Eine richtig gute Southern Rock-Band erhält den Ritterschlag - das lehrt die grausige Historie dieses Genres - vom Sensenmann höchstpersönlich, wenn dieser den Main Man kurzerhand und viel zu früh abberuft. Lynyrd Skynyrd, die MTB, die Outlaws, Molly Hatchet oder die ABB mussten diese bittere Erfahrung machen - einige wuchsen, andere zerbrachen daran... In welche Kategorie gehört wohl Lizard, fragten sich nicht wenige der treuen Fans bange, als am 20. Februar 2009 Georg Bayer, quasi Herz und Hirn der besten deutschen Southern-Rocker, völlig überraschend abtreten musste.
Nach einer kurzen Schockstarre war den sechs überlebenden Bandmitgliedern schnell klar, dass es weitergehen musste. Nicht nur, weil Schorsch es so gewollt hätte, sondern auch, weil ihnen schlagartig bewusst wurde, wie viel jedem Einzelnen von ihnen Lizard bedeutet. Zudem - das will ich als Fan mal loswerden - wäre es jammerschade um die Band gewesen, denn Lizard war eben nicht nur Schorsch. Sechs handwerklich erstklassige Musiker verschmolzen - ob live oder auf Platte - zu einer groovenden Einheit, der wohl besten Southern Rock-Band außerhalb des Mutterlandes des Genres. Nein, für die Fans war klar: es musste einfach weitergehen!
Beim Besuch im Studio durfte ich erfahren, was für eine eingeschworene Gemeinschaft Lizard darstellt. Da kann die Suche nach einem neuen Mann am Mikro eine echte Herausforderung bedeuten - es muss einfach 'passen'. Ruben Killian, ein alter Kumpel und Jam-Genosse der Band, passt ganz offensichtlich ins Konzept - stimmlich wie menschlich und, für den Frontmann einer Southern Rock-Band nicht unerheblich, auch optisch.
"Big Road" sollte seinem Namen alle Ehre machen, eine richtig große Sache werden, so die Quintessenz des Gesprächs anlässlich des damaligen Studio-Reportes. Die ersten Höreindrücke des noch ungemixten Materials stimmten seinerzeit erwartungsfreudig, auch wenn man sich in der kurzen Zeit noch kein umfassendes Bild machen konnte. Die wichtigste Erkenntnis für mich war: Es klingt 100% nach Lizard. Der Leader war zwar nicht mehr an Bord, aber man war nicht richtungslos. Es wurde sicht- bzw. hörbar, was man vor allem live immer gespürt hatte: Lizard war eben immer mehr als nur ' Schorsch Bayer plus Anhang', sondern stets eine richtig starke Southern Rock-Band mit sechs überaus versierten Instrumentalisten - jeder ein Meister seines Faches an seinem Arbeitsgerät. Kurz gesagt: es war richtig und wichtig, dass es weitergeht... und dies auf einer 'big road'.
"Big Road" - da könnte man auch an die breite Straße des Mainstreams denken, aber keine Sorge, diese Spontanassoziation bewahrheitet sich nicht. Nach dem ersten Hördurchgang denkt man eher an PS-Power, Pick-ups und Monster-Trucks. Erfreulicherweise bedienen Lizard die Southern Rock-Trademarks sehr viel eindeutiger als zuletzt (tolle) US-Vertreter wie Hogjaw oder SwampDaWamp. Fans dieses Genres sind wertkonservative Menschen - Innovationen sind für sie etwas für Kaffeemaschinen oder Rasenmäher, nicht für den Southern Rock!! Lizard stehen mit "Big Road" für diese Trademarks - in Europa vielleicht nur durch meine überaus geschätzten Freunde von Natchez aus meiner unmittelbaren, französischen Nachbarschaft annähernd erreicht.
Los geht's mit "Loser", das bereits in Esslingen vorgestellt worden war. Auf einem treibenden Riff marschiert der Song unwiderstehlich voran und mündet zum Schluss in die obligatorischen Double-Leads. Ein starker Auftakt. "I Must Be Dreaming" ist einer von drei Songs, für die Bruce Brookshire die Texte beigesteuert hat. Hier singt er zusätzlich jeweils bei den Strophen die zweite Stimme - Nina Grass' weibliche Vocals sind im Refrain eine tolle Ergänzung zum männlichen Part von Ralf Mende. Der Song hat einen irren, mitreißenden Groove und immer dann hat "Big Road" seine stärksten Momente, wie in "Movin' On", doch dazu später...
