Erst als er sterben muss, fällt ihm auf, was für ein mieser Typ er doch zeitlebens gewesen ist. Auf den letzten Drücker kommt er mit sich und seinen Mitmenschen ins Reine. Das ist die Story des 'Jedermann' in zwei Sätzen - so easy, und doch steckt da so viel drin: das menschliche Bedürfnis nach Grundvertrauen und seelischer Geborgenheit, der Kampf gegen die Versuchungen von Geiz und Überheblichkeit, die Angst vor dem Tod. Und deshalb kam und kommt dieser Stoff auch nie aus der Mode. Am bekanntesten ist er unter dem Namen "Jedermann. Das Spiel vom Sterben des reichen Mannes" - vor gut 100 Jahren von Hugo von Hofmannsthal auf die Bühne gebracht und bis heute jährlich bei den Salzburger Festspielen zu sehen. Hofmannsthal bediente sich gleich mehrerer Quellen, vor allem aber bei einem englischen Autor aus dem 15. Jahrhundert, dessen Name nicht überliefert ist. So ist der englischsprachige Titel "Everyman" der aktuellen Inszenierung am Kaiserslauterer Pfalztheater keine Neuerfindung. Dafür setzt die Umsetzung ein modernes Ausrufezeichen!
Vanden Plas machen wieder mächtig Theater. Die Pfälzer Prog Metaller hatten (neben anderen Bühnen-Engagements wie "Abydos", "Ludus Danielis" und anderen) schon ihr Konzeptalbum Christ 0 als Rockoper inszeniert und zuletzt Wolfgang Hohlbeins Chronik der Unsterblichen gar zuerst gespielt und dann auf Platte gepresst. Danach grübelten Band und Theater über ihr nächstes Thema. Die Wahl fiel auf "Jedermann". Mit der Idee ging Johannes Reitmeier, Ex-Intendant des Pfalztheaters, schon länger schwanger, und konnte damit auch die Jungs von Vanden Plas begeistern. Er, Keyboarder Günter Werno (musikalischer Leiter), Sänger Andy Kuntz und Gitarrist Stephan Lill schufen diese "Everyman"-Fassung.
 In der spielt der in Lautern gut bekannte Musicalmann Randy Diamond den Everyman. Everyman ist reich, eitel und arrogant und lässt das raushängen, wo es nur geht. Mit weißem Anzug, Sonnenbrille und Exklusiv-Smartphone im Glitzerlook feiert er elitäre Partys mit seinen snobbig-reichen Freunden, zwischendurch nimmt er in seinem sorgenfeien Leben mal Golf- und Tennisschläger in die Hand. Es geht zu wie bei Geissens im Fernsehen - "Everyman" spielt hier und heute. Augenzwinkernd packt man in seine Tanz-Moves auch ein Stück "Saturday Night Fever" und "Gangnam Style". Immer wieder beschleicht Everyman aber ein ungutes Gefühl, begleitet vom Heulen des Windes oder dem Ticken einer Uhr. Da läuft jemandes Uhr ab und es deutet sich etwas an: der Besuch des Todes höchstpersönlich.
 Der schleicht ab und an schon im Hintergrund umher, bevor er seinen ersten Solo-Auftritt hat. Er ist so etwas wie die 'heimliche Hauptfigur'- in Kaiserslautern insbesondere, denn hinter dem unheilvoll-schwarz-weiß-geschminkten Flügelträger steckt Andy Kuntz. Und siehe (und höre) da: Hier schwingt doch gleich eine ordentliche atmosphärische Portion ' Vanden Plas' mit. Denn abgesehen von Günter Wernos typischen Synthie-Klängen glänzt das Stück "Der Triumph des Todes"/"Death" mit einem packenden Refrain ganz im Stile der Band. Düster und hypnotisch, ausgestattet mit aufstrebender Melodic Metal-Melodie - und so straight, dass das auch fürs Theater perfekt passt, denn es geht direkt ins Ohr. Auch der Teufel kriegt mit "Die Hölle fordert ihre Rechte"/"This Is Enough" so einen eindringlichen Riff-Rocker mit starkem mehrstimmigen Finale.
Viele andere Stücke sind 'typisch' Rockoper - Musical-Style mit angenehm erhöhtem Riff-Faktor; und die Autoren schaffen es im Großen und Ganzen, die zwangsweise einfachen Stücke doch dank kleiner epischer Spannungskurven reizvoll zu halten. "Ein reicher Mann"/"A Pleasant Home", "Das große Fest"/"The Banquetry" und "Tanz auf dem Vulkan"/"Carousal Of The Rats" sind Schmetterrock-Hymnen, die sich nach und nach zu opulenter Vielstimmigkeit aufschwingen. Apropos viele Stimmen - an dieser Stelle sollte erwähnt werden, dass der Chor des Pfalztheaters eine blitzsaubere Leistung abliefert. Der Chor spielt mit, zum Beispiel als bettelnde 'Unterschicht' am Anwesen Everymans, und schmettert im Stehen, Laufen oder Liegen eine Gänsehaut erregende Klangwand in den Raum.
