Legends …
»Wichtig war es mir, ihn noch einmal live erleben zu dürfen, diese Show noch einmal mitnehmen zu können, denn im Grunde hatten wir Herrn Winter ja schon vor etlichen Jahren ein schnelles Ende vorhergesagt. Also, in diesem Sinne, ergreift die Chance, solange es noch geht.« - diese Aussage des geschätzten Kollegen Jochen nach seinem Konzertbesuch
vor gut anderthalb Jahren war es sicher nicht allein, dass ich mich an dem erstaunlich warmen Novemberabend auf nach Nürnberg machte. Vorweg das Erfreuliche: Der laut seinem Manager endlich von keinen Drogen- bzw. Drogenersatzstoffen mehr abhängige weiße Texas-Bluesman macht trotz seiner Klapprigkeit definitiv nicht den Eindruck, sich auf seiner letzten Runde zu befinden!
Der 'Hirsch' in Nürnbergs Süden ist der bekannteste Rockladen in der Frankenmetropole, hierhin wurde der Winter-Gig kurzfristig vom zunächst gebuchten Löwensaal verlegt, was sicher gut war. Die Location ist nahezu ideal mit genügend kostenlosen Parkplätzen drumrum, dazu weit entfernt von empfindlichen Nachbarohren. Über einen raucherfreundlichen Vorhof gelangt man in den Bau, der für diesen Gig genau die richtige Größe hatte und voll war. Das Publikum, erwartungsgemäß größtenteils über 50 und männlich, rekrutierte sich aus etlichen Ecken Süd- und Mitteldeutschlands. Mit diversen Aufnahmegerätschaften bewaffnet, die sie den Akteuren auf der niedrigen Bühne ebenso ungeniert wie penetrant unter die Nase hielten.
Es ist schon nicht einfach, wie man sich so einer 'Legende' gebührend nähern soll. Ehrfürchtig, schließlich ein 'Woodstock-Veteran', einst einer der beeindruckensten Guitar-Slinger im Rock-Universum und seit fast einem halben Jahrhundert auf der Bühne? Bewundernd und dankbar, dass er es doch offensichtlich durch die Drogenhölle geschafft hat und sich bis heute zu Tourneen aufrafft, um seinen Fans den Blues zu spielen? - Oder voller Mitleid und Unverständnis, dass er sich das noch stetig antut, getrieben von wem oder was auch immer? 38 Euro Eintritt für ein Rock-Konzert mit Starbesetzung - oder eine Freakshow?!
Ich hatte das Glück in diesem Jahr einige 'Legenden' erleben zu dürfen, mehr oder weniger im Alter des trotz seines Aussehens gerade mal 67-jährigen Johnny Winter. Alle durch das Stahlbad des Rock'n'Roll gegangen und nahezu genauso lang im Business. Aber kein Außenstehender würde glauben, dass sie und der Johnny aus einer Generation stammen…
Nach kurzem Intro durch die namenlose Band (deren Mitglieder ich nur aus dem Bericht des ROCKTIMES-Kollegen erfahren konnte) tappt das kleine Männlein mit seiner Lazer-Gitarre aus dem Dunkel zu seinem Bühnensitz und hievt sich hinauf auf den gepolsterten Stuhl. Von da ab könnte ich den Konzertbericht aus Limbourg fast 1:1 kopieren. Das Gesicht wie eine Maske, hockt der Greisenhafte auf der Vorderkante des Sessels, wahrscheinlich in den gleichen Klamotten (ebenso wie die restliche Band), wie bei jenem Auftritt in Belgien. Nur der Stetson auf den langen weißen Haaren ist ein anderer. Auf der reduzierten Gitarre ohne Kopfplatte scheinen die spindeldürren Arme mit ihren Tattoos und die knochigen Hände ein Eigenleben zu führen. Wie automatisch bewegen sie sich über die Saiten, mit einer Geschwindigkeit und Sicherheit, die angesichts des restlichen Erscheinungsbilds eigentlich unglaublich ist. Die auf früheren Aufnahmen zu sehenden überlangen Fingernägel der linken Hand, die eigentlich ein Greifen unmöglich machten, sind kurzgeschnitten. Mit dem rechten Picker-bewehrten Daumen reißt er flüssig die Saiten an, fast wie in seinen Glanzzeiten. Die Technik ist noch vorhanden oder wiedergewonnen, aber so wie die Mimik ist auch das Feeling: eingefroren! Singen kann man das auch nicht nennen, was da aus der PA kommt, ein einförmiges, raunziges Geheul, unverständlich, und das nicht nur wegen des überaus matschigen Sounds. Vorn ein einziger Geräuschbrei, hinten auch nicht viel besser. »Fantadosen-mäßig« meinte eine Zuhörerin treffend.
