Livekultur
 Ein Loblied auf die kleinen Musikclubs und ihre Künstler



Zwischenruf vom 15.10.2013


Sabine Feickert
Die Weinfeste sind vorbei, die Blätter verfärben sich, der Herbst hält unaufhaltsam Einzug und mit ihm beginnt, sehr zur Freude (nicht nur) des geschätzten Kollegen Jürgen, die Club-Saison. Überall in der Republik öffnen nach mehr oder weniger intensiver und langer Sommerpause wieder die kleineren und kleinen Locations ihre Türen und laden zu Live-Events ein.
Musiker aus aller Herren Länder machen Station, jedes Genre wird bedient. Ein Kleintransporter, gelegentlich gar nur ein PKW, beladen mit Band, Equipment, Gepäck für mehrere Tage oder Wochen und natürlich dem niemals fehlenden Merchandiseköfferchen mit den letzten Alben.
Wir RockTimer sind jetzt wieder an so ziemlich jedem Wochenende unterwegs, gerade in diesen kleinen Locations. Es bieten sich Gelegenheiten zu Gesprächen, mit Musikern und Clubbetreibern. Und so sicher wie das Schlagzeugsolo im Gig, kommen bestimmte Themen nach der Show immer wieder zur Sprache. Erstaunlich, wieviele Musiker ihre Produktionen selbst finanzieren, neben ihren Auftritten auch ihre eigenen Veranstalter und Manager sind. Wie (überlebens-)wichtig diese Konzerte sind. Weil gerade diejenigen, die viel und ständig touren, keinen Butter- und Brotjob im Hintergrund haben, sondern wirklich und tatsächlich von ihrer Musik leben.
Während satten Millionären rote oder schwarze Teppiche ausgerollt werden, müssen ein paar Straßen weiter etwa gleichaltrige Berufsmusiker darum bangen, dass sie ihre Autoversicherung zahlen können. Große Namen garantieren ausverkaufte große Hallen, egal wie müde das, was sie da vorn abziehen, möglicherweise auch rüberkommt.
Um Missverständnissen vorzubeugen, ich will niemandem die persönlichen großen Helden madig machen, die Künstler, die vielleicht den eigenen Lebensweg schon so lange und intensiv begleiten, dass kein Weg zu weit und kein Ticket zu teuer ist, um sie auch dann nochmal zu sehen, wenn sie schon im Rollstuhl auf die Bühne geschoben werden.
Aber – so ganz unter uns – dass ein großer Name nicht unbedingt für (anhaltende) Qualität bürgt, ist doch schon lange ein offenes Geheimnis. Und doch scheinen die Namen wichtig zu sein. Oder was sonst ist der Grund dafür, dass Tributebands die Hütte zum Platzen bringen, während Originale, die vielleicht nicht jeden Tag fünfmal im Radio dudeln, um Zuschauer ringen?
Seit etwa eineinhalb Jahren pendeln mein Kollege Markus und ich nun gemeinsam zwischen Franks Bodega (Großkarlbach) und dem Ducsaal (Freudenburg), mit Abstechern ins Café Central (Weinheim), die Kammgarn in Kaiserslautern und andere Locations der näheren oder auch mal ferneren Umgebung. Teils ziehen uns Musiker, die wir bereits kennen und schätzen dorthin. Teilweise verlassen wir uns aber auch auf das Händchen der Clubbesitzer (gerade bei Ducsaal und Bodega), schauen zuvor vielleicht noch kurz in unseren Künstlerindex oder auf YouTube und lassen uns ansonsten auf uns bisher unbekannte Bands ein. Wir machten auf diesem Weg schon etliche Male echte Entdeckungen, die uns noch immer und immer wieder anziehen und begeistern. Musikalisch wie auch menschlich.
Ob nun die Australierin Toby mit ihrer unglaublichen Energie und ihrem mitreißenden Mix aus allen möglichen Musikrichtungen, die dabei gleichzeitig mit ihrer umwerfend sympathischen Art punktet, oder der nicht minder sympathische junge Gitarrist Philip Bölter, egal ob nun solo, mit Band oder als Session mit dem Australier Brett Hunt. Dacia Bridges, uns zuvor völlig unbekannt, die die Bodega rockte, dass uns Hören und Sehen verging. Delta Moon, die die schwülen Sümpfe des Mississippi in den Ducsaal transportierten oder Kozmic Blue mit ihrem so bewegenden wie überzeugenden Auftritt ebendort.
Durch all diese Erlebnisse wurde ich (nach Jahren mehr oder weniger intensiver, nicht ganz freiwilliger Abstinenz) vom Live-Virus reinfiziert. Und stelle immer wieder fest, dass Livemusik, und zwar die, die Ausdrucksmittel ihrer Schöpfer ist (und nicht 'anner Leuts Liedcher singe'), durch nichts zu toppen ist. Dass gerade diese Gigs in den kleineren Clubs, mit ihrem unmittelbaren und eindringlichen Erleben, in dieser ganz speziellen Atmosphäre, auf mich jedes Mal die Wirkung eines kleinen Urlaubs vom Alltag haben. Für zwei oder drei Stunden verschwindet alles andere.
Gerade auch bei der Musik, die völlig neu für mich ist. Sie erfordert ein viel intensiveres Darauf-Einlassen, als die Songs, die ich eh schon in- und auswendig kenne. Sicher ist das eine sehr individuelle Vorliebe, aber ich persönlich kann oft erst durch das Live-Erlebnis Zugang zu für mich neuen Musikstilen finden.
Warum ich das alles erzähle? Weil mich die Gespräche mit den Musikern nachdenklich gemacht haben. Weil diese Livekultur auf wackligen Füßen steht und in allererster Linie mit dem Publikum steht und fällt. Weil die Musiker und Veranstalter auf die zahlenden Gäste angewiesen sind.
Klar, ihr RockTimes-Leser seid eifrige Konzertgänger, Ihr wisst das natürlich. Aber vielleicht mögt Ihr diesen Artikel ja weiterverbreiten, in der Hoffnung (und die stirbt ja bekanntlich zuletzt), dass sich auch in Eurem Bekanntenkreis der eine oder die andere nochmal vom Live-Virus infizieren lässt. Mal Augen und Ohren offenhält, wo es auch in Eurer Gegend diese liebenswerten kleinen Locations gibt, in denen die Bands eine Plattform im realen Leben finden. In denen die Livekultur lebendig gehalten wird. Mit Euren Eintrittsgeldern und Merchandisekäufen könnt Ihr hier ganz direkt dazu beitragen, diese Musikszene zu erhalten.
Dass sie lebendig bleibt, liegt (auch) in Eurer Hand!