Gary Moore / Live At Montreux 2010
Live At Montreux 2010 Spielzeit: 77:43 (CD), 119:00 (DVD)
Medium: CD & DVD
Technik DVD:
Tonformat: DTS, Dolby 5.1, PCM Stereo
Bildformat: 16:9
DVD 9
Sprache: Englisch
Label: Eagle Records, 2011
Stil: Rock

Review vom 29.09.2011


Jürgen Hauß
Gerade einmal ein gutes halbes Jahr ist es her, dass die Welt 'plötzlich und unerwartet' einen der größten Blues Rock-Gitarristen der Welt verloren hat, und da liegt es durchaus nahe, nach verwertbarem Material in seinem Vermächtnis zu suchen, um noch einmal abzukassieren. Sei es durch neue Compilations ("Memorial Collection") bzw. lediglich ergänzte CDs ("Ballads & Blues", 2011, mit DVD) oder 'Never-released-before'-Alben. Ob man auch das eine oder andere
Tribute-Album hierunter zählen will, mag - wie dessen seinerzeitiger Rezensent zutreffend geschrieben hat - jeder selbst für sich entscheiden.
Das mag auch ein Grund für die Veröffentlichung der vorliegenden CD/DVD zum jetzigen Zeitpunkt gewesen sein. Doch "Live in Montreux" hat auch in Bezug auf Gary Moore schon eine gewisse Tradition. War im Jahr 2007 bereits die DVD-Box Definitive Montreux Collection veröffentlicht worden, die die bis dato fünf Auftritte von Gary Moore in Montreux dokumentierte, erschien im Jahr 2009 unter dem Titel Live At Montreux/Essential Montreux eine 5-CD-Box, die dieselben Auftritte des Protagonisten über einen Zeitraum von zwölf Jahren rein akustisch dokumentierte (obwohl zu diesem Zeitpunkt bereits ein weiterer Auftritt im Jahr 2008 stattgefunden hatte). So wäre "Live In Montreux 2010" - unabhängig von Garys Tod - sicherlich über kurz oder lang ebenfalls veröffentlicht worden (auch wenn das 2008er Konzert bislang weder als Bild- noch als Tondokument erhältlich ist).
"Nach einer langen Phase mit überwiegend bluesorientierten Stücken kehrte Gary Moore im Jahr 2010 zur reinen Rockmusik zurück. Er schrieb und arbeitete gerade an einem neuen Rockalbum, als ihn am 6. Februar 2011 der jähe Tod ereilte. Dieses Konzert aus Montreux vom Juli 2010 war sein letzter gefilmter Auftritt." So beginnt der Waschzettel der Plattenfirma (und wird i.d.R. als Produktbeschreibung im Internet einfach wiederholt). Doch für ein Review auf RockTimes reicht das natürlich nicht aus. Und da Musik in erster Linie etwas für die Ohren ist, beginne ich mit der CD.
Mit brachialen, kraftvollen und rhythmischen Schlägen kündigen die Drums eindeutig den Opener "Over The Hills And Far Away" an; doch was ist das? Als Gary Moore erstmals seine Gitarre so markant aufheulen lässt, klingt dies nach allem Anderen als dem bekannten Titel. Nun ja, man kann es getrost als eine einleitende Improvisation bezeichnen - man ist halt auf einem Jazz-Festival. Nach Einsetzen des Gesangs übernimmt auch die Gitarre bekannte Klangbilder. Musikalisch ähnlich konstruiert ist bekanntermaßen auch "Military Man" angelegt und wird entsprechend kraftvoll dargeboten.