Und roboterhaft agieren zunächst auch die drei Mitstreiter, erstarrt in ihren Begleiterrollen hinter diesem zombiehaft wirkenden Albino. "Good Morning Little Schoolgirl" rockt ordentlich, "Got My Mojo Workin'" von der neuen Roots-CD dagegen bestenfalls durchschnittlich. Endlich mal ein Zucken in den Gesichtern bei "Johnny B. Goode", bei dem Ray Charles-Cover "Blackjack" kommt sogar etwas Groove auf. Es wird langsam. In einem Heavy Blues-Medley klingt es nach Hendrix, dann nach "Gimme Shelter". Blues Rock von anno dazumal, handwerklich zwar solide und routiniert, aber ohne jegliches Gefühl runtergenudelt. Ob die Fans auch so applaudieren würden, säße da vorn nicht der frühere Gitarren-Gigant Johnny Winter, bezweifle ich sehr. Jedenfalls bin ich nicht der Einzige, der vom Bierholen nicht mehr in den Saal zurückkehrt. Drinnen geht es nach rund 90 Minuten auf das Finale zu, mittlerweile hat der Frontmann zu seiner alten Firebird samt Röhrchen gewechselt. Und da zeigt er dann noch einmal, was ihn früher mit so einzigartig gemacht hat - ein Slidefeuerwerk der Extraklasse bei "Highway 61", das die Fans jubeln lässt.
Und dann ist Schluss, ohne Zugabe. Feierabend, der alte Bluesfreak hat es wieder einmal hinter sich gebracht, die Kohle verdient und darf sich nun in seinen Wohnwagen zurückziehen. Der Whisky wärmt die müden Glieder und die Erinnerungen an bessere Tage, morgen geht es weiter im Trott. Go, Johnny go …
Um es klarzustellen: Ich mag den Johnny Winter früherer Tage und ich bedauere auch nicht, zu diesem Konzert gefahren zu sein. Aber leider ist das eingetreten, was ich befürchtet hatte: Auch wenn er noch und vielleicht wieder besser spielen kann, als noch vor wenigen Jahren, er ist nur ein Schatten seines großen Selbsts. Wer zu seinem Konzert aus Legendenverehrung geht, wird das nicht tangieren und das ist o.k. Aber wer erwartet, dass hier ein Superstar früherer Tage halbwegs zu alter Verfassung wiedergefunden hat, der wird schwer enttäuscht sein. Da spielt es auch keine Rolle, ob der alte Mann aus eigenem Antrieb unablässig tourt oder ob ihn irgendwelche 'Umstände' dazu zwingen. Ich würde ihm jedenfalls gönnen, dass er seinen Whisky ohne Sorgen daheim auf der Veranda genießen könnte, statt den geschundenen Körper fast tagtäglich auf irgendeine Bühne schleppen zu müssen.
Im Vorprogramm überzeugte United Blues Experience und gewann sicher neue Fans. Das Trio mit den beiden Oberpfälzern Wolfgang Bernreuther (Gitarre, Gesang) und Rudi Bayer (Kontrabass) sowie der Polin Beata Kossowska (Gesang, Mundharmonika, Gitarre) begeisterte mit einem dreiviertelstündigen Programm aus Blues-Covern und eigenen Stücken, vorgetragen mit ansteckender Live-Performance und Feeling. Das war die feinere Kost des Abends, zumal auch bei Wohnzimmer-Lautstärke der Sound perfekt ausgesteuert war und (dank zuhörender Kulisse) bis nach ganz hinten problemlos durchdrang. Dass Bernreuther vorzugsweise auf Höfner-Gitarren spielt, die in der Nachbarschaft von Nürnberg gebaut werden, soll nicht unerwähnt bleiben.
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