All diejenigen, die Twisted Sister aufgrund ihrer grellen Schminke-Optik vorschnell als hoffnungslose Poser abtun, haben rein gar nichts verstanden. Denn die Mannen um Hauptsongwriter und Frontmann Dee Snider haben sich schon immer mehr dem klassischen Heavy Metal verbunden gefühlt als irgendwelchem 'Cock Rock'. Natürlich sind Twisted Sister im Glam Rock verwurzelt, wie insbesondere die Club Daze-Scheiben (1999) deutlich machen, das verleugnen sie auch gar nicht. Doch als 1982 ihr Debütalbum "Under The Blade" erscheint, treten die New Yorker als lupenreine, bissige Metal-Formation auf den Plan und hauen der vorverurteilenden Szenepolizei einen ganzen Reigen wütender Straßenhymnen mit Schmackes vor die Kauleiste.
Gleich der Opener "What You Don't Know (Sure Can Hurt You)" (was für ein geiler Song-Name!) ist eine Lehre in Sachen ausgeklügeltes, gemeines Songwriting. Hier zeigt der Fünfer allen Zweiflern überdeutlich, dass er im Heavy Metal zu Hause ist, und nirgendwo anders. Dieser Titel ist ein gewaltiger Einstand der 'Schwestern', zudem einer ihrer allerbesten Songs und eröffnete logischerweise lange ihr Live-Set.
Mit "Bad Boys (Of Rock 'N' Roll)" folgt als zweite Nummer ein Song, der - entgegen seines Titels - die Glam-Wurzeln der Band raushängen lässt und weniger aggressiv, ja, sehr locker und spaßig rüberkommt. Doch schon das folgende "Run For Your Life" haut wieder mächtig auf den Putz, ist ein kräftiger Midtempo-Riffer, dessen zahmes, langsames Intro erst eine balladeske Richtung antäuscht, bevor plötzlich die Riffs zu sprechen beginnen.
"Sin After Sin" klingt nicht nur vom Titel her nach Judas Priest, sondern darf als kleine Verbeugung vor den britischen Metal-Göttern verstanden werden, auch wenn es keine Coverversion ist und Dee Snider natürlich wesentlich dreckiger singt als Rob Halford. Diesem Song folgen die späteren Band-Hits "Shoot 'em Down", "Destroyer", "Tear It Loose" und der Titeltrack, die mit ihrem rauen, ungehobelten Charme den bitterbösen Grundstein für den späteren Millionenerfolg der Gruppe legen sollten. Gemeinsam bilden sie das unverwüstliche Herzstück dieses Silberlings.
"Shoot 'em Down" ist dabei ein erstklassiger Riff-Rocker mittleren Tempos, der wie eine fiese Version von AC/DC klingt, während bei "Destroyer" das Tempo ganz gewaltig runtergefahren wird und der schleppend-stampfende Song wie ein riesiger Metal-Bulldozer alles und jeden erbarmungslos niederwalzt. Der mächtige Refrain verursacht ein unkontrolliertes Zucken und man reckt seine Fäuste ganz automatisch in die Luft, um diese zähe Nummer gebührend abzufeiern. Der Titeltrack hält die bedrohliche Atmosphäre daraufhin spielend aufrecht und begeistert durch sein messerscharfes Riffing, während das schnelle "Tear It Loose" mit punkigen Speed Metal-Versatzstücken und unglaublicher Energie zu überzeugen weiß - aufgepeppt wird es noch von Motörheads 'Fast' Eddie Clarke, der ein Gitarrensolo beisteuert. "Day Of The Rocker" ist schlussendlich ein schleichendes, bluesdurchzogenes Riff-Monster mit großartigem Solo und leitet nach den vier hammerharten Vorgängern gebührend aus dem Album aus.
Doch damit nicht genug, denn dieser Re-Release wartet mit fünf Bonustracks auf. Diese bergen für die 'S.M.F.' ('Sick Mother Fuckers' - die beinharten Fans der Gruppe) zwar keine Überraschungen, sind aber dennoch eine schöne Zugabe, um die damalige Zeit nachempfinden zu können. Zum einen ist hier nämlich das legendäre "Ruff Cutts"-Vinyl (1981) erstmalig auf CD zu hören, das damals im Vorfeld von "Under The Blade" als Appetithappen für die lechzenden Anhänger erschien. Diese EP enthält drei noch raubeinigere Versionen späterer Album-Tracks sowie das Shangri-Las-Cover "Leader Of The Pack", das erst viel später auf Come Out And Play (1985) einer breiten Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden sollte und abermals die Glam-Wurzeln von Twisted Sister offenbart. Obendrauf gibt's eine dampfende Live-Version von "Shoot 'em Down" aufs Trommelfell, die 1982 beim furiosen Reading-Gig der 'Schwestern' mitgeschnitten wurde.