Als ersten neuen Song kündigt Gary nun "Days Of Heroes" an, doch so wirklich neu klingt der Titel nicht; vielmehr vernehme ich deutliche Ähnlichkeiten zum Opener "Over The Hills And Far Away": Kraftvolle Drums als Hintergrund für ebenso rockige Gitarrenklänge. Der Instrumentalteil in der Mitte des Tracks beginnt nur etwas ruhiger, wird alsbald rockig und mündet in 'gewittrige' Gitarrenklänge. Ein durchaus typischer Moore-Song eben. Auch das nächste Stück "Where Are You Now" wird als neue Nummer angekündigt, doch das Intro erinnert stark an (das vorliegend noch kommende) "Parisienne Walkways". Rockige Klänge, handelt es sich um ein vom Tempo her eher ruhigeres Stück, das wohl bislang eher Garys Blues-Phase zugeschrieben worden wäre (auch wenn es nicht als klassischer 12-Takter konzipiert ist). Durchaus hörenswert - besonders das typische Gitarrensolo im zweiten Teil - aber eben nichts wirklich Neues!
Den nächsten Song sagt Gary Moore mit "Empty Rooms" an, doch ich muss gestehen, dass ich den Titel anfangs überhaupt nicht heraushören kann. Dies liegt allerdings daran, dass es sich - so jedenfalls die Tracklist des Booklets - tatsächlich um einen Doppeltitel handelt. Gary beginnt mit dem rein instrumental dargebotenen "So Far Away" und geht nach knapp drei Minuten übergangslos in den angekündigten Song über. Diese Kombination hat Moore in Live-Konzerten vielfach gepflegt; dokumentiert ist dies u.a. auf der 1984er Scheibe "We Want Moore". "Empty Rooms" jedenfalls wird in altbekannter Manier dargeboten; wobei einzuräumen ist, dass Gary Moore diesen Klassiker seines Repertoires - und damit auch dessen Intro - bei seinen zuvor sechs Auftritten in Montreux noch nicht präsentiert hatte.
Klassischer Rock folgt mit dem dritten Neuling "Oh Wild One", wobei die Gitarre Moores solistisch etwas irische Klänge einbringt, die auch ein wenig nach "Oh Susanna" (ja, die mit dem 'Banjo on my knee') klingen. Zur Gitarrenfraktion tritt diesmal der etatmäßige Keyboarder Neil Carter hinzu, wodurch der rockige Charakter des Songs unterstützt wird. Dennoch reißt dieser Track musikalisch einen jedenfalls nicht wirklich vom Hocker; der Applaus scheint ebenfalls verhalten zu sein. Irische Klänge beeinflussen auch "Blood Of Emeralds", der Song vom 1989er Album "After The War", der sich mit dem Nordirland-Konflikt beschäftigt. Der zwar etwas ruhigere, dennoch aber rockige Song wird im Mittelteil von einer sehr eindringlich und zurückhaltend instrumentierten Gesangsballade unterbrochen.
Bekannt kriegerischen Themen widmet sich auch "Out In The Fields" mit entsprechend gewehrsalvenhaft dargebotenen Schlagzeug- wie Gitarrentönen sowie Hintergrundgeräuschen. Auch das Publikum wird hier - soweit vernehmbar erstmals - zu Interaktivität in Form von rhythmischem ‚Handclapping' eingebunden. Die Begeisterung des mitsingenden Publikums greift Gary Moore bei der Ankündigung von "Walking By Myself" auf und fordert stetig Wechselgesänge in diesem Rock'n'Roll.
Absoluter Stimmungswechsel erfolgt mit "Johnny Boy", der Ballade, die in erster Linie allein mit akustischer Gitarre interpretiert wird (Neil Carter steuert über die Keyboards lediglich eine Art Klangteppich bei). Das Stück aus dem Jahr 1987 (im Original zudem mit Streichern unterlegt) ist bekanntermaßen dem im Jahr zuvor gestorbenen Phil Lynott gewidmet, mit dem Gary Moore lange Jahre hinweg bei Thin Lizzy zusammengespielt hat. Ein sehr persönliches Anliegen des Protagonisten, das vom Publikum durchaus honoriert wird.
