Rocktimes: Hallo Henrik, seit unserem letzten Interview sind schon wieder zwölf Monate vergangen! In diesem einen Jahr sind vermutlich so viele Dinge passiert, dass ich Dich gern über diese Zeit ausfragen möchte. Ich habe lange überlegt wie ich das Interview anfangen soll und habe mich letztlich für ein aktuelles und sehr trauriges Thema entschieden. Gary Moore ist verstorben! Wie hast Du die Nachricht erhalten und letztlich verarbeitet?
Henrik Freischlader: Erhalten habe ich die Nachricht durch eine Email von einem Freund, aber glauben konnte ich es nicht. Erst so nach und nach sickerte die Befürchtung durch, es könne tatsächlich so sein, dann die Bekanntmachung auf der Homepage von Gary Moore - da musste man es glauben - ja, und dann kam einfach nur Schmerz und Trauer.
Rocktimes: Du hattest das Glück, ich glaube es war noch im letzten Jahr, ihn persönlich kennenzulernen. Wie kam das Treffen zustande und wie waren Deine Eindrücke von ihm?
Henrik: Die Eindrücke waren überwältigend. Ich habe fünfzehn Jahre für Gary Moore geschwärmt, um dann die Gelegenheit zu bekommen, all das bestätigt zu finden, was ich immer von ihm gedacht, gefühlt und gehofft hatte. Ich habe herrliche Erinnerung an diese Stunden, aber ich kann mich noch nicht wirklich daran freuen. Er fehlt einfach zu sehr, und wenn ich an unser damaliges Zusammentreffen denke, könnte ich heulen.
Rocktimes: Mein Kollege Ulli Heiser hat, so finde ich, Gary einen passenden Nachruf gewidmet. Ich finde es nämlich auch sehr bedauerlich, dass, wenn sich ein Musiker entscheidet mal was anderes zu probieren, von den Fans die ihm einst zujubelten, nun ja, schon fast verflucht wird! Etwas Ähnliches habe ich bei Deinem 2009er 5 Live-Gig im Berliner Quasimodo erlebt. Zwar bei weitem nicht so heftig, doch vernahm ich Meinungen wie: 'Ach, heute gibt's keinen Blues Rock? Kein Hendrix-Cover? usw.' Oder: 'Wenn ich das gewusst hätte...' Einige Konzertgänger sind doch gar nicht bereit, sich mit dem Musiker, seinen Songs, seiner reinen Spielkunst auseinanderzusetzen. Ich finde auch nicht alles Klasse, doch gebietet es mir einfach der Respekt gegenüber dem Künstler, auch wenn dieser sich z. B. im Deutschen Schlager ausprobieren möchte. Sorry Henrik, dass ich mich gerade ein wenig aufrege, aber ist doch wahr...
Henrik: (lacht) Reg' Dich ruhig auf! Ich finde das aber nicht so schlimm. Wenn ich mich als Zuhörer auf etwas Bestimmtes gefreut habe, ist es doch menschlich, dass ich enttäuscht bin, wenn es dann nicht stattfindet. Ich glaube, man darf da als Musiker nicht die Erwartung haben, dass das Publikum einem immer in allem folgt und gut findet, was man selbst gut findet. Aber man kann sich als Musiker natürlich auch nicht immer danach richten, was andere von einem hören wollen. Die Freiheit zur Ablehnung sollten wir einander einräumen.
Bei Gary Moore habe ich allerdings nicht verstanden, warum das Niveau der Kritik so abrutschen musste. Das hat ihn sicherlich sehr verletzt. Darüber bin ich tief traurig.
Rocktimes: Als ich Dich erstmalig 2007 live erlebte, da stand ich vor der Bühne fast allein vor Dir und es war für mich überhaupt kein Problem Fotos aus allen Blickwinkeln zu knipsen. Nun, vier Jahre später, stehe ich zwar immer noch an vorderster Front, doch mittlerweile bleibt mir kaum noch Luft zum Atmen. Kannst Du die Entwicklung der Zuschauerzahlen bei Deinen Tourneen in Worte fassen?
