Das Lager der
Pink Floyd-Fans ist tief gespalten! Die sogenannten 'Barrettianer' glauben, dass
Waters & Co. 'ihrem'
Syd den Erfolg gestohlen und ihn sodann kaltherzig geschasst haben. Das Gegenlager sieht
Barrett als einen psychisch kranken Hochbegabten, der sich durch seine hochgradige Drogenabhängigkeit selbst aus dem
floyd'schen Kosmos herauskatapultiert habe. Der Schreiber dieses Reviews hatte sich selbstverständlich ebenfalls in diesem 'Stellungskrieg' bereits positioniert und sieht nach der Lektüre von "Mr. Pink Floyd" nun etwas differenzierter auf diese surreale Szenerie.
Michele Mari betrachtet
Syd Barrett, den 'verrückten Diamanten', durch ein Kaleidoskop der Erinnerungen von Freunden
Barretts, Musikern der damaligen Epoche, Roadies, Technikern, Managern und natürlich den
Floyds selbst. Das 'große Ego' von
Roger Waters schwebt, von allen anderen(m) völlig isoliert und abgekapselt, über dem Ganzen. Unklar bleibt allerdings - und das ist für den Leser etwas verwirrend - was historische Fakten und was Interpretationen
Maris sind und hier liegt der Schwachpunkt dieses Buches.
Aufgebaut ist dieser Roman wie eine fiktive Gerichtsverhandlung, in der dem Leser die Rolle des Richters zukommt. Da werden Anklagen aus dem Dies- wie Jenseits erhoben, Zeugen vernommen, Geständnisse abgelegt und gelegentlich dokumentarische Quellen - quasi als 'Gutachten' - vorgelegt. Wenn man dieses Prinzip verstanden hat, was durchaus ein gutes Dutzend der Anfangsseiten in Anspruch nimmt, lässt sich "Mr. Pink Floyd" sehr kurzweilig lesen.
Wenn ich nun nach dieser 'Hauptverhandlung' meinen eigenen, ganz persönlichen 'Urteilsspruch' fällen müsste, würde ich zu folgenden Thesen kommen:
1) Die Person
Syd Barrett ist mir, ebenso wie das komplexe
floyd'sche Beziehungsnetz, sehr viel klarer geworden - die tiefe, innige Liebe
Waters' zu seinem Freund aus Jugendtagen ebenso wie der Grund, warum nur
David Gilmour Syd Barrett ersetzen konnte.
Rick Wright darf nun auch nicht mehr in der 'bösen Ecke' stehen bleiben, denn es muss für einen studierten Musiker unerträglich sein, mit einem völlig unberechenbaren Zugedröhnten auf einer Bühne zu stehen. Ja, und
Nick Mason bringt es am besten persönlich auf den Punkt:
»Syd geht, Dave kommt, Roger verstößt Rick, macht sich daraufhin selbst auf und davon, dann holt Dave Rick zurück, ein einziges Kommen und gehen vor den Augen des armen Nick...« und bleibt somit seiner Rolle als Ferrari fahrende Randfigur treu.
2) Syd Barrett war schon als Kind 'anders'... 'besonders'... In vielen Kulturen galten (und gelten) psychisch kranke und/oder behinderte Menschen als direkte Verbindungen zu den Gottheiten. Er wurde 'groß', aber nicht erwachsen, und lebte in einer verzauberten Welt von Tieren und Fabelwesen, in die er seine Umgebung mittels seiner Songs winzige Einblicke nehmen ließ. Durch den exzessiven Konsum von LSD verfing sich
Syd in einer schwere Psychose, die ihn bis zu seinem Tod 2006 in weitgehender Umnachtung - dieser Euphemismus muss erlaubt sein - gefangen hielt.
3) Pink Floyd mit
Syd Barrett war eine völlig andere, im psychedelischen Pop verortete Band. Erst durch die Loslösung vom ehemaligen Kopf und Gründer konnten sich rockigere Töne Bahn brechen.
Große Teile von
Dark Side Of The Moon,
Wish You Were Here und
Animals waren dem 'Crazy Diamond' nicht nur gewidmet sondern sogar von ihm inspiriert - offenbar ebenso wie das Mammut-Epos "The Wall".
4) Syd Barretts musikalische Hinterlassenschaft, "The Madcap Laughs" und "Barrett", muss nun - man konnte es fast schon ahnen - kritisch hinterfragt werden, denn ohne die massive Hilfestellung
Roger Waters' und
David Gilmours wäre es nie zu einer Veröffentlichung gekommen. Die Verklärung und Vergötterung durch die 'Barrettianer' scheint völlig unangebracht.
5) Und um meine ganz persönlichen Rückschlüsse abzuschließen:
Syd Barrett war mit Sicherheit ein 'Crazy Diamond' - allerdings ein ungeschliffenes Exemplar, das, wie bei vielen anderen an sich selbst gescheiterten Musikern, niemals seinen wahren Glanz entfalten konnte.