The Who / Live At Kilburn 1977
Live At Kilburn 1977 Spielzeit: 138:00
Medium: Do-DVD
Technik:
Format: PAL, Widescreen
Bildseitenformat: 16:9
Sound: Dolby Digital 2.0, Dolby Digital 5.1, DTS 5.1
Sprache: Englisch
FSK: Ohne Altersbeschränkung
Label: BMG Music Entertainment, 2008
Stil: Rock

Review vom 24.11.2008


Norbert Neugebauer
Na also, auch die Who-Fans bekommen ihr Weihnachtsgeschenk 2008! Die wohl letzten Live-Filmaufnahmen des original Line-ups mit Keith Moon von 1977. Entstanden am 15.12.1977 in Kilburn, Nord-London, im Gaumont State Theatre vor einem ausgewählten (soweit sichtbar sehr jungen weiblichen) Publikum. Dazu gibt's einen Mitschnitt von 1969 aus dem Coliseum, ebenfalls in London. Obwohl die Kilburn-Tracks mit einem großen Equipment auf 35 mm-Film für den späteren Who-Film "The Kids Are Alright" belichtet wurden, blieben sie bis jetzt unveröffentlicht. Während die PR-Abteilung nun von einem 'Heiligen Gral' der Who-Fans spricht (wohl weil solange verborgen), kursierte hinter den Kulissen das Gerücht von einem furchtbar schlechten Auftritt der Band, der sogar später wiederholt werden musste.
Nun - ob Hype oder wieder Mist, da hilft nur der möglichst unvoreingenommene Blick auf das Werk samt seinen Begleitmaterialien. RockTimes übernehmen Sie!
Die Aufnahmen wurden komplett überarbeitet, sowohl optisch, als auch soundmäßig und den neuesten Standards angepasst. Was das Konzert von 1977 betrifft, gibt es da auch kaum Abstriche; der allerdings wohl nicht für eine Veröffentlichung geplante Mitschnitt von 1969 ist dagegen als durchaus sehenswertes Zeitdokument zu werten, das Who-Fans begrüßen, Konsumenten, die gut konservierte Live-Gigs nachempfinden wollen, wohl als 'mangelhaft' einstufen werden..
Auf DVD 1 ist das Hauptereignis in einem Durchmarsch ohne Zwischenschnitte oder Einblendungen zu sehen. The Who pur in der legendären Besetzung (plus einem weder genannten noch sichtbaren Keyboard-Spieler bei ein paar neueren Stücken). Das Repertoire besteht aus den Hits der beiden Alben Tommy und "Who's Next" sowie einigen 'Klassikern'. Bei den ersten Tracks merkt man der Band noch an, dass sie eine lange Pause hinter sich hatte. Doch dann spätestens bei "Baba O'Riley", bei dem Keith Moon das Synthesizer-Intro auf seinen Trommeln simuliert, wird die Bühnen-Magie greifbar, die diese verrückte Band ausmachte.
Gitarrenakrobat Pete Townshend hüpft von Beginn an bis zum Schluss wie ein Flummi auf der rechten Bühnenseite herum und drischt in seiner einmaligen Windmühlen-Manier auf die Les Paul ein. Ich kenne keinen anderen Gitarristen, der auch nur annähernd diese Performance über ein komplettes Konzert zeigt. In der Mitte Roger Daltrey, noch immer ein absolutes Sex-Idol mit ansprechenden Posen auf der Bühne; durchtrainiert mit Löwenmähne, ein knappes Shirt über dem muskulösen Oberkörper, typisch mikrofonwirbelnd und bestens bei Stimme. An diesen Bühnen-Gespannen wie Jagger/Richards, Plant/Page oder eben Daltrey/Townshend orientiert sich bis heute die Rockwelt.
Ganz links, typisch Basser, der Ruhepol John Entwistle. Sein Spiel war wohl das virtuoseste in der ganzen Band, noch immer ein Genuss ihm bei seinen Läufen auf dem Spezial-Gibson-Instrument auf die Finger zu schauen. Er übernahm regelmäßig auch Lead- und Soloparts mit markant-hartem Klang. Dass weder das Solospiel noch Improvisationen die großen Stärken des als Riffmaster bestenfalls von Richards zu schlagenden Townshend sind, wird regelmäßig im Film deutlich, über ein blamables Gefrickel kommt er nicht hinaus.
Bleibt noch Keith Moon, der trotz seiner Drogenprobleme bis auf einige Ungenauigkeiten noch einmal sein in jeder Hinsicht außergewöhnliches Drumming auslebt. Ein absoluter Verrückter an den vielen Trommeln und Becken, der den Who-Sound genauso kreativ prägte, wie seine restlichen Kollegen. Von Beginn an zieht er dazu seine Grimassen wie ein Charlie Chaplin ohne Schnauzer, flachst ständig mit dem Publikum herum oder zieht den öfters leicht genervten Townshend auf. Der zerdeppert zwar nicht mehr vorsätzlich seine Gitarre, fegt jedoch einmal einen Amp, der wohl nicht mehr richtig funktionierte, in die Kulisse.