Und schließlich - unschwer schon beim ersten, spätestens aber mit dem vierten Ton der Gitarre zu erkennen - "Parisienne Walkways", der 'Montreux-Klassiker', der Ab(t)räumer, mit dem Gary Moore insgesamt vier seiner Auftritte auf dem Jazz-Festival (einschließlich dem vorliegenden sowie dem bislang nicht erhältlichen 2008er Konzert) beendet hat. Man muss über die sehr gefühlvolle Ballade mit ihren langgezogenen, jaulenden Gitarren-Tönen und den provozierend langen Pausen nichts weiter ausführen, ist die Nummer doch schon über 30 Jahre alt, immer wieder als Single veröffentlicht, und wird bei Live-Konzerten stets auf über 10 Minuten Spielzeit hinausgezogen, ohne jemals langweilig zu werden.
Die Song-Auswahl bei diesem Auftritt ist gut; insgesamt sieben der elf hier dokumentierten Stücke sind Montreux-Premieren (jedenfalls nicht auf den bisherigen CD-Dokumentationen enthalten) und lediglich vier Titel sind Montreux-Klassiker. Die Sound-Qualität kann ich nicht kritisieren; soweit im Internet manche Stimmen der vorliegenden Scheibe lediglich "Bootleg-Qualität" attestieren, kann ich das nicht nachvollziehen; aber vielleicht habe ich nicht die High-End-Quality-Musikanlage bzw. das dafür notwendige audiophile Gehör, um auch in die letzten Frequenzen oder Dezibel hinein zu hören. Für mich klingt die CD - für eine Live-CD allemal - einfach gut - basta! Was ich einzig kritisieren möchte, ist eine technische Lappalie: Die Ansagen der einzelnen Titel sind stets am Ende des vorherigen Songs, d.h., wenn man einen Titel direkt anwählt, bekommt man die - allerdings rechts knappen - Ansagen nicht zu hören.
Kommen wir zur DVD. Aus der Schweiz kommen bekanntlich leckere Schokolade, scharfe Taschenmesser und - erstklassige Konzert-DVDs (jedenfalls aus Montreux)! Mir liegt 'nur' eine ‚normale' DVD (und keine Blu-Ray) vor, aber ich wüsste nicht, was an der Qualität noch verbessert werden könnte. Bild und Ton kommen brillant rüber.
Gegenüber der CD enthält die Dokumentation vom Auftritt im Jahr 2010 zwei zusätzliche Tracks. Dies ist zum einen "Thunder Rising" (im Original von der CD "Wild Frontiers" aus dem Jahr 1987), ein weiterer knallharter Rocksong. Gary Moore wird hier beim Gesang von Neil Carter entlastet, doch dieser muss sich sehr anstrengen, die hohen Töne zu erreichen, was auch optisch deutlich wird. Der andere Song ist "Still Got The Blues", DER Gary Moore-Montreux-Klassiker schlechthin (schließlich hat er den Track bei jedem seiner Auftritte auf dem Festival gespielt, auch wenn dieser bei den jeweiligen Dokumentationen nicht immer dabei war). Das Stück spielt Gary Moore natürlich im Schlaf, und sowohl er, wie auch seine Begleitband spielen die meiste Zeit mit geschlossenen Augen!
Doch das Konzert beginnt mit einem weiteren 'Mehr' gegenüber der CD: Aus dem 'Off' kommen Dudelsack-Klänge der angenehmen Art; eine Art Celtic Rock-Klangteppich; durchaus ein gut gewählter Einstieg, bis die Musiker die bislang nur durch schwenkende Scheinwerfer punktuell beleuchtete Bühne betreten und umgehend mit "Over The Hills And Far Away" (s.o.) beginnen. Zugegeben: Lange habe ich keine Aufnahmen von Gary Moore gesehen (und der Schlankesten Einer war er ja schon viele Jahre nicht mehr), doch ich bin ziemlich erschüttert von seinem Anblick. Ein äußerst aufgedunsenes, verquollenes Gesicht, das jedenfalls keinen gesunden Eindruck macht. Durchaus naheliegend, dass bereits zum damaligen Zeitpunkt Vorboten seines später als ' plötzlich und unerwartet' bezeichneten Todes erkennbar waren.
