Eine Band, zwei Sichtweisen.
Jürgen Hauß fängt an:
Wer schon jemals auf Santorini war, kann sich dem Charme dieser Insel kaum entziehen. Hier lässt es sich schön leben, zumal, wenn man sich für die Produktion einer neuen CD in die dortigen, ausgesprochen komfortabel eingerichteten Black Rock-Studios zurückziehen kann (wobei sich diese Anmerkung nicht in erster Linie auf deren technische Ausstattung bezieht!). Aber einem Joe Bonamassa kann man ja durchaus einen Hang zum Luxus nicht absprechen, wenn man sieht, wie er den Fußboden der von ihm betretenen Bühnen auslegen lässt!
Nicht weiter verwunderlich, dennoch aber eine Bemerkung wert ist der Hinweis, dass es offenbar 'in Mode kommt', CDs keinen eigenständigen Titel zu geben, sondern sie nach dem Aufnahmestudio oder aber - wie bei Henrik Freischladers letzter Scheibe geschehen - nach dem Aufnahmeleiter zu benennen.
"Black Rock" in der mir vorliegenden Limited Edition Deluxe-Version kommt im schlichten, schwarz-goldenen Digipack daher - leider etwas größer als standardmäßige CD-Hüllen; es wird daher nicht in jedes CD-Regal passen! Das Cover bildet die Steilküste der Insel ab. Eingeheftet ist ein 32-seitiges Booklet, das - eingerahmt von zwei typischen Fotos der Insel - jede Menge Anmerkungen zu der Produktion, den einzelnen Titeln einschließlich der abgedruckten Songtexte sowie zahlreiche Fotos, die während der Aufnahmen entstanden sind, enthält. Außerdem kommt in einem Interview der Produzent des Albums, Kevin Shirley, der auch schon für das Vorgängeralbum The Ballad Of John Henry verantwortlich war, zu Wort. Den Höhepunkt für jeden Musiker - und sicherlich ein Anblick zum neidisch werden - stellt das in der Mitte des Booklets doppelseitige Bild von Joe Bonamassa vor einer Unzahl von Gitarren und Verstärkern dar (obwohl er für die Aufnahmen angabegemäß 'lediglich' 14 Gitarren eingesetzt hat).
Doch auch über die Musik lässt sich etwas sagen. Die Scheibe enthält 13 Tracks, davon lediglich fünf Eigenkompositionen, die zudem überwiegend erst während des Aufenthalts auf Santorini entstanden sind und daher auch griechische Einflüsse enthalten sollen. Nachdem das Verhältnis Eigen- zu Fremdkompositionen auf dem vor gerade einem Jahr erschienen Vorgängeralbum noch umgekehrt war, ist es angesichts der zwischenzeitlich noch durchgeführten Tour kein Wunder, dass nicht mehr neues Material zur Verfügung stand.
Mit einem Kracher geht es direkt los: "Steal Your Heart Away" - nicht 'Black Rock', sondern Blues Rock vom Feinsten! Hart die Riffs, typisch der Gesang.
"I Know A Place", ein Slow-Blues des begnadeten John Hiatt, dennoch kaum weniger hart dargeboten als der erste Titel.
Für den nächsten Song, "When The Fire Hits The Sea", gibt Joe als Inspiration seinen Aufenthalt in Griechenland an, bei dem ihn besonders beeindruckt habe, wenn die Sonne 'wie ein Feuerball' ins Meer versunken sei. Nun ja, für die Titelzeile mag die Inspiration nachvollziehbar sein, das shuffelige Stück als solches gibt wenig von der ruhigen Stimmung wieder, wenn man am Kraterrand von Santorini sitzend die Sonne in der Caldera versinken sieht.
Dann schon eher "Quarryman's Lament", das Joe vor Ort mit griechischen Musikern aufgenommen hat. Insbesondere der Einsatz der Nei, einer traditionellen Flöte aus dem türkischen bzw. arabischen Raum gibt dem Titel etwas Folkloristisches.
