Von wegen "Drive South"...
Southern-Rocker testen osteuropäische Straßen
Drive South Soll nur noch mal jemand in meiner Gegenwart über 'Europa' meckern... Drei Länder, drei Währungen, drei Sprachen und zwei richtig heftige Grenzen - da lernt man die Vorzüge der EU so richtig zu schätzen!

Ein Reisebericht: Erster von drei Teilen




Zwischenruf vom 01.10.2012


Steve Braun
Um an dem im Titel zitierten Hit von John Hiatt anzuknüpfen: Wenn der Braun'sche Dreier, durchaus road-tested, in Urlaub fährt, geht es - wie es sich für Southern-Rocker gehört - zumeist in Richtung Süden. Gelegentlich nach Westen - sehr viel seltener Richtung Nord. Jenseits der östlichen Landesgrenzen hat es uns noch nie verschlagen. Selbst der Osten der Republik ist ein nahezu weißer Fleck auf der persönlichen Landkarte geblieben. Beweggrund für diese, von langer Hand geplante Reise war ein lange gehegter Traum: einmal die Kurische Nehrung, diese weltweit einzigartige Dünenlandschaft, zu erleben. Nun hätte man dies ganz einfach per Fähre ab Kiel nach Klaipeda realisieren können. Aber warum einfach, wenn es auch umständlich geht? Quatsch - einen ganzen Arsch voll guter Mucke eingepackt und die sprichwörtliche polnische Gastfreundschaft samt katastrophaler Infrastruktur getestet.
Vier Wochen müssen es bei einem solchen abenteuerlichen Unterfangen schon sein - oft wird man einen derartigen Urlaubsantrag weder von seinem Chef noch von RockTimes genehmigt bekommen. Also, bei diesen die günstige Stunde nach einem verkaterten Wochenende genutzt. Die ganze Tragweite dieser Unterschriften wurde schon bald bereut und so heißt es nun - leicht abgewandelt »Drive East«!
Nehrung Was packt man vorzugsweise als Musik ins Auto, wenn man sechstausend Kilometer vor der Stoßstange hat? Selbstredend die Highway-Mucke schlechthin: Southern Rock. Da passte es vortrefflich, dass es in diesem Jahr eine ganze Reihe von erfreulichen Veröffentlichungen von Jung und Alt in diesem Genre gab. Kaum auf der Autobahn kam die extra für diesen Anlass aufgesparte, neue Lynyrd Skynyrd zum Einsatz. Joooh, eine deutliche Steigerung gegenüber der God And Guns, aber das war angesichts dieser recht dünnen Suppe auch nicht so schwer. Last Of A Dying Breed ist als Titel schon reichlich vermessen, wenn man berücksichtigt, was die Epigonen derzeit vom Stapel lassen. "Last Of..." pickt der Nachtschwalbe nicht eine einzige Krume weg. Jajaja, mir ist durchaus bewusst, dass man als Ewiggestriger abgestempelt wird, wenn man der Meinung ist, dass Skynyrd nie wieder an ihre Großtaten angeknüpft haben bzw. dies jemals wieder werden. Die Gedanken schweifen ab, während das Frankfurter Kreuz passiert wird und der Rundling zum zweiten Mal rotiert... Man zitiert sich durchaus gekonnt selbst, 'sumpfig' wie es sich gehört, und liefert endlich mal wieder gescheite Balladen ab. Die neue wie alte Fanschar kann man so gleichermaßen halbwegs befriedigen. Aber was ist von einem Skynyrd-Album zu halten, dessen mit Abstand bester Song, "Life's Twisted", ausgerechnet eine komplette Fremdkomposition ist?? Ronnie, Allen, Steve, Cassie, Billy und Leon drehen sich gerade in ihren Gräbern, während wir auf die A4 einbiegen und es nun endlich nach Osten geht.
Nehrung Zum Glück haben zwei Veteranen des Southern Rock - die beiden Jimmies, Van Zant und Hall (mit Dixie Tabernacle) - zwei überaus bemerkenswerten Scheiben vorgelegt, die das Grübeln über Skynyrd in produktivere Gefilde steuert. Leider geht Jimmie Van Zant die Genialität seines Cousins ab, aber für einige richtig starke Songs hat es durchaus gereicht. Es wären sicherlich mehr geworden, wenn seinem Erstling "Southern Comfort" (1996/2000) etwas mehr Erfolg beschieden gewesen wäre. Aber "Feels Like Freedom" ist insgesamt doch sehr erfreulich... Dixie Tabernacles "Nashville Swamp" sogar ein absolutes Must-Have für jeden eingeschworenen Southern-Rocker!
