543 Tage zwischen der letzten Vorstellung im Münchner Staatstheater am Gärtnerplatz und der Premiere im Pfalztheater in Kaiserslautern - eine lange Zeit, um sich über die Neuinszenierung der Rockoper Christ0 Gedanken zu machen. Und wer zuvor bereits die erste Version in Bayern gesehen hatte, sollte sich die Münchner Erinnerungen aus dem Kopf schlagen. Denn für die 'heimische' Bühne, wo Vanden Plas mit Frontmann Andy Kuntz als Hauptdarsteller mittlerweile in schöner Regelmäßigkeit Rockopern auf die Bühne bringen, haben sich Band und Theatertruppe nochmal was ganz Neues einfallen lassen. Die Grundlage bleibt eine altbekannte: der "Graf von Monte Christo" von Alexandre Dumas - umgesetzt mit einem originellen Mix aus Oper, Musical und Progressive Metal.
Andy Kuntz spielt den Protagonisten Edmond Dantès. Kurz vor seiner Hochzeit mit der schönen Mercédes sorgen seine vermeintlichen Freunde Mondego, Danglars und Villefort dafür, dass er unschuldig in den Kerker wandert, um auf Dantès' Rücken Karriere als Banker und Staatsanwalt zu machen, bzw. im Falle von Mondego gleich seine Verlobte zu heiraten. Durch den alten Mit-Häftling Faria kommt Edmond Dantès hinter die Intrige, und aus dem gutherzigen Menschen wird ein verbitterter Rächer. Er flieht aus dem Kerker und löscht einen seiner falschen Freunde nach dem anderen aus.
Das Bühnenbild ist ein komplett anderes als 2008 in München. Das Parkett ist gesäumt von gestapelten Holzkisten, die passend zum 'Seemannsgarn' der Story das Flair eines alten Hafens verströmen. Diese Requisiten begleiten die komplette Aufführung. Das funktioniert überraschend gut, denn die ollen Kisten hab's in sich! Wenn sich die ein oder andere Klappe öffnet, erscheint dahinter eine ganz eigene Szenerie - zum Beispiel das Wohnzimmer der Mondegos samt den darin sitzenden Mondegos. Außerdem krackselt der ein oder andere Akteur schon mal gerne im Hintergrund auf den Boxen rum, um die Dialoge im Vordergrund zu belauschen. Die Kisten bringen also gleich in mehrfacher Hinsicht viele 'Ebenen' auf die Bühne, und zudem besondere optische Reize, wenn beispielsweise echte Flammen aus der Holzkulisse schießen - natürlich zum Vanden Plas-Song "Free The Fire", ein besonders packender Moment!
Die Vanden Plas-Version der Geschichte und diese Inszenierung von Urs Häberli im Speziellen stecken voller besonderer Drehs. So zersplittert das Verlangen nach Rache Edmond Dantès in zwei Charaktere. Auf der einen Seite steht "Christ0" ( Andy Kuntz), instinktgesteuert, kaltblütig und besessen. Sein Gegenpart und Widersacher, aber zugleich sein Alter Ego ist Inspektor X ( Ulrich Wewelsiep). Der will die Morde aufklären, nicht wissend, dass er selbst ein Teil des Mörders ist. Das Verhältnis zwischen Jäger und Gejagtem, zugleich ein Sinnbild innerer Zerrissenheit, wird in Kaiserslautern von beiden Schauspielern brillant zum Ausdruck gebracht. Oft stehen beide gemeinsam auf der Bühne - manchmal einer nur als Beobachter im Hintergrund. Genial, wie sich Teile ihrer Texte ergänzen und miteinander vermischen...
... somit wird das Verhältnis zwischen Christ0 und Inspektor X auch zu einer Art Psycho-Krimi. Dessen Höhepunkt wird beim Song "Wish You Where [!] Here" erreicht - nur eines von vielen Beispielen, wo Stücke vom Album "Christ0" von der Band im Orchestergraben geschmettert werden: gewohnt heavy, technisch detailliert, sperrig und vertrackt, also ohne (falsche) Rücksicht auf ein womöglich irritiertes Theaterpublikum - aber auch in vielerlei Hinsicht in neuem Gewand! So erklingt eben jener epische Longtrack "Wish You Where Here" nicht nur mit dem tiefen, opernhaften und körperbetonten Gesang Ulrich Wewelsieps, während dieser sehr überzeugend die vernichtende innere Zerrissenheit seiner Rolle auf die Bretter bringt. Das Stück wird auch noch in mehrere Parts unterteilt - zwischenzeitlich treiben gesprochene Passagen die Handlung voran.
Dieser Wechsel zieht sich so durch die gesamte Vorstellung - gesprochen wird auf Deutsch und gesungen auf Englisch, zum Teil deutsch übertitelt. Dramaturgisch wirkt das sehr stringent - und durchaus gut verständlich! Denn viele Texte des Vanden Plas-Albums wurden umgeschrieben - so, dass sie konkreter werden und so, dass sie auf mehrere Rollen verteilt werden können. Klar gibt es auch Gesangs-Monologe - aber bei den Kollektivauftritten wird's natürlich richtig schön dramatisch, wie beim beeindruckenden Show-Down ganz am Ende zwischen Edmond Dantès und dem einzig verbliebenen Bösewicht Villefort. Die beiden liefern sich zu den schwermetallischen Klängen des Titel-Songs "Christ0" nicht nur ein Gesangs-, sondern auch noch ein Degen-Duell, dass einem der Atem stockt.