Sei's drum: In seiner Spielkraft und -freude ist der Protagonist an diesem Abend jedenfalls offensichtlich nicht beeinträchtigt. Es ist eine wahre Freude zuzusehen, wie seine auch nicht gerade zierlichen Finger über die Gitarre flitzen und seine neuen Songs genauso wie das altbekannte und altbewährte Material perfekt zu Gehör bringen. Insbesondere bei den beiden Zugaben des Konzerts "Johnny Boy" (dargeboten auf einer fantastischen Variax-Acoustic-Klampfe) und "Parisienne Walkways" (stimmungsvoll die oftmaligen Bild-Überblendungen zum wahrscheinlich von Paris-Romantik träumenden weiblichen Publikum!) wird die Virtuosität Gary Moores auf der Gitarre auch optisch deutlich.
Die Aufnahmen konzentrieren sich natürlich auf den Protagonisten. Die Begleitcombo kommt demgegenüber insgesamt recht unspektakulär daher. Lediglich Neil Carter (Ex-Wild Horses, Ex-Ufo), der auch als Mitkomponist einzelner Titel angegeben wird und der Gary Moore teilweise auch beim Gesang entlastet, produziert gewisse Showeffekte. Auch Gary selbst ist kein Mann der großen Show; er glänzt vielmehr in erster Linie durch sein Gitarrenspiel. Erwähnenswert ist schließlich m.E. auch, dass der Drummer Darrin Mooney bereits beim 2001er Auftritt mit dabei war.
Das obligatorische Bonus-Material besteht aus vier "bislang unveröffentlichten" Aufnahmen vom 1997er Auftritt in Montreux. Diese Aussage ist zutreffend, wenn man auf die in der eingangs angesprochenen DVD-Box enthaltende Dokumentation abstellt. Hingegen waren die Titel (mit Ausnahme von "Still Got The Blues") auf der entsprechenden CD mit drauf. Gary Moore - natürlich wesentlich jünger, aber insbesondere auch schlanker - tritt hier wesentlich agiler in Erscheinung. Umso schmerzhafter bleibt der Eindruck in Erinnerung, den er bei seinem letzten Auftritt in Montreux hinterlassen hat. Vor diesem Hintergrund hätte man besser auf das Bonus-Material verzichtet, zumal die beiden letzten Titel auch schon auf der aktuellen DVD mit drauf sind und den Vergleich noch verstärken.
Fazit: Wenn Gary Moore angesichts des optischen Eindrucks zum Zeitpunkt des Auftritts bereits gesundheitlich angeschlagen gewesen sein sollte - m.E. ist davon nichts zu spüren. Der letzte gefilmte Auftritt - ebenso die audiophile Dokumentation - ist das Vermächtnis eines großartigen Musiker - und sicherlich kein allzu schlechtes.
Line-up:
Gary Moore (vocals, guitar)
Jon Noyce (bass)
Darrin Mooney (drums)
Neil Carter (keyboards, guitar - #6)
Tracklist
CD:
01:Over The Hills And Far Away (7:10)
02:Military Man (6:01)
03:Days Of Heroes (3:59)
04:Where Are You Now? (6:45)
05:So Far Away / Empty Rooms (11:49)
06:Oh Wild One (6:40)
07:Blood Of Emeralds (8:24)
08:Out In The Fields (7:44)
09:Walking By Myself (5:07)
10:Johnny Boy (3:13)
11:Parisienne Walkways (10:52)
DVD 2:
01:Over The Hills And Far Away
02:Thunder Rising
03:Military Man
04:Days Of Heroes
05:Where Are You Now?
06:So Far Away / Empty Rooms
07:Oh Wild One
08:Blood Of Emeralds
09:Out In The Fields
10:Still Got The Blues
11:Walking By Myself
12:Johnny Boy
13:Parisienne Walkways

Bonus Tracks 1997
01:One Good Reason
02:Oh Pretty Woman
03:Still Got The Blues
04:Walking By Myself
Externe Links: