Ein Henrik, zwei Meinungen. Joe legt vor:
Leise rieselt der Schnee und es 'freischladert' sehr. Zum Ende des Jahres wird das zweite Live-Album des jungen Vorzeige-Blues Rockers definitiv eine Geschenkidee für verdammt viele Leute sein und das Doppelpack im Digipak kann man auch ohne Bedenken an Freunde, Verwandte und gute Bekannte weiterreichen.
Auf der Rückseite ist vermerkt, dass die Aufnahmen in »Germany, Austria & Switzerland« entstanden sind und im schönen, in schwarz-weiß gehaltenen Booklet wird es konkreter. Bei den chronologisch aufgeführten Tourterminen ist vermerkt, aus welchen Konzerten die Songs auf den beiden Platten stammen. Die aufgeführten Titel erscheinen in grünlicher Farbe. Wer am 22.03. in Lorsch dabei war, darf sich gleich dreimal freuen, denn von diesem Gig gibt es ein Song-Tripel auf dem Album. Nur der Opener "I" von Recorded By Martin Meinschäfer wurde in Goslar aufgenommen.
Mit wenigen Ausnahmen bilden die Nummern der gerade erwähnten CD den eindeutigen Schwerpunkt der Songauswahl. Ein Hendrix-Zitat darf ja schon nicht mehr fehlen und so macht als vorletzter Track der zweiten Platte die "Foxy Lady" mit satten dreizehn Minuten ihre Runde.
Auf beeindruckende Weise zeigen Freischlader & Co. deutlich, dass man sich als Rezensent mittlerweile so etwas wie: 'hat Ähnlichkeit mit ...' sparen kann. Freischlader ist Freischlader. Der Wuppertaler Gitarrist und Sänger sorgt im eigenen Nest für Quantensprünge.
Auf "Tour 2010 Live" sind Songs aus der Kompaktklasse sowie einige Stretchlimousinen vertreten. Mit zehn Minuten liegt "Tired Of Beggin'" von The Blues noch am unteren Ende der Longtracks. Das gigantisch schöne "Bad Dreams_Wolkenwinde" erreicht fast die neunzehn Minuten. Diese Nummer ist einer meiner Lieblingssongs aus dem aktuellen Repertoire des deutschen Bluesers. Freischladers Soli haben Langzeitformat und sind so farbig wie ein Bild von Picasso. Freischladers Soli besitzen Ecken und Kanten wie in der kubischen Architektur. Freischladers Soli sind so feinnervig dahingleitend wie die ineinanderfließenden Formen einer Lavalampe.
Ansagen vom Protagonisten fehlen. Nur im nahtlosen Übergang vom inspirierten "Breakout" zu "Drum Solo Hardy Fischötter" macht Freischlader Stimmung für die tollen Trommeleien des Schlagzeugers. Dazu serviert Theofilos Fotiadis zu Beginn noch sanfte tiefe Töne. Ein Drumsolo ist ja immer etwas Spezielles und so ist es auch hier. Fischötter soliert sehr abwechslungsreich, erreicht dabei allerdings nicht den Punkt, bei dem das Publikum mit rhythmischem Klatschen einsteigen kann. Eine Fischötter'sche Höchstleistung mit allen Facetten, die einem lieb sind.
Man spürt es kaum. Der Sprung vom Berliner Drum-Festival zum Wiener "The Wrong Way" ist ebenfalls nahtlos. Jetzt ist Fischötter mit hypnotischem Beat zur Stelle. Moritz Fuhrhop soliert beeindruckend feurige und lange Tastenläufe auf seiner Orgel. Von der österreichischen Hauptstadt schwappt die Welle der Begeisterung rüber nach Konstanz. Aus dem dortigen Konzert stammt das traumhafte "Cry Again", ein Song, dessen Atmosphäre sich wie pastellfarbene Seifenblasen in der Luft verteilen. Nur kann das eindringliche Flair dieser Nummer nicht zerplatzen. In "Foxy Lady" gibt es nach einem Fischötter-Trommelwirbel ein gigantisch-orgiastisches Finale. Wow, da legt man die Ohren an. Der frenetische Beifall seitens des Publikums sagt alles. Dann gibt es noch "Mo's Shuffle". Dieses Stück swingt ganz toll.