 Mit ruhigen 'Klage-Soli' wie Everymans Stück "Letzte Hoffnung"/"Forfeit" oder dem glockenhellen Gesang seiner Geliebten in "Der Ruf aus dem Jenseits"/"Paramour Prelude" finden sich natürlich auch Balladen im Programm. Die große Stärke von "Everyman" sind die heftigen musikalischen Stimmungswechsel, die das seelische Innenleben der Hauptfigur so gut ausdrücken: der Wechsel zwischen lyrischen, launig-rockenden und beschwörend-dramatischen Atmosphären. Der flüsternde Tod in "Der Ruf auf dem Jenseits"/"The Shift" oder auch der opernhafte Auftritt des Glaubens zu Pathos-beladener Kirchenorgel in "Rückkehr zum Glauben"/Confession" zählen zu den gewissen Extra-Momenten.
 Ganz ohne 'Respekt' für die Protagonisten spielt und singt sich zwischenzeitlich noch Astrid Vosberg ins Herz der Zuschauer - auch sie hatte schon viele starke Rollen am Pfalztheater. Ihr eindringlicher, emotionaler Auftritt als Everymans Mutter ist schon klasse. Und dann haut sie im zweiten Teil der Show als Mammon, Everymans personalisiertem Reichtum, aber derart einen raus! "Irdische Güter"/"Mammon" ist ein schmissiger, mitreißender Hard Rocker mit 80er-Jahre-Keyboards. Alle auf der Bühne haben golden glänzende Klamotten an, und es würde passen, wenn gleich auch noch Alice Cooper auf die Bühne käme. Astrid Vosberg braucht aber keinen Duettpartner. Sie türmt ganz allein die unglaublichsten Töne übereinander. Es wird einem ganz heiß und kalt - sensationell!
Everymans späte Suche nach dem Seelenheil soll uns allen einen Spiegel vor Augen führen - und dafür hat man am Pfalztheater eine simple, aber überzeugende Kulisse gebastelt. Gespielt wird unter einer Art Kuppel, einem angedeuteten Firmament, das aus beweglichen Dreiecken zusammengesetzt wurde. Wir befinden uns also irgendwo und zugleich überall auf der Erde. Und auch ansonsten ist man in Sachen Ausstattung erfrischend pragmatisch: Everyman verteilt seine Geschenke an die bettelnden Leute aus Mülltonnen. Die Gute Taten aus dem Leben Everymans treten hier als gebrechlicher Intensivpatient am Tropf auf. Die Netz- und Nietenklamotten der Helferlein des Todes dürften zudem aus der Fetischecke des Erotikshops stammen. Passt.
 Manch einem mag die Message am Ende etwas zu christlich sein: Everyman findet zurück zu seinem Glauben. Er wischt dem Teufel eins aus, erlangt nach seiner Last-Minute-Läuterung als guter Mensch sein Seelenheil und kann als glücklicher Mann auf seine letzte Reise gehen. Ob arm oder reich - vor Gott sind wir alle gleich; und keiner wird allein gelassen. Letztlich sind Moral und Menschlichkeit aber Themen, zu denen wir sicherlich nicht nur über die Religion einen Zugang finden können oder müssen. Und so erleben wir mit "Everyman" im Pfalztheater die moderne Umsetzung zeitlosen Theaterstoffs. Diese zweieinhalb Stunden sind richtig gute Unterhaltung sowohl für Musicalfreunde, die ein paar Girarrenriffs vertragen können als auch für Rockfans, die ein kleines bisschen Kitsch hier und da mit einem Augenzwinkern in Kauf nehmen. Viel Spaß!
Besetzung:
Everyman, ein Jedermann - Randy Diamond
God, Gott - Andy Kuntz
Death, der Tod - Andy Kuntz
Fellowship, Jedermanns Gesell - Maciej Salamon
Cousin, Jedermanns dicker Vetter - Peter Floch
Kindred, Jedermanns dünne Base - Monika Hügel
Mother, Jedermanns Mutter - Astrid Vosberg
Paramour, Jedermanns Geliebte - Adrienn Čunka
Master Of Ceremonies - Bernhard Schreurs
Goods, Jedermanns Mammon - Astrid Vosberg
Paramour, Jedermanns Geliebte - Adrienn Čunka
Confession, Jedermanns Glaube - Peter Floch
Devil, der Teufel - Maciej Salamon
Angel, ein Engel - Monika Hügel
Drei 'Cash-Girls' - Lisana Hunsinger, Charlotte Seeger,Jutta Mitschke, Janina Kalweit
Weitere Chorsoli: Jasmin Becker, Katharina Heister, Ines Pawlowski, Markus Greß-Heister, Stephan Hugo, Christian Köbler, Holger Schindler
Ballett des Pfalztheaters
Extrachor des Pfalztheaters
Junges Vokalensemble
Statisterie
Vanden Plas:
Günter Werno (keyboards)
Andreas Lill (drums)
Stephan Lill (guitar)
Torsten Reichert (bass)
Externe Links:
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