Der Titelsong transportiert als Power-Ballade all die großen Gefühle, für die der Southern Rock steht. Hier glänzt Klaus Brosowski mit seinem hämmernden Piano und dem virtuosen Hammond-Solo (eigentlich ist's ja ein Korg CX-3). Die heulende Slide Christoph Berners eröffnet "Wild Child", ein 'sumpfiger' Rocker auf Monster-Riffs, der mit der genretypischen Gitarrenschlacht endet - das wird auch live ein Stimmungsgarant!! Die Ballade "Rainbow" enthält noch Textfragmente Georg Bayers. Eine sehr entspannte Laid Back-Nummer, sehr schöne Gesangsparts, leicht traurige Grundstimmung - klingt wie eine Hommage an den verstorbenen Bandleader...
Wow, "Movin' On" marschiert los wie es die Allman Brothers nicht besser könnten. Kein Wunder bei zwei solchen Klasse-Drummern wie Helmut Kipp und Hank Rosner, die sich hier hemmungslos austoben dürfen! Die Hooklines drehen sich wie Ohrwürmer in die Lauscher - die kriegt man so schnell nicht mehr raus. Ich erinnere mich an den Besuch im Studio: Ralf war gerade beim Feilen an seinen Backing Vocals, während Kollege Ruben, ein Zigarettchen rauchend und Bierchen nuckelnd in unser Gespräch vertieft, ein etwas schlechtes Gewissen hatte ;-)
Leichte Country- und Folk-Einflüsse werden in "Falling" verwoben. Volker Dörflers Gitarrenmelodie nach dem finalen Refrain verfügt über Suchtfaktor zehn! Das nächste Highlight wird dem Hörer mit dem gnadenlosen Abrocker "Mercy Me" förmlich um die Ohren geschlagen. Volker treibt das Riff voran auf dem Christoph meisterlich slidet. Vergesst die laue Grütze die Molly Hatchet in den letzten Jahren aufgegossen hat - Lizard rules!!
Ist es eine Dobro oder eine National Steel, die "Worry No More" eröffnet? Egal, der Song nimmt den Hörer ganz tief in die hitzig-schwülen Sümpfe Louisianas mit. Über minimalistischem Arrangement kann hier Ruben Killian mit variablem Gesang Glanzpunkte setzen. Es bleibt sehr entspannt: "No Matter How I Try" klingt irgendwie so, als wenn die Dire Straits Run To You spielen würden. Tolle Nummer! Mit ganz breiter Brust, voller Selbstbewusstsein kommt "No Goodbyes Today" daher - vom Arrangement gesehen einer der stärksten Songs... aber einen hat Lizard noch und was für einen!!
Einen Song wie "Walking" hat die ABB seit Jahrzehnten nicht mehr geschrieben - nicht dass sie es nicht mehr könnten, sie haben sich einfach stilistisch verändert. "Walking" klingt wie in deren allerstärkster Phase (Anfang der Siebziger!) entstanden. Die Nummer ist eine Hommage an Georg Bayer - Lizard 'is walking', geht den eingeschlagenen Weg weiter. Seid sicher, Jungs: Georg guckt von oben runter und ist stolz auf euch...
»Shake me - wake me
I must be dreaming...«
Jawoll, kneif' mir mal einer in den Arm! Was ist das für ein starkes Album geworden... Dass es Lizard draufhaben, war klar - aber ein derart überzeugendes Endprodukt ist schon eine faustdicke Überraschung. Ein winziger Kritikpunkt muss mir aber erlaubt sein: Ich hätte mir gelegentlich Rubens Gesang etwas präsenter, ein wenig druckvoller in den Vordergrund gemischt, gewünscht. Aber sicherlich haben sich die schwäbischen Tüftler auch dabei etwas gedacht...
Meine Anspieltipps: "I Must Be Dreaming", "Wild Child", "Movin' On" und "Mercy Me" - "Walking" schwebt einsam über allem...
"Big Road" wird im Herbst via Phoenix Records erhältlich sein. Bis dahin kann das geschmackvolle Digipak ausschließlich bei Lizards Live-Auftritten käuflich erworben werden. Die Termine findet ihr, stets aktualisiert, in unseren Tourdaten.
Line-up:
Ruben Killian (lead vocals)
Christoph Berner (guitars, slide)
Volker Dörfler (guitars)
Ralf Mende (bass, vocals)
Klaus Brosowski (keyboards)
Helmut Kipp (drums, percusssion)
Wolfgang 'Hank' Rosner (drums, percussion)
Additional Musicians:
Bruce Brookshire (vocals)
Nina Grass (vocals)
Tracklist |
01:Loser (3:46)
02:I Must Be Dreaming (4:04)
03:Big Road (5:18)
04:Wild Child (5:44)
05:Rainbow (5:10)
06:Movin' On (5:22)
07:Falling (4:07)
08:Mercy Me (4:35)
09:Worry No More (5:08)
10:No Matter How I Try (5:07)
11:No Goodbyes Today (4:58)
12:Walking [dedicated to Georg] (6:34)
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