Mensch, die Autobahnen der Neuen Länder kommen auch so langsam in die Jahre. Die Baustelle als vereinendes Phänomen ist allgegenwärtig und der entstehende Flickenteppich fügt sich wunderbar in »blühende Landschaften« ein. Ein Trabi, im klassischen DDR-Einheits-Beige, wird rechts liegengelassen. Es soll der einzige auf der gesamten Reise bleiben, schade eigentlich. Dafür grüßen uns in unserer ersten Etappe, Görlitz, die letzten Überlebenden der DDR: der grüne Pfeil und das Ampelmännchen. War denn sonst wirklich nichts erhaltenswert??
Görlitz Die östlichste Stadt Deutschlands hat sich munter herausgeputzt. Nichts soll wohl mehr an die Vergangenheit erinnern. Rund um die überaus sehenswerte Stadtkirche St. Peter und Paul ist die im Zweiten Weltkrieg nahezu unzerstörte Altstadt an diesem Sonntag von wuseligem Treiben geprägt: Görlitz und ihr polnischer Nachbar Zgorzelenc feiern ihr Altstadtfest, diesmal unter dem Motto 'Mittelaltermarkt' oder genauer »Joh so sans, die oidn Rittersleit«... aaaah, wo sind wir da bloß hingeraten!?! Klar doch, im Mittelalter war natürlich alles viel besser und ich finde, dass eine durchschnittliche Lebenserwartung von 28,4 Jahren für ein erfülltes Leben völlig ausreicht. Aber diese fröhlich feiernden Romantiker sind eindeutig das kleinste Übel. Eine Handbreit über dem Boden schwebende Jünger Rudolf Steiners haben das Nasenflötenorchester der Waldorfschule Görlitz aufgeboten und verbreiten das pure Grauen. Ebenso wie jenseits der Brücke ein polnischer Neonazi, der stolz ein T-Shirt mit der (gotischen) Aufschrift »Deutschland 1933« spazieren trägt. »Dich hätten Deine Helden zum Steinekloppen in die Eifel verdonnert« möchte man ihm zurufen, doch eine breit geschlagene Nase und eine überaus dümmliche Visage raten eindeutig davon ab.
Da wenden wir uns doch lieber freundlicheren Gesichtern zu und die sind eindeutig dort zu finden, wo man Polnisch spricht. Ein Opa sitzt uns gegenüber, der mit einem seligen Gesichtsausdruck ein Stück saftigen Schweinebauch verspeist. Das strahlende Glück beweist: Opi hat sich schon die ganze Woche auf diesen Moment gefreut. Ich möchte ihm gerne einen sozialistischen Bruderkuss auf die fettverschmierte Schnute drücken, meine Frau kann mich aber im letzten Augenblick noch zurückhalten.
Der blöde Spruch »Flüsse verbinden« kommt uns, an der Neiße sitzend, in den Sinn. Selten ist uns deutlicher geworden, dass Flüsse in erster Linie trennen. So pittoresk sich Görlitz herausgeputzt hat, so beklagenswert erbärmlich ist der bauliche und infrastrukturelle Zustand von Zgorzelenc. Die Zeit scheint 1990 angehalten worden zu sein - kein Prinz ist in Sicht, dieses Dornröschen zu wecken...
Görlitz Für knapp Einszwanzig heißt es Treibstoff eintüten und das Abenteuer 'Polnische Landstraße' kann beginnen. Ich sag' euch: Soviel Blues kann man gar nicht mitnehmen, um dieses Unterfangen musikalisch korrekt zu begleiten. Gwyn Ashtons Neue (ein Review folgt in Kürze) haut ebenso auf die Socken, wie die Schlaglöcher auf die Stoßdämpfer - perfekter könnte man diesen 'Alptraum in Asphalt' nicht untermalen. Walter Trout käme jetzt gut, aber an den ollen Fischkopp hab ich beim Packen leider nicht gedacht. Energy Red von meinem Liebling Rob Tognoni entpuppt sich leider als energiearmes, laues Lüftchen. Nicht, dass die Scheibe schlecht wäre, aber der Aussie hört sich einfach etwas 'überspielt' an... und schon wieder hat er ein Album im Rohr!! Vielleicht täte es ihm mal gut, sich ein paar Monate lang Inspiration auf Polens Straßen zu holen - dann knallt's möglicherweise wieder richtig fett. Die knapp vierhundert Kilometerchen zu unserer zweiten Station, Posen, gestalten sich unerwarteter Weise zu einer kleinen Weltreise.
Posen Posen hat sich zu einer wichtigen Wirtschaftsmetropole Polens entwickelt, was die zahlreichen, wahnsinnig wichtigen Business-Kasper im ein paar Kilometer abseits, traumhaft im Warthe-Nationalpark gelegenen Lake Hotel beweisen. Wenn die zukünftige polnisch-türkische Geschäftsverbindung locker im Business English radebricht, hat dies einen ebenso hohen Unterhaltungswert, wie deren Anblick 'am Morgen danach'. Während Mutti zuhause (O-Ton) »das Geld zum Fenster raus wirft«, lässt der Business-Kasper zur Feier des Vertragsabschlusses die polnischen Discounter-Nutten auf dem Tisch tanzen. So schwer kann das Erwerbsleben eines viel gepriesenen 'Leistungsträgers der Gesellschaft' sein...