Über die Cover-Version des Leonard Cohen-Klassikers "Bird On A Wire" - laut Anmerkung des Produzenten ein 'Höhepunkt' des Albums - streiten sich möglicherweise die Geister. Ich habe jedenfalls im Laufe der Erarbeitung des vorliegenden Reviews meine Meinung zu der Nummer um 180° gedreht. Meinte ich anfangs, dass Joes Stimme überhaupt nicht zu diesem Lied passen würde, war das allerdings wohl in erster Linie dem Umstand geschuldet, dass ich zu sehr die Version von Leonard Cohen himself auf "Live In London" aus dem Jahr 2009 im Ohr hatte, die er mit tiefer, sonorer Stimme intonierte. Die ansonsten fast schwülstig-hammondlastige Version ist eher selbst ein Do-it-yourself-Cover: Die Original-Version von "Bird On The Wire" auf dem Album "Songs From The Room" aus dem Jahre 1969 singt Leonard Cohen selbst noch in einer deutlich höheren Tonlage, so dass Joes Interpretation näher am Original ist als das Cover von Leonard Cohen. Auch der von mir anfangs kritisch gewürdigte Einsatz traditioneller griechischer Instrumente weicht im Laufe der Zeit der Begeisterung, wie hierdurch eine ansonsten sehr emotionale Interpretation überraschend eingeleitet, in der Folgezeit aber durchaus passend begleitet wird. Insbesondere der Einsatz der Bouzouki im Wechselspiel zur Sologitarre gibt dem Song seinen 'Pfiff'! Und schließlich hat auch Cohen seine Originalfassung mit dem heutzutage geradezu exotischen Instrument der Maultrommel hintergründig begleitet.
War es bei seinem Auftritt in der Royal Albert Hall - dokumentiert auf der entsprechenden DVD und beschrieben von Mike - Eric Clapton, der sich und Joe die Ehre für einen Gastauftritt gab, ist es diesmal kein Geringerer als der King himself, der seine Eitelkeit hintanstellt (oder geradezu herausstellt?) und Joe auf "Night Life" begleitet. Zu B.B. King hat Joe eine besondere Beziehung: Schließlich war er es, der den jungen Bonamassa im zarten Alter von 12 Jahren auf einem Bluesfestival in Rochester, N.Y., 'entdeckte'. Hierauf und dass B.B. King für ihn ein Vorbild an Professionalität, Persönlichkeit und Musikalität ist, weist Joe in einer sehr persönlichen Widmung im Booklet hin. Allerdings haben die beiden den Song - eine Willie Nelson-Komposition, die B.B. King mit diesem bereits gemeinsam auf "Deuces Wild" aufgenommen hat - nicht zusammen eingespielt; vielmehr hat Joe die ansonsten fertigen Bänder nach Las Vegas geschickt, wo B.B. King in seiner ihm unverwechselbaren Art seine 'Lucille' aufheulen ließ. Joe Bonamassa nimmt sich bei diesem Track sowohl beim Gitarrenspiel als auch beim Gesang deutlich zurück. Offenbar der zeitlich versetzten Aufnahme geschuldet, wirkt vereinzelt auch der synchron gewollte Gesang beider Künstler zeitlich versetzt. Dennoch, ein wirklich toller Titel, den B.B. King - wie bei derartigen Projekten mehrfach geschehen - mit launigen Kommentaren einrahmt (vgl. den Song "Keep A Dollar In Your Pocket" zusammen mit Elvin Bishop auf dessen CD Blues Rolls On oder "The Thrill Is Gone" mit Kenny Wayne Shepherd auf 10 Days Out).
"Wandering Earth" - wie schon "The Ballad Of John Henry" ein biographisches Stück, dieses Mal über den real existierenden R&B-Sänger Johnny Ace, der beim Russisch Roulette ums Leben kam. In der Ich-Form gesungen und beschreibend, wie das Leben plötzlich zu Ende geht (»I guess that my gun was loaded, I saw the flash with my own eyes, now that my wondering is over«), leicht makaber, aber trotzdem ein klasse Lied.
Bemerkenswert ist noch "Blue And Evil", angabegemäß inspiriert von der Led Zeppelin-Ära, erinnert mich der Track doch sehr an "The Ballad Of John Henry", vereinzelt meint man sogar die Dampfmaschine wieder zu erkennen.
Zum Abschluss ist Picking angesagt: "Baby You Gotta Change Your Mind" - wiederum ein Cover, dieses Mal von Blind Boy Fuller, erinnert zudem an Arlo Guthries "Alice's Restaurant" - ist ein flotter, nett gespielter Titel, entstanden offenbar im Rahmen einer kleinen Session zum Abschluss der Aufnahmen in einer - ich will mal Joes diesbezügliche Erläuterung wohlwollend übersetzen - 'gelösten Stimmung'. In der Tat, ein prima Abschluss für das Album.
