Es soll ja Leute geben, die sich darüber beschweren, dass die Stones schon lange nichts neues mehr raus gebracht haben und lieber in die Kiste mit alten Sachen greifen, um diese wieder aufzuwärmen. Mir jedoch, wie wahrscheinlich jedem anderen Stones-Fan auch, geht jedes mal das Herz auf, wenn solche (qualitativ auf sehr hohes Niveau gebrachte) Filme wie etwa Gimme Shelter oder Ladies And Gentleman... wieder zugänglich gemacht werden. Und passend zum Weihnachtsfest liegt nun der nächste Streich in Form von "Some Girls - Live In Texas '78" vor. Warum die 1975er US-Tour (von der es ganz sicher auch Filmaufnahmen gibt) übersprungen wurde, entzieht sich meiner Kenntnis, soll hier aber auch nur peripher interessieren.
Ab dem Jahr 1969 hatte sich die Band um die 'Chefs' Mick Jagger und Keith Richards einen eigenen Tour-Rhythmus zu Eigen gemacht. Erst durch die USA, im Jahr darauf dann Europa. Dies ging so bis einschließlich 1982 bzw. Jaggers Weigerung, 1984 mit der Band zu arbeiten und lieber sein Solo-Ding durchzuziehen, was dann in den - vom intimen Stones-Umfeld so betitelten - '3. Weltkrieg' mündete. Einfacher gesagt, Jagger hatte keinen Bock mehr auf die Stones und Keith war deshalb so stinksauer, dass man ihn eine Zeit lang am besten erst gar nicht auf den Frontmann ansprach, wollte man nicht einen verlängerten 'Urlaub' im Krankenhaus riskieren.
Hier soll es aber um die vorliegende DVD gehen, die das Konzert am 18. Juli 1978 in Forth Worth, Texas beinhaltet. Die gesamte Tour nimmt eine Sonderstellung ein, da das einzige Mal in der oben genannten Zeitspanne keine Europa-Reise im nächsten Jahr folgte. Dazu bekam man auf dieser Tour die Engländer (wohl zum letzten Mal) 'back to the roots', in kleinerem Rahmen, fast ganz für sich und ohne Gastmusiker zu sehen. Logisch war Ian Stewart an den Tasten dabei, Ian 'Mac' McLagan (Ex- The Small Faces, Ex- The Faces) hatte man für die Keyboards mitgenommen und schließlich darf der Cajun-Fiddler Doug Kershaw für einen Song dabei sein. Ansonsten gab es hier nur eines, nämlich Rock'n'Roll pur von einer der - wenn sie in Form sind - besten Live-Bands dieses Planeten.
Und in Form waren die Jungs an diesem Abend ganz ohne Zweifel. Während die erste ( Chuck Berry-) Nummer "Let It Rock" fast noch etwas verhalten rüberkommt, so ist bereits direkt danach mit "All Down The Line" die Hölle los. Die Band geht ab wie ein angestochenes Wildschwein und direkt bei diesem zweiten Song fließt das Adrenalin bereits in Strömen. Das Konzert war gewissermaßen in drei Teile aufgesplittet. Erstmal ein paar Klassiker (es folgen "Honky Tonk Women" und "Starfucker" aka "Star Star", bei dem Ronnie Wood zumindest in den Siebzigern immer seinen großen Auftritt hatte, als er ganz vorne an der Bühne den Refrain zusammen mit Jagger ins selbe Mikro röhrte).
Danach folgen 'mutige' sieben Songs nacheinander von der damals aktuellen Scheibe "Some Girls" und am Ende kamen dann wieder die gewohnten Klassiker und Hits. Ins Gewicht fällt dies allerdings nicht, da die Band an diesem Abend richtig heiß war und wir hier einfach nur 85 mitreißende Konzertminuten geboten bekommen. Jagger macht wie immer den perfekten Frontmann, wenn das Gestänge, oder was immer das auch ist, das er da in der Hose hat, aus heutiger Sicht doch eher zur Erheiterung beiträgt. Charlie Watts und Bill Wyman legen wie gewohnt den perfekten und unerschütterlichen Groove, wenn sie dabei auch immer so erscheinen und agieren, als wären sie gerade irgendwo auf einer Kaffeefahrt.