Genau diesen Auftritt bekommt man dann auf der zweiten Disk zu sehen: Die Bonus-DVD enthält nämlich einen ungeschönten Mitschnitt dieser wahrlich heftigen Show, die Twisted Sister beim 22nd National Jazz Blues Rock Festival im britischen Reading (später dann als Reading Festival bekannt) bestritten. Die New Yorker waren damals eine der ersten Bands auf dem Billing und traten dem Publikum bei grellem Tageslicht gewaltig in den Hintern. Heruntergerissen wurden sieben "Under The Blade"-Songs - darunter natürlich die fünf besten der Scheibe -, gefolgt von einer derben Coverversion des alten Rolling Stones-Hits "It's Only Rock 'N' Roll", bei der die 'Schwestern' von Lemmy Kilmister und 'Fast' Eddie Clarke sowie UFOs Pete Way (der "Under The Blade" übrigens auch eigenhändig produzierte) tatkräftig unterstützt wurden. Es ist eine wahre Freude, dieses Ende der Show zu sehen, wo durch die vielen Gitarren und Kabel ein kleines Chaos auf der Bühne entsteht. Auch Dee Sniders Anstacheln des Publikums, das sich natürlich durch den ganzen Gig zieht, gegen Ende jedoch seinen absoluten Höhepunkt findet, ist legendär: Kaum ein Metal-Frontmann kann so viel und so schnell reden wie er! Durchgeschwitzt und ausgelaugt am Bühnenrand stehend, skandiert er seine Rock'n'Roll-Parolen in die Menge und besticht insgesamt mit einer unglaublichen Performance. Nicht umsonst zählt er bis heute zu den besten, charismatischsten Frontern der Szene. Überhaupt kann man der gesamten Band die enorme, aggressive Spielfreude sehr gut ansehen, mit der sie das Liedgut erbarmungslos nach vorn treibt. Basser Mark Mendoza macht seinem Spitznamen The Animal alle Ehre, wenn er mit seinem einzigartigen Bassspiel ein tonnenschweres Fundament legt und stellenweise wie wild auf sein Instrument einschlägt - groß!
Einziges Manko an diesem Mitschnitt ist gar nicht unbedingt der ungeschliffene Sound, da dieser die wilde Live-Atmosphäre unglaublich gut rüberbringt. Schade ist vielmehr, dass der Gig lediglich von beiden Bühnenseiten gefilmt wurde und man nur ein paar Mal in den Genuss der Frontansicht kommt, die Band sonst von der Seite sieht. Hintergrund ist, dass der Auftritt eigentlich nie in seiner Gesamtheit gefilmt werden sollte und man Twisted Sister stattdessen erzählte, die Kameras würden den Auftritt lediglich ins VIP-Zelt des Festivals übertragen. Allerdings dürfen wir uns heute glücklich schätzen, dass dieses Zeitdokument erhalten geblieben ist und man die enorme Intensität der damals noch jungen und verdammt hungrigen Band nochmals nachempfinden kann.
Außerdem enthält die DVD fünf sehr umfangreiche Interview-Features mit Twisted Sister, in der alle fünf Bandmitglieder in ihrer ureigenen, sympathischen Art die "Under The Blade"-Ära und den damaligen Aufenthalt in England beim Reading-Festival rekapitulieren. Insbesondere hier wird dem Fan die Möglichkeit gegeben, einen intensiven Backflash gemeinsam mit den Musikern zu machen und gebannt deren Erinnerungen zu lauschen. (Jedoch gibt es keine Untertitel, so dass man des Englischen schon mächtig sein muss, um den Erzählungen folgen zu können.) Dieser Teil der DVD ist ein wunderbares Angebot für die ganz harten Anhänger der Gruppe und zeigt einmal mehr die Fan-Freundlichkeit von Twisted Sister, die diese "Under The Blade"-Neuauflage wahrlich bis oben hin mit hochwertigem Inhalt zu füllen gewusst haben. Hut ab und Daumen hoch dafür!
Fazit: Alles in allem kredenzen uns Armoury Records/Eagle Rock mit diesem (soundtechnisch natürlich überarbeiteten) Re-Release also ein saustarkes Rundum-Paket, das keinerlei Wünsche offen lässt. Spätgeborene, denen die originale "Under The Blade"-Pressung bisher immer zu teuer gewesen ist, sollten hier also zugreifen, um ein für allemal ein Stück Metal- bzw. Rock'n'Roll-Geschichte nachzuempfinden. Alle anderen kommen an der genialen DVD kaum vorbei. Denn wer dieses Album nicht im Regal stehen hat, dem fehlt ein entscheidender Teil der Glam- und Heavy Metal-Historie. "Under The Blade" ist ein wahrer Klassiker, daran gibt's nichts zu rütteln!
Anmerkung: Schön ist, dass dieser "Under The Blade"-Neuauflage endlich wieder das Original-Artwork verpasst wurde - jahrelang war das Album nämlich mit einem leicht abweichenden Cover auf dem Markt.
Line-up:
Dee Snider (lead & backing vocals)
Jay Jay French (guitar)
Eddie Ojeda (guitars, backing vocals)
Mark 'The Animal' Mendoza (bass guitar, backing growls)
A.J. Pero (drums, backing vocals)
Tracklist |
CD:
01:What You Don't Know [Sure Can Hurt You] (4:46)
02:Bad Boys [Of Rock 'N' Roll] (3:21)
03:Run For Your Life (3:28)
04:Sin After Sin (3:23)
05:Shoot 'em Down (3:54)
06:Destroyer (4:09)
07:Under The Blade (4:39)
08:Tear It Loose (3:09)
09:Day Of The Rocker (5:03)
Bonus Tracks:
10:What You Don't Know (Sure Can Hurt You) [Ruff Cutts Version] (5:33)
11:Shoot 'em Down [Ruff Cutts Version] (3:56)
12:Under The Blade [Ruff Cutts Version] (4:41)
13:Leader Of The Pack [Ruff Cutts Version] (4:01)
14:Shoot 'em Down [Live At Reading] (3:38)
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DVD: 1982 Reading Festival
01:What You Don't Know (Sure Can Hurt You)
02:Sin After Sin
03:Bad Boys (Of Rock 'N' Roll)
04:Destroyer
05:Shoot 'em Down
06:Tear It Loose
07:Under The Blade
08:It's Only Rock 'N' Roll
Bonus Interviews:
Remembering: The Reading Festival
Living And Dining In The UK
The Sound Of "Under The Blade"
The Recording Of "Under The Blade"
Final Thoughts: The Reading Festival
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Externe Links:
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