Von damals kann man gar nicht sprechen. Die "The Blues"-Rezension ist zum Zeitpunkt dieses Artikels erst knapp fünf Jahre her und es hat sich schon so viel in Freischladers Karriere getan. Die Kritik für "Tour 2010 Live" kann nicht negativ ausfallen. Dazu ist das Quartett zu gut und Freischladers Kompositionen sind sehr ausgereift und aussagekräftig. Der Doppelpack hat von allen vier Musikern so viel zu bieten, dass es locker zu einem Tipp reicht. Mittlerweile sind die Aufnahmen zu einer DVD gelaufen und da steht für 2011 schon wieder was an, sofern man auf Neues aus
dem Hause Freischlader wartet.
Jürgen macht Abstriche:
Quasi meine 'Nullnummer' für RockTimes war ein erster Review, den ich über das Drei-CD-Album Live der damaligen Henrik Freischlader Band im Jahr 2008 geschrieben hatte. 'Nullnummer' insbesondere aber auch deshalb, weil mein Review - obwohl schon vor Erscheinen der CD fertiggestellt - nicht veröffentlicht wurde, da zu diesem Zeitpunkt bereits ein gestandener RockTimes-Redakteur seinen diesbezüglichen Review in Arbeit hatte. Sei's drum; da mich die Redaktion fragte, ob ich zukünftig weitere Beiträge schreiben wollte und ich insofern 'Blut geleckt' hatte, habe ich seitdem einige Gastbeiträge für RockTimes verfasst. Mit dem vorliegenden Beitrag zu der neuen Live-CD von Henrik Freischlader schließt sich insofern der Kreis.
Obwohl - für ein Live-Album erwartungsgemäß - unter Mitwirkung weiterer Musiker eingespielt, wird das vorliegende Album ohne 'Band'-Zusatz veröffentlicht. Dafür wird das aktuelle Line-up aber bereits vorne auf dem Cover - wenn auch sehr klein - genannt. Zugunsten von Henrik möchte ich einfach annehmen, dass sich diese optische Hervorhebung (auch sensorisch durch Prägedruck!) allein aus dem Umstand ergeben hat, dass das dargebotene Song-Material weit überwiegend dem aktuellen Album Recorded By Martin Meinschäfer entstammt, das Henrik bekanntermaßen völlig im Alleingang eingespielt hat.
Persönlich finde ich es zwar schade, dass Henrik - nachdem er mittlerweile einen größeren Bekanntheitsstatus erreicht hat, nicht mehr mit seinen Kumpels aus Anfangstagen Oliver Schmellenkamp und Dirk Sengotta - seinerzeit zudem als Henrik Freischlader Band - zusammenspielt, aber: The times, they are a-changing! Als HFB-Fan seit dem Erscheinen von The Blues war ich allerdings vom letzten Studio-Album ein wenig enttäuscht. Natürlich ist es eine Wahnsinns-Sache, dass Henrik alle Instrumente selbst eingespielt hat - und das auf unstreitig hohem Niveau. Aber musikalisch haben mich die meisten Kompositionen nicht wirklich begeistern können, da keine Weiterentwicklung erkennbar war. Dennoch war es für mich selbstverständlich, mir die neue CD zuzulegen.
Zunächst Statistisches: Das Album erscheint - auf dem Freischlader-eigenen Label Cable Car Records - im dreiteiligen Digipack mit einem ganz in schwarz-weiß gehaltenen ausfaltbaren Booklet, das im Wesentlichen Schnappschüsse von den Auftritten enthält. Außerdem sind die Daten der Tournee im Frühjahr diesen Jahres abgedruckt, wobei dokumentiert ist, welcher Song des vorliegenden Albums wo genau aufgenommen wurde. Neun von insgesamt vierzehn Tracks stammen - wie schon angedeutet - vom letzten Studio-Album; lediglich jeweils ein Lied war bereits auf "The Blues" bzw. Get Closer veröffentlicht und allein "Foxy Lady" - bei Konzerten von Henrik Freischlader ein absoluter Standard - erscheint zum ersten Mal auf CD, sieht man einmal von dem "Drum Solo Hardy Fischötter" bzw. dem 'Bonustrack'(?) "Mo's Shuffle" ab, die den beiden im Titel genannten Mitstreitern einen Auftritt im Vordergrund verschaffen. Aber warum erhielt Theofilos Fotiadis nicht eine vergleichbare Bühne? Verdient hätte er es allemal.