Posen präsentiert sich als eine zerrissene Stadt. Der Marktplatz ist ein bunt herausgeputzter, wunderschön anzusehender, touristischer Magnet - die endlosen Vorstädte bis zum Zentrum passiert man stattdessen besser mit geschlossenen Augen. Bank- und Versicherungspaläste sowie die ehemalige Partymeile zur EM 2012 stehen im krassen Kontrast zu der unverhohlen zur Schau gestellten, bitteren Armut. Überall wird munter nach dem Motto »nicht kleckern sondern klotzen« gebaut, doch ob hier die Lebensqualität der einfachen Leute verbessert wird, ist nicht abzusehen. Die im Reiseführer als »Insel der Stille« angepriesene Dominsel wird vom Beat der Presslufthämmer erschüttert - die diese umspülende Warthe ist im Stadtbereich nichts anderes als eine ekelerregende Kloake. Uns wird schnell klar: Dies war die letzte größere Stadt auf unserem Trip. Das wunderschöne Olsztyn (Allenstein) und das geschichtsträchtige Kaliningrad (Königsberg) müssen zwar dran glauben, aber wir sind einfach keine Stadtmenschen mehr...
Posen Eine Hammeretappe ins Masurische steht am nächsten Tag an - nicht unbedingt entfernungsmäßig, aber die polnischen Straßen fordern halt gnadenlos ihren Tribut in Form von verlorener Zeit. Mittlerweile haben wir die polnische Fahrweise (Rasen und Überholen wie eine Wildsau) perfekt adaptiert, was uns als Saar-Franzosen nicht sonderlich schwer fällt. Anders kommst Du hier einfach nicht vom Fleck weg...
Jetzt wäre es gut, eine anständige Portion AC/DC im Handschuhfach zu wissen - doch Pustekuchen, nichts richtig Hartes (also, der Fahrweise Entsprechendes) ist aufzutreiben. Die Neue der Nimmo Brothers ist zwar vom rüpelhaften Habitus genau passend, aber ihr Southern Rock ist ungefähr so aufregend wie meine erste Butterfahrt. Doch dann der GAF (größter anzunehmender Fehler): Ich schiebe die heiß und innig erwartete neue CD "Rooster Rag" meiner Helden Little Feat in den Player - die Laune nähert sich dem Gefrierpunkt. Jessas, Mary and Jupp, und darauf habe ich jetzt zwölf lange Jahre gewartet??? Ich meine, "Chinese Work Songs" war zwar alles andere als ein großer Wurf, aber dieses Payne/Barrere'sche Geknödel ist fast schon ärgerlich und lässt den 2000er Output in der Retrospektive wie eine kleine Heldentat (engl. Little Feat) klingen. Mal von der weitgehenden Inspirationsabstinenz abgesehen: Der stets durch sein druckvolles, verspieltes Drumming glänzende Richie Hayward fehlt an allen Ecken und Enden - so klingt es halt, wenn man den Bock zum Gärtner bzw. den Roadie zum Drummer machen will. Grausam - bis zur Ankunft im masurischen Mragowo (Sensburg) bleibt die Kiste aus!!
Masuren Das erste Ziel unserer Reise, Masuren, ist erreicht. Drei Tage lang wollen wir das ehemals deutsche Gebiet kennenlernen, wobei uns schnell klar wird, dass wir uns in dieser kurzen Zeit auf wenige 'Leuchttürme' beschränken müssen. Ebenso fix wird nach gefühlt fünfhundert Ostpreußen-Dokumentationen klar: Man reist in die Vergangenheit und findet... die Zukunft! Allen, die ein Deutschland in den Grenzen von 1937 zurücksehnen, sei gesagt: Das ehemalige Ostpreußen ist eindeutig polnisches Land! Nicht nur, weil es mehrfach gestohlen wurde, sondern weil hier tiefe Wurzeln wahrnehmbar sind - an allen Ecken und Enden. Zudem war hier immer Multikulti angesagt. Der baltische Stamm der Pruzzen, Deutsche, Polen, Litauer und Russen sowie Religionsflüchtlinge aus Westeuropa, wie Juden und Hugenotten, lebten hier friedlich miteinander. Man sprach weder Deutsch noch Polnisch sondern Masurisch, ein deutsch-polnisches Misch-Masch. Nachdem sich Friedrich der Große (»Jeder soll nach seiner Facon glücklich werden«) 1772 mal wieder Ostpreußen einverleibt hatte, wurde nichts an dieser liberalen Grundhaltung geändert. Erst mit der Reichsgründung 1871 fegte der olle Bismarck alles Polnische aus dem ostpreußischen Haus. »Wenn am deutschen Wesen die Welt genesen soll« erkrankt stets eine freie Gesellschaft!!