Henrik: Danke, danke, aber so schlimm ist es doch noch nicht, es sei denn wir spielen in einem kleinen Club. Ich freue mich natürlich, dass immer mehr Leute zu unseren Konzerten kommen, und den Reiz der handgemachten Live-Musik für sich entdeckt haben. Ich freue mich auch sehr darüber, dass das Interesse an meiner Musik wächst. Für mich und für uns alle in der Band ist eine Tour etwas wirklich sehr Schönes. Musikmachen ist nun mal unser Highlight, und dann leben wir da über Wochen und Monate für unser Publikum und von unserem Publikum. Das macht wirklich enorm viel Spaß!
Rocktimes: Apropos Fans und Live-Auftritte: Dein vorletztes Werk Tour 2010 Live wurde von unserem Gastschreiber Jürgen Hauß mit sachlicher Kritik begutachtet. Unter anderem bemängelte er die 'kalte' Stimmung der Platte, was er, aufgrund der Zusammensetzung einzelner Songs aus allesamt unterschiedlichen Veranstaltungsorten, gemeint hat. Nun bietet sich für Dich die Gelegenheit zu erörtern, warum Du eine Live-Platte produziert hast, die nicht nur an einer Spielstätte aufgenommen wurde.
Henrik: Das erschien mir angemessen, schließlich war es eine lange Tour und auf diese Weise hat man ein viel größeres Publikum mit einbezogen. Es haben mir viele Leute geschrieben, die in dieser oder jener Stadt dabei waren, und die sich gefreut haben, diesen Abend mit einem Stück auf der Live-CD verewigt gefunden zu haben. Die kalte Stimmung auf der Platte, die jemand empfindet, kann ich persönlich nicht nachvollziehen, aber da sind wir wieder im Thema: Ich kann es nicht nachvollziehen, aber der andere darf es trotzdem so empfinden. Ich glaube von Voltaire stammt diesbezüglich der Satz aller Sätze: »Ich teile Deine Meinung nicht, aber ich würde dafür sterben, dass Du sie haben darfst«.
Rocktimes: Die Platte ist bereits Geschichte und Du hast erst kürzlich Still Frame Replay auf den Markt geworfen. Für mich das Beste was Du bisher eingespielt hast! Beim gleichnamigen Opener des Albums hat sich Dein Freund Joe Bonamassa mit spielstarken Gitarrensoli verewigt. Wie entstand die Idee und wie muss ich mir die Produktion vorstellen? Kam er diesbezüglich extra nach Deutschland um mit Dir im Studio den Song einzuspielen?
Henrik: Das wäre schön gewesen, war aber natürlich nicht so. Wir haben uns bei einem Konzert von ihm in Groningen, NL getroffen und ich habe ihn spontan gefragt, ob er Lust hätte auf meiner neuen CD zu spielen. Er hat spontan zugesagt und jetzt hat es tatsächlich geklappt. Der Song ging zweimal virtuell über den Ozean. Ich finde seine Gitarre darin einfach nur herrlich, vom ersten bis zum letzten Ton seine eigene musikalische Handschrift: Genial!
Rocktimes: Henrik, noch ein Wort zu Bonamassa. In meinem Freundeskreis vernehme ich zunehmend kritische Bemerkungen, die besagen, dass er doch sehr arrogant geworden sei und überhaupt nicht mehr der ist, der er war, als er noch mit dem Drummer Kenny Kramme und Basser Eric Szar im Rockpalast auf der Bühne stand. Haben wir wieder das Problem mit der Akzeptanz, wenn sich ein Musiker weiterentwickelt oder einfach sagt: Hey ich probiere mal was anderes? Wie würdest Du Joe als Musiker oder einfach 'nur' als Privatperson beschreiben?
Henrik: Das ist eine missverstandene Entwicklung, die grundsätzlich bei allen Personen einsetzt, die einen größeren Bekanntheitsgrad erlangt haben. Es ist aber keine Arroganz, wie viele es auffassen, sondern einfach nur eine Art der inneren Abschottung, um einen Freiraum zu verteidigen, den man braucht, um weiterhin kreativ sein zu können. Würde man z.B. jeden Tag 400 Emails beantworten, wäre das ein Fulltime-Job und die Gitarre bliebe in der Ecke stehen. Man muss da auch in allen anderen Bereichen irgendwann eine Auswahl treffen, sonst bleibt man selbst und damit auch die Musik auf der Strecke.