Außer zahlreichen Songs des "Christ0"-Albums hat die Band um den musikalischen Leiter der Inszenierung, Keyboarder Günter Werno, auch noch Material anderer Album eingebaut und sogar Songs neu geschrieben. Den Fans bestens bekannt sein dürfte zum Beispiel "Judas", ein Vanden Plas-Klassiker vom ersten Album, das hier als Terzett dreier Fantasiefiguren gesungen wird, die Inspektor X in einem Albtraum erscheinen. Der Song stand auch schon in München auf dem Programm, nicht aber das "Far From Grace"-Stück "I Can See". Aber in München war auch die Rolle des alten Seemanns Faria bei weitem nicht so ausgeprägt. "I Can See" ist sein 'Monolog' - für Kenner des Songs ganz ungewohnt mit dieser sonoren, aber so charakterstarken Stimme von Schauspieler Peter Nüesch. Mit seiner Darstellung verleiht er der Figur des Faria, der immer wieder als mahnende Stimme, als eine Art väterlicher Freund von Christ0 auftaucht, Würde und Menschlichkeit und sammelt auch beim Publikum große Sympathie.
Eigens fürs Theater geschrieben wurden mehrere Stücke, die einerseits notwendig waren, um die Handlung voranzutreiben, andererseits, um als Ergänzung zum anspruchsvollen Prog Metal-Stoff auch noch ein wenig Musical-Flair zu verströmen. Dazu gehört das bombastische "Welcome To The Feast", bei dem (wie so oft und in vielfältiger Weise!) der Chor mit auf der Bühne agiert. Aber auch "Hurricanes And Butterflies", ein Quintett, das die vielen unterschiedlichen Stimmen zusammenführt. Und "Isn't It A Wonder", ein ziemlich herzerweichendes Duett des jungen Liebespärchens Albert Mondego und Valentine Villefort, das unfreiwillig in die Machtintrigen ihrer Eltern verwickelt wird.
Da hat man es allerdings etwas übertrieben mit dem Herzschmerz... 'Tu es nicht!' dachte sich so mancher Theaterbesucher... doch es war zu spät. Albert und Valentine hatten den Papier-Heißluftballon schon zweihändig und gemeinsam von der Tapete in Valentines Kinderzimmer abgelöst und an den langsam herabgesenkten Fleischerhaken gehängt und schauen ihm nun hinterher, wie er zusammen mit ihren Träumen von einer gemeinsamen Zukunft gen Theaterdecke entfleucht. Mei, das war schon ein zünftiger Griff ins Schmalztöpchen, und beinahe bekam man die astreine (!) Gesangsleistung der jungen Schauspieler Julian David und Nadine Eisenhardt gar nicht richtig mit...
Nicht sehr überzeugend wirkte auch zuweilen die Interpretation der Mercédes durch Astrid Vosberg. Das mag nicht an ihr, sondern eher am Skript gelegen haben. Zwar brillierte sie mit einer neuen Version von "I Don't Miss You" ("Far Off Grace") - alleine und im Duett mit Andy Kuntz. Doch die Mercédes stand die meiste Zeit über, von ihrem Schicksal und einem viel zu steifen Schirmkleid gequält, recht passiv auf der Bühne rum. Zumindest fiel sie wenig auf. Dafür aber um so mehr Randy Diamond als fieser Schurke Villefort, Peter Nüesch als Faria, Ulrich Wewelsiep als Inspektor X und natürlich der stimmlich wie spielerisch eine enorme Präsenz ausstrahlende Andy Kuntz.
So wurde die "Christ0"-Premiere im Kaiserslauterer Pfalztheater mal wieder ein viel umjubeltes Heimspiel für den Star des Abends und seine Band, auch wenn sich das Publikum mit dem Aufstehen etwas schwerer tat als bei vorhergegangenen Vanden Plas-Rockopern. Am Ende zogen Kuntz & Co. dann doch noch mehrere Zugaben zum Mitklatschen durch, und es kam nochmal Partystimmung auf. Trotz ein paar Mankos und weniger überwältigenden Momenten als 2008 in München: Jeder, der auf Prog Metal steht und sich dieses Stück entgehen lässt, ist selbst Schuld. Etwaige Befürchtungen, Vanden Plas führen hier einen Schmusekurs im Musical-Mainstream, sind fehl am Platz. Es gibt Double Bass, Gitarrensoli, filigrane Parallelläufe und Rhythmuswechsel - und all das in ausgefeilter Harmonie mit Opern-, Theater- und Musical-Elementen. In so fern ein nicht alltäglicher Theaterabend, an dem zweidreiviertel Stunden wie im Fluge vergehen.
Besetzung:
Edmond Dantès / Christ0 - Andy Kuntz
Inspektor X - Ulrich Wewelsiep
Mercédes - Astrid Vosberg
Villefort - Randy Diamond
Faria - Peter Nüesch
Albert Mondego - Julian David
Valentine Villefort - Nadine Eisenhardt
Fernand Mondego - Stephan Hugo
Mme. Danglars / Double Mercédes (2. Akt) - Anna Port
Double Edmond (2. Akt) - Holger Schindler / Sven Baqué
Die Band Vanden Plas:
Andreas Lill (drums)
Stephan Lill (guitar)
Torsten Reichert (bass)
Günter Werno (keyboard, piano)
Extra-Chor des Pfalztheaters
Ballett des Pfalztheaters
Statisterie des Pfalztheaters
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