Levon Helm (Ex-Drummer und Co-Sänger bei The Band) muss sich wohl in die Catskill Mountains und das Städtchen Woodstock verliebt haben, nachdem Bob Dylan ihn und seine Truppe im Jahr 1967 angeheuert und zu seinem Wohnort beordert hatte, um mit den damaligen Levon & The Hawks zu spielen. Schließlich ist er nie wieder für lange Zeit von dort weggezogen. Und ich kann es ihm nicht verdenken, wie mir schleichend klar wurde, sobald wir die ersten Ausläufer dieses Gebirges erreichten. Es gibt dort zwar nichts Berühmtes, keine Sehenswürdigkeit zu bestaunen (falls man sich nicht gerade den Austragungsort des großen Festivals aus dem Jahr 1969 im benachbarten Bethel anschauen möchte), aber die Natur ist hier einfach wunderschön anzuschauen und die kleinen Orte versprühen eine urgemütliche Atmosphäre. Alles (inklusive der Häuser) sieht noch aus wie von Hand gemacht und auch der Hippie-Spirit ist so deutlich spürbar, dass man denkt, man könnte ihn greifen.
Eine richtige kleine Oase also, ein perfekter Ort für gestresste Rockstars, die sich von der Öffentlichkeit und dem ganzen Trubel zurückziehen möchten. Von dem her verstehe ich jetzt auch sehr gut, warum Dylan sich genau hierher in den Sechzigern verkrochen hatte. Levon Helm hatte sich vor einigen Jahren eine Scheune an sein Haus angebaut, die seither sowohl als Aufnahme-Studio wie auch als Austragungsort seiner 'Midnight Rambles' dient. Als 'Midnight Rambles' bezeichnet er die Konzerte, die er dort mit seiner Band im Wochentakt spielt. Mit Ehrfurcht erfüllt lief mir bereits eine Gänsehaut nach der anderen über den Rücken, als wir uns auf dem längeren Waldweg befanden, der direkt zu Levons Haus führt.
Dann nach dem Parken die paar Treppenstufen hoch zum Einlass und die ersten Schritte in die Scheune (heiliger Rock'n'Roll-Boden), wo u. a. die Black Crowes ihr Album Before The Frost ... Until The Freeze aufnahmen (in Bildern festgehalten auf der DVD Cabin Fever) und die Überraschung, wie klein diese Location tatsächlich ist (die Filmaufnahmen trügen da ein bisschen). Das Personal/die Security ist von selten erlebter Freundlichkeit und das auch in Fällen, wo bei einigen Besuchern leider ein deutlich härterer Ton angemessen gewesen wäre. Es existiert dort weder ein Getränke- noch Essen-Verkauf, vielmehr werden die Fans dazu ermuntert, sich ihren flüssigen wie festen Verzehr selbst mitzubringen (Flaschen und Dosen sind nicht erlaubt, die Getränke müssen in Plastik-Becher abgefüllt sein).
Für diesen 30. April 2011 war Warren Haynes als Special Guest angekündigt, was den sowieso schon fantastischen Besuch NOCH ein Stückchen fantastischer machte. Zumal niemand wirklich wusste, was passieren würde. Haynes mit seiner Solo-Band? Warren unplugged? Warren Haynes als (einmaliges) Mitglied der Levon Helm Band? Schließlich kam der Gitarrist der Allman Brothers Band und Gov't Mule tatsächlich alleine, lediglich mit einer Akustik-Gitarre bewaffnet auf die Bühne und legte ein hammergeiles, insgesamt sechs Tracks umfassendes Set vor, das vor starken Songs und tonnenweise Feeling nur so strotzte.
Dass der Mann schon jetzt eine absolute Ikone ist, ist lange kein Geheimnis mehr und ich kann es jetzt nur noch mehr bestätigen. Haynes atmet und lebt Musik. Wie der sich in der mit 150 (!!!) Zuschauern proppevollen Scheune reinlegte und dazu diese starken Songs präsentierte, war ein Erlebnis der absolut anderen Art. Die Hälfte der sechs Songs (bei denen er teilweise von Gov't Mule-Tastenmann Danny Louis am Piano unterstützt wurde) kamen von seinem neuen Solo-Album "Man In Motion", das mittlerweile veröffentlicht sein dürfte. Einer der neuen Titel (der einzige, den er mit Namen ankündigte) war "River's Gonna Rise", der wie alle anderen Stücke auf voller Länge überzeugen konnte.
Danach gab es erstmal eine kurze Pause, bis der Mann des Hauses, the legend himself, die Bühne erklomm. Levon Helm war offensichtlich bester Laune und der erste Track des Sets war der Band-Song "W.S. Walcott Medicine Show". Herr im Himmel, was für ein göttlicher Sound!! Da es sich hier wie gesagt auch um ein Aufnahme-Studio handelt, hatte ich mir schon ausgerechnet, dass der Sound eigentlich nur gut sein konnte, aber was meine Ohren dann geboten bekamen, überstieg alle Erwartungen. Kristallklar war jedes einzelne Instrument zu vernehmen und man konnte abwechselnd in den Sound des einen, dann wieder des anderen Gruppen-Mitglieds eintauchen und sich darin verlieren.