Rocktimes: Deine aktuelle CD ist in meinem Player zurzeit Dauergast und das Abspielgerät weigert sich permanent den Silberling auszuwerfen. Ich glaube bei Dir einen Reife- oder Entwicklungsprozess entdeckt zu haben! Wenn Du Dein Debütalbum The Blues mit dem jetzigen vergleichst, stimmst Du da im weitesten Sinne mit meinem Eindruck überein?
Henrik: Ja voll und ganz, ich bin ja auch älter geworden, dazwischen liegen fünf Jahre, in denen man sich entwickelt und verändert hat. Auch die handwerklichen und technischen Möglichkeiten haben sich verbessert, man hat viel Musik gemacht und viel Musik gehört, hat sich inspirieren lassen, von anderen Künstlern etc. Das fließt natürlich alles mit ein.
Rocktimes: Das Finalteil "Look At The Fool" fand bei mir große Beachtung! Zum einem hast Du Dich einer Akustikklampfe bedient und ich kann mich gar nicht erinnern bei meinen zahlreichen Konzertbesuchen Dich jemals ohne Stromgitarre erlebt zu haben. Zum anderen klingt Dein Gesang so, als ob Du Dich gedoppelt hast. Kläre mich mal auf, wie das Lied entstand.
Henrik: Die mehrstimmigen Refrains haben es mir in der Tat angetan. Das war schon bei Recorded By Martin Meinschäfer so. Das Einsingen ist unwahrscheinlich viel Arbeit, weil eine unglaubliche Präzision nötig ist, um alles in Halbton-Abständen übereinander zu singen, damit man am Ende den perfekten Klang hat, aber der Spaß dabei und die Freude über das Ergebnis ist riesig.
Rocktimes: Neulich saß ich mit ein paar Freunden in einer gemütlichen Bierrunde und wir diskutierten über die unterschiedlichen Qualitäten sämtlicher Tonträger die es so gibt. Welche Voraussetzungen müssen gegeben sein, damit sich die Platte beim Konsumenten optimal wiederspiegelt?
Henrik: Oh oh, was für eine schwere Frage. Da müsste man ganz weit ausholen und fragen, was war überhaupt zuerst da, der Künstler mit seinem kreativen Schaffen, oder der Bedarf der Menschen nach seiner Kunst. Danach folgt sofort die Frage nach der Quelle der Kreativität usw. Ein Thema für viele Stunden Diskussion (schmunzelt).
Ich glaube das spielt sich auf verschiedenen Ebenen ab. Auf einer Ebene gibt es den manipulierbaren Bedarf für den reinen Konsum und auf der anderen Ebene gibt es die Sehnsucht nach etwas, das bleibt, das nachhaltig wirkt.
Rocktimes: In meiner "Still Frame Replay"-Rezension empfahl ich unseren Lesern, dass sie sich im Zweifelsfall das Vinyl zulegen sollen. Ich weiß vom letzten Interview, dass es zwar keinen wissenschaftlichen Beleg über Qualitätsunterschiede zwischen einer CD und einem Vinyl gibt. Trotzdem hatte ich wieder das Gefühl, dass die traditionelle Schwarzscheibe etwas mehr rauskitzelt als der kleine Silberling. Ist es auch für Dich ein Bewegrund zu der üblichen CD parallel ein Vinyl anzubieten?
Henrik: Ja, die Nuancen im Hörerlebnis natürlich, aber vor allem eben auch eine gewisse Nostalgie und Schwärmerei. Ich bin mit alten, knisternden Schallplatten aufgewachsen…
Rocktimes: Letztes Jahr wolltest Du oder hast sogar eine DVD produziert. Wie ist das Ergebnis ausgefallen und wann kann man mit der Veröffentlichung rechnen?
Henrik: Das wird noch dauern. Wir haben zwar erstes Material gesammelt, aber damit bin ich noch nicht so richtig zufrieden. Ich möchte nicht einfach eine kommerzielle DVD abliefern, wenn schon, dann sollte sie wirklich großartig sein. Dazu fehlt noch viel Material. Nach der Tour im Mai gehen wir es nochmal an, da haben wir am 20. und 21.05. noch zwei Termine in Arnsberg, bei denen gefilmt wird.
