Große weibliche Stimmen in der Rockmusik haben ein Zuhause - RockTimes! So oder ähnlich könnte man es ausdrücken, wenn ich mir so ansehe, wie viele geile Shouterinnen wir in der jüngeren Vergangenheit kennen gelernt und beobachtet haben. Joanne Shaw Taylor, Dani Wilde, Samantha Fish, Dana Fuchs, Erja Lyytinen und Jessy Martens sind nur Einige von den hervorragenden Musikerinnen, mit denen sich die Redaktion in der letzten Zeit näher befasst hat. Die Liste ließe sich noch beliebig fortsetzen. So muss uns um die Zukunft in Sachen Blues und Blues Rock mit weiblicher Beteiligung nicht bange sein. Hier ist die Frauenquote, im Gegensatz zu anderen Bereichen, absolut kein Thema. Außerdem fällt auf, dass die meisten Ladies auch an der Gitarre richtig was drauf haben. In diesem Bereich sieht die Zukunft echt rosig aus.
Die nächste Dame in diesem Genre hört auf den Namen Carolyn Wonderland, feiert am 9. November ihren vierzigsten Geburtstag und ist nun wirklich kein Greenhorn in Sachen Musik mehr. Die Sängerin aus Austin, Texas, ist bereits seit 1993 on the road und kann inzwischen auf neun Album-Veröffentlichungen zurückblicken. Trotzdem ist sie in Deutschland noch ein relativ unbeschriebenes Blatt, und auch die RockTimes-Redaktion wurde erst ziemlich spät auf sie aufmerksam. Aber zum Glück haben wir ja unseren Bluesbruder Joe, der sich der letzten beiden Longplayer Miss Understood (2008) und Peace Meal (2011) angenommen und uns die Dame so etwas näher gebracht hat. Und mir wurde wieder Mal die Ehre zuteil, Carolyn Wonderland als erster Redakteur live auf der Bühne zu erleben. Erneut perfekte RockTimes-Teamarbeit!
Als die in Amerika bereits mehrfach ausgezeichnete Sängerin [beste Bluessängerin (2000, 2009, 2012), beste Songwriterin (1999) und beste Blues Band (1996, 2009)] mit ihren beiden Kollegen die Bühne der Bluesgarage betrat, hatten sich so cirka zweihundert Zuschauer versammelt. Ein sehr guter Besuch für eine Gruppe, die zum ersten Mal in Isernhagen zu Gast war. Auch ich war sehr gespannt was uns an diesem Abend erwarten würde, denn diesmal hatte ich mich gar nicht auf das Konzert vorbereitet, sodass ich völlig wertfrei und ohne jegliche Erwartungshaltung in den Gig gehen konnte. Auch das kann durchaus von Vorteil sein, denn man erspart sich die Gedanken, welche Songs denn wohl gespielt werden und auf welche in der Setlist verzichtet werden würde. Die Konzentration konnte ganz auf die musikalische Darbietung gelenkt werden.
Zunächst einmal fiel auf, dass das Schlagzeugpodest diesmal gar nicht genutzt wurde, sondern lediglich zu Ablagezwecken diente. Dafür befanden sich die Keyboards und die Schießbude links und rechts am Bühnenrand, wobei Cole El-Saleh und Rob Hooper jeweils mit dem Gesicht zur Mitte platziert waren. Sicherlich auch nicht der Normalfall, aber so bekam man speziell beim Drummer mal ganz ungewohnte Einblicke in die Schlagzeugarbeit, die einem sonst verwehrt werden. Und im Mittelpunkt platzierte sich die kleine Carolyn Wonderland. So entstand schon rein optisch ein Gefühl der Zusammengehörigkeit. Vielleicht war auch deshalb die Anordnung so gewählt worden.