Die erste Enttäuschung erlebe ich bereits beim Start von CD 1: "I" - wie auf "Recorded By Martin Meinschäfer" der Opener der Scheibe - startet unvermittelt, also ohne Begrüßung des Publikums oder irgendwelche einleitenden Worte, und wird anschließend auf eine Weise dargeboten, die fast einer 1:1-Kopie der Studioversion entspricht. Sämtliche Passagen einschließlich des ausgiebigen Solos des Protagonisten ab der Mitte des Songs klingen derart ähnlich, dass man nur an der Stelle, wo das Solo durch Szenenapplaus des Publikums honoriert wird, sowie am Schluss von 'Live-Atmosphäre' sprechen kann. Selbst die Laufzeit ist - zieht man den Schlussapplaus ab - nahezu identisch. So stelle ich mir einen Live-Auftritt von Henrik Freischlader nun wirklich nicht vor.
Gleiches ist auch für das folgende "Got It Made (Like This)" festzustellen. Auch diese Darbietung weicht kaum von der Studioversion ab. Dies gilt eingangs auch für "So Damn Cool" - die ersten drei Titel des Albums entsprechen übrigens exakt auch der Startreihenfolge des Studio-Albums - bis vorliegend Moritz Fuhrhop das Solo, das auf "Recorded By Martin Meinschäfer" Henrik Freischlader auf seiner Gitarre spielt, auf seiner Hammond-Orgel zelebriert. Das verleiht dem Song natürlich ein ganz anderes Feeling - und nicht das schlechteste!
Und dann kommt endlich etwas Abwechslung ins Repertoire: "She's Back (For Another Try)" stammt bereits von "Get Closer". Auch dort schon mit einer Spielzeit von fast zehn Minuten ein 'Longplayer', wird der Song hier nochmals um zwei Minuten verlängert. Was mir persönlich fehlt, ist ein wenig die launige Einleitung, die Henrik bei diversen von mir besuchten Konzerten zu diesem Stück zum Besten gegeben hat. War der Titel bislang - Trio-bedingt - sehr Gitarren-lastig, wird er vorliegend durch Moritz Fuhrhop und sein eindringliches Hammond-Spiel charakterisiert, doch auch Henrik gelingt es, durch sein einfühlsames Gitarrenspiel eine wunderschöne Atmosphäre zu zaubern. Gänsehautfeeling ist angesagt!
Wer jetzt denkt, dass das nicht mehr zu toppen ist, hat sich getäuscht. Es folgt "Bad Dreams" - auch bekannt unter dem Titel "Wolkenwinde" - der dem Song, den Henrik bereits vor 12 Jahren komponiert, aber erstmalig im vergangenen Jahr auf CD veröffentlicht hat, aus den Reihen des Publikums gegeben wurde. Fast 19 Minuten - und damit mehr als doppelt so lang wie bei der Studioproduktion - zelebriert Henrik sein Jugendwerk derart einfühlsam, dass mir keinerlei schlechte Träume einfallen wollen, vielmehr der Titel "Wolkenwinde" auch aus meiner Sicht sehr viel passender ist, da meine Gedanken in alle Himmelsrichtungen abschweifen. Grandios!
Was folgt? Nochmals zwei Tracks, "Never Be True" und "The Bridge", die kaum anders - und auch nur wenig länger - als auf dem Bezugsalbum interpretiert werden.
Auch CD 2 startet mit einer Adaption vom letzten Studioalbum. Doch schon bei dieser Nummer, wie auch bei allen nachfolgenden, merkt man bereits angesichts der längeren Spielzeiten, dass sich Henrik und seine Kumpels so richtig eingespielt haben; die Soli werden - einem Live-Auftritt angemessen - endlich länger und länger und länger…. Und endlich bekommt man wirkliche Live-Atmosphäre geboten. "Breakout" geht unmittelbar über in das "Drum Solo Hardy Fischötter", bei dem Henrik das Publikum auffordert, in Anlehnung an den Blood, Sweat & Tears-Song "Hi-De-Ho" den Drummer durch ein lautstarkes »Har-Dy, Har-Dy, Har-Dy-Ho« wachzurütteln. Anfangs kommt mir allerdings das Drum-Solo äußerst konservativ und wenig inspiriert vor, so dass ich mir den früheren Drummer Dirk 'The Living Drum Machine' Sengotta zurückwünsche (wer erinnert sich nicht z.B. an den Einsatz von Klobürsten bei seinen Soli!?). Doch auch Hardy Fischötter entwickelt sich im Laufe des Tracks weiter, dass man wirklich Spaß daran haben kann.
Überraschend übergangslos - wenn man die lt. Booklet unterschiedlichen Aufnahmeorte berücksichtigt - folgt "The Wrong Way", das - ähnlich wie die Studio-Aufnahme - von den Drums getrieben wird, doch auch hier übernimmt den Solo-Part wiederum Moritz Fuhrhop, was dem Lied einen völlig anderen Charakter verleiht. Leicht störend wirkt anschließend die Ankündigung einer Pause (wenn schon ansonsten sehr viel aus- bzw. eingeblendet wurde, wieso nicht auch diese Ansage?), bevor mit "Cry Again" ein absolut eindringlicher Slow-Blues präsentiert wird. Bedurfte es noch eines Songs, um sich seinen Träumen hinzugeben? Hier ist er!
Aus diesen Träumen wird man allerdings durch das folgende "Tired Of Beggin'" brutal geweckt. Das Stück vom ersten HFB-Album kommt äußerst hart daher, schafft es aber dank ausgiebiger Soli vom Protagonisten wie von Moritz Fuhrhop wiederum auf eine mehr als Verdoppelung der ursprünglichen Spielzeit. Und die 'Abmoderation' deutet darauf hin, dass nunmehr der offizielle Teil vorbei ist.
Dementsprechend folgt die Hendrix-Interpretation "Foxy Lady", die üblicherweise als Zugabe geboten wird. Dieses Mal 'nur' 13 Minuten lang (und erstmalig auf einer Freischlader-CD), gibt die Interpretation ein prägnantes Beispiel dafür, wie Henrik 'den Hendrix gibt' (auf "Live" ist eine - noch längere - Interpretation von "Voodoo Child" festgehalten)! Der ausgiebige Schlussapplaus signalisiert, dass das Konzert nun wirklich zu Ende ist, doch die CD enthält noch den 'Bonustrack' "Mo's Shuffle", dessen Titel bereits signalisiert, dass hier Moritz Fuhrhop nochmals ausführlich und eindringlich 'zu Wort' kommt (wohingegen Henrik sich offensichtlich auf ein 'Fingerschnippen' zurückzieht). Allerdings kommt auch dessen Ende ziemlich abrupt!
Was gibt es abschließend zu bewerten? Das Album wurde bei insgesamt zehn Konzerten in Deutschland, Österreich und der Schweiz produziert. Die wiedergegebenen Tracks wurden also einzeln und sicherlich bewusst ausgewählt. Dadurch kommt es fast durchgängig zu Ein- und Ausblendungen zwischen den Stücken, die den Live-Charakter des Albums bzw. eine Konzertstimmung stark beeinträchtigen. Es ist halt nicht die Wiedergabe eines einzelnen Konzerts, sondern - wie der Titel schon besagt - die Dokumentation einer größeren Tour. Dazu passt, dass - entsprechend der unterschiedlichen Locations - die Ton- und insbesondere die Klangqualität unterschiedlich ausfallen.
Mir ist das stimmungsmäßig zu 'kalt' produziert, was durch die oftmalige große Nähe der Interpretationen zu den musikalischen Studio-Vorlagen noch verstärkt wird. Und mir fehlen die launigen 'Zwischentöne', die man ansonsten live mitbekommt. Meine persönliche Meinung zu dem Album ist von daher insgesamt ambivalent. Dennoch: Allein "Foxy Lady" und "Wolkenwinde" haben für mich die Anschaffung des Albums gerechtfertigt.
Line-up:
Henrik Freischlader (guitar, lead vocals)
Moritz Fuhrhop (organ)
Theofilos Fotiadis (bass)
Hardy Fischötter (drums)
Tracklist |
CD 1:
01:I (4:52)
02:Got It Made (4:13)
03:So Damn Cool (6:30)
04:She's Back (For Another Try) (11:26)
05:Bad Dreams_Wolkenwinde (18:54)
06:Never Be True (4:03)
07:The Bridge (9:38)
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CD 2:
01:Breakout (8:13)
02:Drum Solo Hardy Fischötter (7:53)
03:The Wrong Way (5:24)
04:Cry Again (12:44)
05:Tired Of Beggin' (10:12)
06:Foxy Lady (13:07)
07:Mo's Shuffle (Bonus) (2:54)
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