Rocktimes: Gut so! Deine Fans werden sicherlich warten können um letztlich was ganz feines zu bekommen. Welche Gitarren haben im letzten Jahr Deine Instrumenten-Sammlung erweitert?
Henrik: Die kleine Sammlung hat keinen Zuwachs bekommen (lacht). Das wäre auch gar nicht möglich gewesen, denn die CD-Produktionen haben da zurzeit auf jeden Fall Vorrang.
Rocktimes: Letztes Jahr habe ich bei Dir zum ersten Mal eine Gibson-SG im Einsatz gesehen. Du weißt ja, dass ich ein großer Angus Young-Verehrer bin und allein schon deshalb die Klampfe extrem gut finde (herzhaftes Lachen). Kannst Du den Charakter dieser Gitarre beschreiben?
Henrik: Ich würde sagen, eine klassische Rockgitarre mit Riff-Charakter. Ich habe sie meistens bei rockigen Nummern eingesetzt. Sie ist im Gegensatz zu einer Les Paul nicht so filigran, sondern eher 'einfach', trocken und laut. Eine sehr eigenwillige Gitarre (schmunzelt).
Rocktimes: Prima, ich stehe auf eigenwilliges (Gelächter). Sag mal, wie sieht Dein Tagesablauf während einer Tournee aus? Wie, wenn Du zu Hause bist, und mit wie viel Schlaf kommst Du pro Tag aus?
Henrik: Die Tour ist Entspannung. Jeden Abend tun zu können, was man gerne macht, rundherum Zeit haben, für Gespräche, für einen gemütlichen Kaffee in der Sonne einer fremden Stadt usw. Herrlich!!!
Zu Hause bin ich meistens am Rechner. Zwischendurch schnappe ich mir die Gitarre und lasse den Stress aus den Fingern tropfen (lacht). Schlaf kommt total zu kurz, besonders im Hinblick auf die mütterliche Weisheit, dass der Schlaf vor Mitternacht doppelt zählt (lacht). Vor drei, vier Uhr in der Früh gehe ich meistens nicht ins Bett. Oft muss ich aber schon um sieben wieder raus, manchmal schlafe ich bis neun, und selten überschlafe ich auch schon mal alle Wecker.
Rocktimes: Ui, täglich nur drei bis vier Stunden Schlaf? Ich benötige meist sieben Stunden, sonst ist mein Hirn nicht betriebsbereit (Gelächter). Themawechsel: Ich weiß dass Du auf Oldtimer stehst. Und? Hast Du Dir schon einen solchen zugelegt?
Henrik: Kein Gedanke daran!! Ich liebe die Oldtimer weil es einfach Kunstwerke sind, aber ich muss da nichts besitzen. Das Geld, das ich verdiene ist immer schnell wieder weg. Im Augenblick bleibt da gar nichts übrig, aber das wird es wahrscheinlich auch in Zukunft nicht, weil ich bei mehr Einnahmen, meine Pläne, Ideen und Projekte entsprechend ausdehnen würde.
Rocktimes: Abschließend mal eine ganz andere Frage. Wie ernährst Du Dich? Bist Du ein Süßschnabel, bevorzugst Du eher deftige Kost oder stehen gar vegetarische Leckereien an erster Stelle?
Henrik: Och, ich war da eigentlich nie wählerisch, Kuchen ist nicht so mein Ding, aber ein Stück Schokolade oder ein Eis immer gerne. Ansonsten isst mein Auge unbedingt mit und ich habe eine Tendenz zu den feinen Geschmacksnuancen. Fleisch allgemein neuerdings mit Fragezeichen. Der Film "We Feed The World" hat bei mir in punkto Problematik der Nahrungsproduktion in jeder Hinsicht Aufklärungsarbeit geleistet. Große Bewunderung und Hochachtung für Herrn Wagenhofer!!
Rocktimes: So Henrik, ich bedanke mich im Namen von RockTimes für das interessante Gespräch und wie immer, bei meinen Interviews, gehört das letzte Wort dem befragten Künstler.
Henrik: Natürlich herzlichen Dank für dieses Interview auch von mir, herzlichen Dank für Dein/Euer Interesse an meiner Musik. Ich freue mich auf ein Treffen bei einem unserer Konzerte, mit Dir/Euch und all unseren Fans!!
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