Und die übrigen Titel, die ich nicht im Einzelnen erwähnt habe? Meiner Meinung nach handelt es sich - gemessen am sonstigen Œuvre Joe Bonamassas, und da hat er nun einmal die Messlatte selbst recht hoch gelegt - um Durchschnittsware: Klasse Songs, perfekt intoniert und dargeboten, auch brilliante Soli eingesprenkelt, aber ansonsten ohne 'das gewisse Extra'. Vielleicht ist man von diesem Ausnahmemusiker einfach zu verwöhnt, um die Qualität auch dieser Tracks noch besonders würdigen zu können. Vielleicht aber liegt es auch daran, dass man sich im Black Rock-Studio eingefunden hat, ohne überhaupt über Songmaterial für eine CD zu verfügen, so dass erst während des Aufenthalts auf Santorini - möglicherweise auch unter einem die Produktivität hemmenden Zeitdruck - neue Stücke entstanden sind bzw. entschieden wurde, welche Coverversionen hier Berücksichtigung finden sollten. Möglicherweise wäre es sinnvoller gewesen, sich nach dem Erscheinen des Mega-Albums "The Ballad Of John Henry" etwas mehr Zeit zu nehmen bis zur Veröffentlichung des Nachfolgers, zumal die Zwischenzeit mit der grandiosen DVD-Dokumentation über das Konzert in der Royal Albert Hall gut überbrückt gewesen wäre.
Dennoch: "Black Rock" ist ein rundum gelungenes Album, an dem auch seine kongenialen Mitmusiker, die ihn schon auf der letzten Platte sowie der aktuellen Tour begleitet haben, ihren nicht zu vernachlässigenden Anteil haben. Trotz manch kritischer Bemerkung kann ich die Scheibe jedem Fan von Joe Bonamassa nur empfehlen - man darf halt nur nicht von jedem Track etwas Sensationelles erwarten!
Olli sieht das wie folgt:
Zunächst einmal möchte der Schreiberling dieser Zeilen zum Ausdruck bringen, dass dem Gastschreiberkollegen Jürgen Hauß bezüglich des neuesten Studiooutputs Joe Bonamassas eine vorzügliche, weil vor allem sehr informative Rezension gelungen ist.
Trotzdem ist es dem immer noch gestressten Zwillingsvater und Haushaltsbewältiger in Dauerausbildung ein Bedürfnis, in diesem Falle noch eine etwas andere Akzentuierung an die geneigten Leserinnen und Leser weiter zu geben.
Denn in meinen Ohren ist diese Scheibe nicht weniger als das bisherige Meisterwerk des immer noch ziemlich jungen Himmelsstürmers der vertrockneten und im eigenen Saft schmorenden Bluesrockgemeinde, trotz stetig neuer 'Wunderkinder' des Genres.
Machen wir uns doch nichts vor, in gefühlt 9 von 10 Fällen gniedelt uns der Nachwuchs Saitensalven und Rhythmuseskapaden um die Ohren, die Jimi Hendrix und sein bis heute einziger legitimer Nachfahre namens Stevie Ray Vaughan schon längst in allen Facetten abgefeuert haben.
Das ist mir persönlich früher, bei meinen Entdeckungsreisen in Sachen Blues Rock, nie so aufgefallen, aber zunehmend nerven alle Saitenhexer, die letztlich bemüht sind, ihren großen Vorbildern noch richtig fett einen draufzusetzen.
Okay, gerne werden in diesem ausgelutschten Genre noch Vorbilder wie die gesamte ' King-Family', Otis Rush, Buddy Guy, Albert Collins oder weiße Epigonen/Erneuerer vom Schlage eines Eric Clapton, Jeff Beck, Jimmy Page, Peter Green to be continued genannt, aber letztlich stecken so gut wie alle in der Falle, mehr Noten in einem Gitarrensolo unterzubringen, als unsere Glimmer-Twins am Tage schreien können.
Und hier kommt nun 'old' Joe Bonamassa ins Spiel. Seit genau 10 Jahren (!) mischt er in dem Spiel mit, hat sich zu Beginn seiner Karriere genau dem hingegeben, was ich in den vorangegangenen Zeilen zu beschreiben versucht habe, um aber mittlerweile einen Entwicklungsschritt erreicht zu haben, der ihn tatsächlich ein gewisses Stück weit vor seiner mannigfaltigen Konkurrenz platziert, insbesondere mit "Black Rock"!
Nie klangen Led Zeppelin-Zitate selbstverständlicher ("Blue And Evil"), ein Solo wie im B.B. King-Aufwärmfetzer "Three Times A Fool" (written by Otis Rush) spielt ein Eric Clapton wirklich nicht besser, das Aufwärmen der Jeff Beck Group-Nummer "Spanish Boots" (1969) hat noch nie so wunderbar die Talente des besagten Jeff Beck (einer DER großen Vorbilder von Joe Bonamassa) mit denen eines Jimmy Page vereint, das John Hiatt-Werk "I Know A Place" ertönt plötzlich im Gov't Mule-Gewand, nie klang Joe gelöster, befreiter und lockerer als auf dem Rausschmeißer "Baby You Gotta Change Your Mind", nie klang Bonamassa mehr nach eigenständigem Bonamassa als auf dem Eigenbau "Quarryman's Lament", trotz griechisch/arabisch folkloristischem Instrumentariumbeiwerks, nie fetzte Joe Bonamassa vergleichsweise unangestrengt durch Vorgaben wie "Steal Your Heart Away" oder gar "Night Life", ein Showcase für very very old B.B. King, vom ebenso very very old Willie Nelson. Ich will damit sagen, "Sloe Gin" und The Ballad Of John Henry waren sicherlich Karrieremeilensteine, um sich von den ganzen Saitenquälerwundergitarristen abzugrenzen, verbunden mit zunehmender Kritik am Verrat des 'wahren" Bluesrock', aber erst "Black Rock" ist nahe dran am Meisterwerk!