Die Band platzte fast vor Adrenalin. The Who waren immer in erster Linie eine krachende R'n'B-Band, bei der die Energie wichtiger war, als die Virtuosität. Und in dieser Hinsicht ließ der Kilburn-Gig wirklich nichts zu wünschen übrig. Aber auch musikalisch steigerte sich das Quartett und bot auch hier einige absolute Highlights mit "Behind Blue Eyes" (kein Vergleich die Schmus-Version von Limp Bizkit), "Dreaming From The Waist" oder dem Abschlussdoppel "Who Are You"/"Won't Get Fooled Again".
Zwar ist der Who-Sound an sich nicht sonderlich abwechslungsreich, aber neben Daltrey (mit Kurzeinsatz an der Harp) sind auch alle anderen Mitglieder am Lead-Gesang vertreten und die Keyboard-Einsätze bei den neueren Songs sorgen ebenfalls für andere Farben. Dieses Konzert von 1977 zeigt zwar möglicherweise die Band nicht auf ihrem Zenit, aber in guter Verfassung (was Townshend auf der Bühne jedoch anders empfand).
Die sechs Kameras haben die Performance gelungen eingefangen, die Schnitte geben die Bühnenpower ohne Überaktivität bestens wieder. Weshalb das Material also über 30 Jahre auf seine Veröffentlichung warten musste, bleibt ein Rätsel. Sicher nicht der Gral, aber ein klasse Konzertmitschnitt einer der Top-Bands der Rockmusik in ihrer besten Zeit!
Die Aufnahmen des 1969er Gigs auf DVD 2 reichen, wie gesagt, da nicht heran. Schlechter war aber nicht die Band, sondern nur das Aufnahmematerial. The Who hörten sich damals noch etwas ursprünglicher und rauer an, was aber auch schon im Equipment begründet ist. Komplett andere Instrumente (z.B. Gibson SG, Fender-Bass), keine Monitor-Boxen und keine PA. Auch die Bühnenbeleuchtung bestand nur aus ein paar Spots, was vernünftige Aufnahmen (meistens Zentralperspektive aus dem Saalhintergrund) nicht zuließ. Dazu kamen technische Probleme bei Film und Ton.
Das Team hatte zunächst die besten Songs aus dem Auftritt zusammengeschnitten. Laut den wenigen Liner-Notes im Film bestand die Band jedoch darauf, dass trotz größerer Aufnahmemängel das als 'Minioper' angekündigte "A Quick One …" sowie der erstmals komplett live aufgeführte "Tommy"-Zyklus mit auf die Veröffentlichung kommt.
Eine gute Entscheidung für die Fans! Nicht wegen des historischen Werts oder weil Filmaufnahmen aus jener Zeit eh rar sind, sondern weil auch hier fast der komplette Set des berühmten "Live At Leeds"-Konzerts zu sehen ist (inkl. Daltrey mit Fransenjacke, Townsend im Overall, Moonie in Vorkriegs-Unterwäsche und Entwistle ohne Bart). Und das lohnt allemal. Außerdem ist natürlich der Vergleich zwischen den fast auf den Tag genau acht Jahre auseinander liegenden Auftritten reizvoll. Abstriche gibt's höchstens für die fehlenden Tracklists im ziemlich lieblos gemachten Booklet und auf dem Cover.
Für Who-Fans ein Muss, für Rock-Fans der 'Gründerjahre' eine Bereicherung und für alle anderen, die eine heute immer noch verdammt gute Live-Band in ihrer heißesten Zeit nacherleben wollen, gut investiertes Geld.
Und sollten die Who-(Money)Maker nicht wissen, was sie 2009 den Fans auf den Gabentisch packen sollen, dann gibt es da immer noch das Rockpalast-Konzert von 1981. Zwar ohne den am 7. September vor 30 Jahren verstorbenen Moonie, aber mit seinen Kollegen, die damals die Grugahalle abfackelten.
Tracklist
DVD 1:
01:Can't Explain
02:Substitue
03:Baba O'Riley
04:My Wife/Going Mobile
05:Behind Blue Eyes
06:Dreaming From The Waist
07:Pinball Wizard
08:I'm Free
09:Tommy's Holiday Camp
10:Summertime Blues
11:Shakin' All Over
12:My Generation
13:Join Together
14:Who Are You?
15:Won't Get Fooled Again
DVD 2:
01:Heaven And Hell
02:Can't Explain
03:Fortune Teller
04:Tattoo
05:Young Man Blues
06:A Quick One While He's Away (Auszug)
07:Happy Jack
08:I'm A Boy
09:I'm Free
10:Tommy's Holiday Camp
11:See Me, Feel Me
12:Summertime Blues
13:Shakin' All Over
14:My Generation
Bonus Features:
A Quick One While He's Away (komplett)
Tommy (komplett)
Externe Links: