -kunst! Ob sie jetzt - wie vorliegend - im Wesentlichen Gitarren-getrieben sind, oder aber auch den anderen Musikern Gelegenheit zur freien Entfaltung geben, ist eigentlich egal. Sie dokumentieren nämlich, dass die Musiker einfach 'miteinander können'. Sicherlich sind heutzutage derartige 'Longplayer' nicht mehr allgemein gefragt; ich finde sie nach wie vor - wenn sie wie hier gut gespielt sind - genial! Zumal die beiden vorliegenden, teilweise recht psychedelisch daher kommenden "Jams" zumindest auch Leo Lyons (kurz) die Gelegenheit bieten, solistisch zu brillieren.
Die übrigen Nummern des vorliegenden Albums sind - jedenfalls soweit sie auf dem ursprünglichen Album drauf waren - ausreichend in dem eingangs erwähnten Review besprochen. Die vorliegend als »Bonus Tracks« bezeichneten Titel sind allesamt Lieder, die es von ihrer Qualität her eigentlich auf das Album hätten schaffen können, jedoch aufgrund von Kapazitätsbeschränkungen nicht berücksichtigt werden konnten. "Time Is Flying", ein Song, der - soweit ersichtlich - auf keiner Studio-Scheibe der Band veröffentlicht wurde, ist ein zunächst etwas langsameres, überwiegend im Dreivierteltakt gehaltenes Stück, bis gegen Ende Alvin Lee noch ein typisches Solo dranhängt. "Standing At The Station" glänzt schon allein wegen des ausgiebigen Keyboard-Solos von Chick Churchill im Mittelteil, das im Stile bzw. der Tradition eines Keith Emerson bzw. eines Jon Lord mit klassischen Elementen gespickt ist, bevor auch hier natürlich Alvin Lee den Song mit einem eklektizistischen Gitarren-Solo auf eine Länge von fast zwölf Minuten treibt.
Das stampfende "I Woke Up This Morning" ist musikalisch wie inhaltlich ein Blues erster Güte, mit dem Alvin Lee sowohl mit seinem Gitarrenspiel, als auch mit seinem Gesang seinen Frust darüber, von seinem Mädchen verlassen worden zu sein, herausschreit. Und schließlich der klassische Rock'n'Roll "Sweet Little Sixteen". Das hier der Gesang von Alvin Lee phasenweise etwas schwach herüber kommt, tut dem positiven Gesamteinbruch keinen Abbruch. Der Titel geht quasi übergangslos in die Frankfurter "Jam" über. Oder vielleicht hat man beim Digitalisieren den Indexpunkt an der falschen Stelle gesetzt und eine kurze Reprise von "Good Morning Little Schoolgirl" dem falschen Track zugeführt, denn Alvin Lee kündigt erst nach etwa einer Minute ausdrücklich den "Jam" an.
A propos technische Ungenauigkeit: Wenn man bei Amazon das neue Album probehören möchte, muss man feststellen, dass die Samples größtenteils nicht den angegebenen Titel wiedergeben. Und wenn man zu Hause die CDs in den Media-Player einlegt, werden die Titel der einzelnen Songs nicht erkannt bzw. falsch wiedergegeben (beides Stand 18.10.2013). Ersteres ist nicht wirklich bedeutsam, letzteres kann man ja händisch korrigieren. Die klangliche Wiedergabe des Albums gibt hingegen keinerlei Anlass zur Kritik - und das ist schließlich das Wichtigste!
Warum die DoCD gerade jetzt auf den Markt kommt, wird auch im Booklet nicht eindeutig geklärt. Der 40. Jahrestag der Erstveröffentlichung ist auch andernorts Anlass gewesen, für eine um Bonus-Material erweiterte Neuveröffentlichung. Andererseits weckt leider auch das Ableben von Alvin Lee in diesem Jahr - worauf auch im Booklet hingewiesen wird - die Versuchung, hieraus Kapital zu schlagen. Und schließlich geht es ja mal wieder auf Weihnachten zu! Sei's drum.
Auch wenn ich ansonsten Wiederveröffentlichungen alter Scheiben kritisch gegenüber stehe: Für mich hat diese Neuveröffentlichung erheblichen Mehrwert, der sie rechtfertigt. Denn das dargestellte Bonus-Material ist alles andere als zweitklassig. Neben den angesprochenen 'Longplayern' bekomme ich nun endlich auch wieder die 'Short Tracks' zu Gehör, die als durchaus nettes Amuse-Gueule das Menu - sprich: die Klassiker der Band - komplettieren.
Und schließlich kann man das Album bei den bekannten Versendern derzeit für einen absolut korrekten Preis, der sogar unter dem üblichen Preis für eine einzelne CD liegt, beziehen. Daher: Für alle TYA-Fans, die auch Spaß an "Jams" haben: Zugreifen!
Line-up:
Alvin Lee (guitars, vocals)
Chick Churchill (keyboards)
Leo Lyons (bass)
Ric Lee (drums)
Tracklist |
CD 1:
01:One Of These Days (Frankfurt) [6:27]
02:You Give Me Loving (Frankfurt) [6:02]
03:Good Morning Little Schoolgirl (Frankfurt) [7:26]
04:The Hobbit (Frankfurt) [8:35]
05:Help Me (Amsterdam) [11:03]
06:Time Is Flying (Frankfurt) [5:36]
07:Standing At The Station (Frankfurt) [11:50]
08:Jam (Amsterdam) [18:10]
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CD 2:
01:Help Me (Paris) [12:06)
02:I Woke Up This Morning (Rotterdam) [4:26]
03:Sweet Little Sixteen (Frankfurt) [4:24]
04:Jam (Frankfurt) [16:33]
05:Classical Thing (Paris] [0:53)
06:Scat Thing (Paris) [0:57]
07:I Can't Keep From Crying Sometimes [Part 1] (Paris) [1:57]
08:Extension On One Chord (Paris) [10:45]
09:I Can't Keep From Crying Sometimes [Part 2] (Paris) [3:12]
10:Silly Thing (Frankfurt) [1:09]
11:Slow Blues In C (Frankfurt) [8:14]
12:I'm Going Home (Frankfurt) [10:54]
13:Choo Choo Mama (Frankfurt) [3:21]
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Externe Links:
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