Entscheidend ist nämlich nicht der Anteil der Eigenkompositionen, sondern der Anteil an Eigenständigkeit. Und letzterem ist Joe Bonamassa in beeindruckender Weise ein großes Stück näher gekommen! Dafür gibt es von mir uneingeschränkte 9 von 10 RockTimes-Uhren, in freudiger Erwartung, dass das 10-Uhren-Album in Zukunft noch kommen möge.
Warum überhaupt eine Uhr Abzug?
Ein Thema hat Jürgen Hauß in seiner Rezension leider gar nicht angesprochen: Den Klang!!!
Zu diesem, durchaus viel diskutierten, Aspekt erlaube ich mir an dieser Stelle ein etwas ausführlicheres Selbstzitat (aus amazon.de):
»(...) Nun, meines Erachtens wurde bei diesem musikalisch und interpretatorisch annähernd überragenden Album meilenweit an den Hörgewohnheiten des durchschnittlichen Musikkonsumenten vorbei produziert/gemixt/wie auch immer. Selbst 'für normale Verhältnisse relativ gute' Musikkonservenreproduktionsanlagen scheinen komplett überfordert zu sein. Von den sonstigen, heutzutage üblichen, Abspielvorrichtungen mal ganz zu schweigen. Denn in der Tat, um im tiefergelegten Golf-Cabrio aus mindestens zwölf Membranen plus fettem Woofer einen dem Anlass entsprechend fetten Sound zu produzieren, ist "Black Rock" die denkbar schlecht geeignete Scheibe. Wobei die bundesdeutsche Mehrheit freilich nicht in der fluffigen Barockdisko durch die Gegend flaniert. Aber auch die durchschnittliche Autoanlage für den oberspießigen Familienkutschisten, wie ich einer bin, verwöhnt bei dieser Produktion nicht gerade mit rassigem 'Voll-auf-die-Zwölf-Sound'.
Da müssen schon ohrenscheinlich ziemlich ausgefuchste Musikreproduktionskomponenten zusammengestellt werden, um hier zu dem akustischen Ergebnis zu kommen, die den Protagonisten vermutlich vorschwebte.
Das ist sicherlich bei dem Anspruch Joe Bonamassas, eine möglichst breite Fanbasis aufzubauen, was ja auch in seiner inzwischen musikalisch wie technisch großen Variabilität zum Ausdruck kommt, kontraproduktiv und somit unverständlich. Hier aber von 'Grusel-Sound' oder 'Sound-Müll' zu sprechen, geht an der Realität vorbei. Somit empfinde ich Einpunktwertungen für dieses wirklich erstklassige Produkt für indiskutabel! Über gewisse Abstriche, weil die Scheibe nicht oberflächlich differenziert in die Gehörgänge knallt, kann sicherlich diskutiert werden, hier aber Einpunktwertungen abzugeben, ist als eine gewisse Orientierung für Interessierte komplett daneben! « ( Anm.d.Red.: Bezug wird hier auf das Amazon-Bewertungssystem genommen).
Line-up:
Joe Bonamassa (guitar, vocals)
Rick Melick (keyboards)
Carmine Rojas (bass)
Anton Fig nd Boogie Bowles (drums, percussions)
Manolis Karadinis (bouzouki)
Thanasis Vasilopoulos (nei, clarino)
Lee Thornburg (brass, arrangements)
David Woodfoord (saxophones)
Special Guest
B.B. King (vocals, guitar - #8)
Tracklist |
01:Steal Your Hear Away (3:47)
02:I Know A Place (4:19)
03:When The Fire Hits The Sea (3:55)
04:Quarryman's Lament (5:22)
05:Spanish Boots (4:38)
06:Bird On A Wire (5:21)
07:Threee Times A Fool (2:02)
08:Night Life (3:26)
09:Wandering Earth (4:19)
10:Look Over Yonders Wall (3:27)
11:Athens To Athens (2:26)
12:Blue And Evil(5:44)
13:Baby You Gotta Change Your Mind (4:23)
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