Als die Show dann begann, nahm Carolyn zunächst auf einem Stuhl Platz und begann das Set mit der Lap Steel. Und schon verbreiteten sich wohlige Schauer über den Rücken. Diese warmen, singenden Töne jagten den Zuhörern einen Adrenalinstoß nach dem anderen durch den Körper. Dazu setzte Rob Hooper am Schlagzeug gleich von Anfang an seinen gesamten Körper ein. Das komplette Drumkit vibrierte in seinen Grundfesten und wurde zu einer Einheit mit dem Musiker. Herrlich, dieses brodelnde Kraftwerk direkt vor der Nase zu haben. Und da das ganze Gerät auch noch relativ flach aufgebaut war, herrschte freie Sicht auf die Aktivitäten des Mannes hinter der Schießbude.
Auch Cole El-Saleh machte einen prima Job an seinen Keyboards. Immer wieder setzte er die Tasten als willkommenen Gegenpart zur Gitarre ein, sodass tolle Zwiegespräche von Orgel und Klampfe stattfanden. Und Carolyn Wonderland tat gut daran, ihm genügend Freiräume zu lassen, was sie mit ihrem 'mannschaftsdienlichen' Spiel auch perfekt umsetzte. Zu keinem Zeitpunkt gab es überflüssige Frickeleien. Dafür stand einzig und allein das Zusammenspiel im Vordergrund. Außerdem verzichtete die Band auf einen separaten Bassisten, sodass El mit dem Key Bass noch eine zusätzliche Aufgabe hatte, die er ebenfalls perfekt meisterte. Schon beim Konzert von Josh Smith im letzten Jahr hatte ich diese Konstellation beobachten können, und auch da fiel der fehlende Mann an den dicken Saiten absolut nicht ins Gewicht.
Doch über allem schwebte die Stimme. Was diese kleine Person da so von sich gab, war schlichtweg großartig. Immer wieder spielte Carolyn mit ihren eigenen Vocals, indem sie sich vom Mikrofon entfernte und wieder näherte, sodass der gute Henry hinter seinem Mischpult voll gefordert wurde. Und wer aus mehr als einem Meter Entfernung vom Mikro noch einen astreinen und kräftigen Gesang rüber bringt, dem ist nun wirklich ein tolles Stimmvolumen zu bescheinigen. Das war ganz großes Kino, egal, ob es rockig, bluesig oder balladesk-ruhig zur Sache ging. Carolyn Wonderland machte das jedenfalls einfach großartig.
In der Setlist gab es einen bunten Mix aus Eigenkompositionen, natürlich vorwiegend aus dem aktuellen Album, und sehr gelungenen Coverversionen, denen aber allesamt ein ganz eigener Stempel aufgedrückt wurde. Dabei sorgte vor allem der Canned Heat-Klassiker "On The Road Again" bei mir für eine absolute Hühnerpelle. Auch das legendäre "Dust My Broom" wurde hervorragend interpretiert. Und doch war das Janis Joplin-Cover "What Good Can Drinkin' Do" noch einen Tick stärker. Hier konnte man tatsächlich vor seinem geistigen Auge die texanische Legende bildlich ganz nah vor sich sehen. Für mich persönlich war dieser Song das absolute Highlight des Abends.
Insgesamt war dieses Konzert eines der variabelsten, die ich in der letzten Zeit miterlebt habe. Besonders beeindruckend waren dabei die Songs mit der Lap Steel, bei denen ein ums andere Mal Anleihen von Delta Moon hörbar waren und die mit tollen Roots Music-Klängen zu überzeugen wussten. Des Weiteren gingen die Sounds auch in die Bereiche Rock, Blues und Blues Rock. Sogar vor lateinamerikanischen Rhythmen schreckte die Band nicht zurück, wobei in diesem Song sogar noch ein perfektes Schlagzeugsolo mit eingebaut wurde, was eine sehr interessante Variante darstellte.
So erlebte die Bluesgarage ein qualitativ sehr hochwertiges Konzert von einer Frau, die sehr viel zu sagen hat. Ich bin mir sicher, dass Carolyn Wonderland nicht zum letzten Mal in Isernhagen zu Gast war.
Line-up:
Carolyn Wonderland (vocals, lap steel, guitar)
Cole El-Saleh (keyboards, key bass, backing vocals)
Rob Hooper (drums, backing vocals)
Externer Link:
|