Keith Richards und Ronnie Wood stehen voll im Saft, bewegen sich auch relativ viel und machen zuzüglich zu Jaggers Manorismen richtig Attacke rechts und links (manchmal auch in der Mitte) der Bühne. Der Sound ist zwar nicht perfekt, aber dafür sehr gut genießbar. Overdubbed wurde da wohl kaum was, denn auch der ein oder andere Verhauer ist zu hören. Mick ist zudem 'not amused', als er das einzige Mal am Piano Platz nimmt, dieses jedoch unter technischen Störungen leidet. Dazu kommen die herrlich 'kaputten' Background Vocals der beiden Gitarristen, die ab den Tourneen von 1990 an nicht mehr 'gewünscht' waren. Ebenfalls herrlich das verschrobene Timing der beiden Co-Sänger. Irgendwie scheint einer immer zu spät zum Einsatz ans gemeinsame Mikrophon zu kommen, Keith muss während eines Refrains mal einen Ausfallschritt nach hinten machen (was Ronnie köstlich amüsiert) und wenn man die Inbrunst eines Richards beim Refrain von "Far Away Eyes" erlebt, allerspätestens dann sieht man, dass hier Leib und Seele, Haut und Haar im Spiel waren.
Sämtliche Tracks des "Some Girls"-Albums überzeugen auf der Bühne voll und ganz. Und wer das Stück "Miss You" bis heute als minderwertige Disco-Anbiederung abtut, der sollte sich die hier vorliegende Version mal reinziehen. Es wird gefunkt und gegroovt und die Gitarren knallen einem nur so um die Ohren. Am Schluss stehen natürlich, wie schon erwähnt, weitere Klassiker auf dem Programm, wobei einmal mehr Keith Richards mit seinem "Happy" die Konzerthalle niederreißen zu wollen scheint. Es gibt eigentlich viel zu viele starke wie amüsante Momente auf diesem Silberling, als dass man sie alle aufzählen könnte.
Im Bonus-Teil gibt es ein aktuelles Jagger-Interview zur damaligen Situation, einen aus heutiger Sicht nicht mehr wirklich lustigen Sketch mit Dan Aykroyd in der Show "Tomorrow", ein interessantes TV-Special über die Stones zur anstehenden '78er Tour und schließlich der beste Part: Die Rolling Stones im Oktober 1978 auf der Bühne von "Saturday Night Live", wo sie drei neue Nummern Live bringen. Ronnie Wood musste ja nach seinem Einstieg (1975) als der 'Neue in der Band' schon einiges ertragen, nach eigenen Aussagen war aber an diesem Abend die wirklich einzige Situation, wo er sich mit aller Macht zurückhalten musste, um Jagger nicht körperlich zu attackieren.
Bei dem Song "Respectable" spielt er gerade mit geschlossenen Augen sein Solo, als Mick ganz nahe an ihn rankommt und ihm dann über die Lippen leckt. Aber Live ist Live und Business ist Business, wenn man dem guten Ronnie danach auch ansehen kann, dass er stinksauer ist. Aber die Situation passt insgesamt sehr gut zu dem Mick Jagger von 1978, der damals wohl von der Idee geritten wurde, dass die perfekte Bühnenshow sei, so tuntig wie nur irgend möglich rüber zu kommen. Aber das sind Randnotizen, was zählt, ist die Musik. Und die ist auf dieser DVD-Scheibe sehr, sehr stark.
Die meinem Set dazugehörige CD spiegelt exakt die Musik der DVD wieder, wenn auch zwischen den Songs immer wieder mal was raus geschnitten wurde, um unter die 80 Minuten-Marke zu kommen. Der Sound ist ebenfalls klasse!
Tja, was am Schluss bleibt, ist schlicht und ergreifend Begeisterung. Ich hab' mir das Teil jetzt ungefähr zehn mal gegönnt und werde dies mit Sicherheit auch noch viele weitere Male tun. Es wird nicht langweilig, Freunde. Und ganz im Ernst: Für Stones-Fans logischerweise sowieso, aber ebenso für alle, die sich auch nur einen Hauch für die Band oder Rock-Musik im Allgemeinen interessieren, kann es kein besseres Weihnachtsgeschenk geben! 'nuff said!
Line-up:
Mick Jagger (lead vocals, guitar, piano - #11)
Keith Richards (guitars, background vocals, lead vocals - #14)
Ron Wood (guitars, background vocals, pedal steel - #11)
Bill Wyman (bass)
Charlie Watts (drums)
Ian Stewart (piano)
Ian 'Mac' McLagan (keyboards)
Doug Kershaw (violin - #11)
Tracklist |
01:Let It Rock
02:All Down The Line
03:Honky Tonk Women
04:Starfucker (Star Star)
05:When The Whip Comes Down
06:Beast Of Burden
07:Miss You
08:Imagination
09:Shattered
10:Respectable
11:Far Away Eyes
12:Love In Vain
13:Tumbling Dice
14:Happy
15:Sweet Little 16
16:Brown Sugar
17:Jumpin' Jack Flash
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