Levon selbst sang an diesem Abend einen und dann noch mal zwei halbe Songs. Und hier waren wir dann am einzigen traurigen Punkt des Abends angekommen, denn seine Stimme klang ... nicht überheiser, sondern vielmehr alles andere als gesund, um es mal gelinde auszudrücken. Davon war nicht mehr viel übrig und der Gesang verlangte ihm auch augensichtlich einiges ab. Levon ist zwar nach seiner überstandenen Stimmband-Krebserkrankung und der schweren Lungenentzündung (im letzten Dezember) nach wie vor krebsfrei, aber Leute, so wie sich das an diesem Samstag anhörte, kann ich mir nicht vorstellen, dass es jemals wieder zu einem Album mit Levon als Sänger kommen wird. Drücken wir ihm die Daumen, dass er und seine Stimme sich hoffentlich doch noch erholen werden.
Aber sämtliche Mitglieder der Levon Helm Band sprangen diesbezüglich abwechselnd für ihren Leader ein und auch Warren Haynes, der neben Jimmy Weider als zweiter Gitarrist ab dem zweiten Song des Levon-Sets zurück war, verlieh einigen Songs seinen Gesang. An The Band-Titeln wurden neben dem bereits erwähnten "W.S. Walcott Medicine Show" noch "Ophelia", "The Shape I'm In", "It Makes No Difference", "Across The Great Divide" sowie die unvermeidlichen "I Shall Be Released" und "The Weight" gebracht. Dazu ein göttliches "Mardi Gras Day" (im Original von Dr. John) und zugegebenermaßen eine Menge Stücke, die ich noch gar nicht kannte.
Was aber nicht die geringste Bedeutung hatte, denn was diese Band auf der Bühne an Groove, an spielerischem Können, an Spielfreude, an Feeling und, und, und bot, war - im Verbund mit diesem so puren, reinen Sound - einfach nicht von dieser Welt. Ein Abend, den wohl kaum einer der Besucher jemals vergessen wird. Als das etwa 100-minütige Konzert, das gerne doppelt so lange hätte sein dürfen, zu Ende war, gab es Standing Ovations für die Musiker und so sehr man auch nach mehr gierte, nahm man es dem (fast) 71-jährigen Levon Helm auch nicht einen Funken übel, als er sich ausgiebig verabschiedete.
Nach der Show gelangten wir mit ein bisschen freundlicher Hilfe in einen Kellergang von Levons Haus, wo er seine persönlichen Erinnerungen (Fotos, goldene Schallplatten, Grammy-Auszeichnungen, die Ehrung der Aufnahme in die Rock'n'Roll Hall of Fame usw.) an den Wänden hatte und wo auch der Durchgang für die Musiker von der Bühne direkt in Levons Haus war. Und plötzlich - ich wusste gar nicht, wie mir geschah - stand Warren Haynes neben mir und fragte mich, welchen Eindruck ich von der Show hatte. Aaaaaah ... Dies entwickelte sich dann zu einem sehr netten, wenn auch relativ kurzen Gespräch. Keine Allüren, kein Rockstar-Gehabe - lediglich der Wunsch nach einem ehrlichen Feedback ...
Von dem am Ende sichtlich erschöpften Levon Helm war nach dem Konzert (verständlicherweise) nichts mehr zu sehen, aber Warren Haynes ließ es sich nicht nehmen, noch ein paar Autogramme für die wenigen Ausharrenden zu schreiben, für Fotos zur Verfügung zu stehen und (auf eine ihm wohl ganz eigene Art, sein linker Arm geht ausgestreckt von unten nach oben, innere Handfläche zum Himmel zeigend) Hände zu schütteln.
Wahrhaft eine unvergessliche Nacht, die die starke Emotion bzw. das starke Verlangen zurückließ, zu diesem magischen Ort zurückzukehren. Wünschen wir Levon das Beste und drücken alle Daumen, dass sich auch seine Stimme wieder erholen wird. Ein guter Tipp an alle USA-reisenden Musik-Verückten: Wenn ihr es irgendwie einrichten könnt, dann besucht einen 'Midnight Ramble'! Und noch ein Tipp: Rechtzeitig die Tickets (über die Homepage) sichern, diese Shows sind immer ruckzuck ausverkauft.
Line-up:
Levon Helm (drums, vocals)
Jim Weider (guitar, vocals)
Brian Mitchell (piano, vocals)
Donald Fagen (piano, vocals)
Amy Helm (acoustic guitar, background vocals)
Byron Isaacs (stand-up bass)
Jay Collins (tenor saxophone)
Erik Lawrence (alto saxophone)
Steven Bernstein (trumpet)
Clark Gayton (trombone)
Special Guests:
Warren Haynes (guitar, vocals)
Danny Louis (piano)
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