Dass die Polen stolz auf ihr Masuren und das geschichtliche Erbe sind, lässt sich an der liebevollen Restaurierung ihrer Kulturdenkmäler abschätzen. Im Gegensatz zum russischen Teil (wovon später noch zu berichten sein wird) hat man bereits kurz nach dem Krieg mit dem Wiederaufbau der prächtigen Ordensburgen begonnen. Die Backsteingotik der mächtigen Bauten von Lidzbark Warminski (Heilsberg) und Reszel (Rößel) sind europaweit einzigartig in ihrer Schönheit! In sozialistischen Zeiten wurde der Deutsche Orden noch als Raubritterbande diffamiert - heute geht man ganz unverkrampft mit dessem kulturellen Erbe um, das die Region für Jahrhunderte prägen sollte.
Einen Pflichtbesuch ist auch Onkel Dolfis vorletzte Wirkungsstätte, die sogenannte Wolfsschanze, wert. RockTimes-Hündin Luna kommt ungefragt ihrer geschichtlichen Verantwortung nach und legt vor dem Führerbunker einen riesigen, von Frolic-Rind-Karotte inspirierten Haufen ab. Rot vor braun - eine denkwürdige künstlerische Installation.
Masuren Kommen wir nun zum wichtigsten Parameter zur Beurteilung eines Gastlandes: der Kulinarik. Diese wird im Fortlaufenden immer wieder schlaglichtartig im Rampenlicht stehen. Ein Fazit darf bereits an dieser Stelle gezogen werden: In kulinarischer Hinsicht ist Polen eine echte Sensation!! In Masuren konnten uns vor allem der (warme) Wurstsalat mit verschiedenen schmackhaften, einheimischen Würsteln, Schweinesteak auf Pfifferlingen mit Buchweizengrütze, ein Entenbraten mit Äpfeln und masurischen Klößen sowie Masurenrollen (gefüllte Schweineschnitzel) begeistern. Kein Land für Vegetarier oder Schlimmeres - ein Hauptgericht ohne Fleisch gilt den meisten Polen als Verstoß gegen die Esskultur. Was für ein sympathisches Land... Einzig ein überaus leckerer Räuber-Puffer führte nächtliche Zwiesprache mit uns - vielleicht hätte man hier doch den einen oder anderen Wodka nachlegen sollen. Eine ordentliche Flasche Wein kostet übrigens am Tisch lächerliche zehn Mücken - ein anständiges Hauptgericht nur wenig mehr als die Hälfte. Also: Wer gern, gut und viel isst, dem sei Masuren wärmstens empfohlen!!
Masuren Noch keine Woche Polen und wir sind bereits tiefenentspannt! Zur Weiterreise, vorbei an den riesigen masurischen Seen und dem malerischen Mikolajki (Nikolaiken), Richtung litauische Grenze wandert also richtig relaxte Mucke in den hungrigen Player, wobei die neue Live-Scheibe eines weiteren Southern Rock-Urgesteins der ersten Stunde, Wet Willie, den Vogel abschießt. Erneut begegnet uns Jimmy Hall, diesmal derart seelenvoll, dass wir wie von selbst »Keep On Smilin'«. Diese Recken feuern mit Perlen ("She Caught Me Katy", "Lucy Was In Trouble" oder "Same Old Moon") statt Kugeln - und zwar im Minutentakt - und lassen den eher unglücklichen 2004er Silberling "High Humanity" mit Ric Seymour als Sänger vergessen. Die "Miles Of Smiles" kommt zwar im erbarmungswürdig spartanischen Pappschuber daher - trotzdem: unbedingt kaufen, Leute!!
Eher enttäuschend dagegen die neue Phil Hamilton - viel Country, aber für meinen Geschmack viel zu wenig vom angekündigten Red Dirt. Wirklich nicht schlecht gemacht, wird die Scheibe trotzdem wohl eher in den Tiefen des Country-Regals abtauchen. Saucool dagegen Bonnie Raitts nicht mehr ganz so frischer Silberling. Was die Grande Dame des Westcoast mit "Slipstream" abgeliefert hat, ist aller Ehren wert! Hier spürt man bei Komposition wie Produktion die ganze Routine einer in Würde gereiften Songwriterin - einer stets kritischen Stimme des 'anderen', des 'anständigen' Amerikas. "Slipstream" macht eindeutig glücklich und richtig breit grinsend erreichen wir die polnisch/litaunische Grenze...
Weiter zu Teil 2
Externe Links: