Die Szene in Oberfranken Teil VI
Gestern in der Provinz …
Ray Bonneville Zur falschen Zeit am richtigen Ort - Ray Bonneville in Unnersdorf



Zwischenruf vom 30.04.2008


Norbert Neugebauer
Ray BonnevilleMein erster größerer Ausflug 2008 führte mich gleich nach Mittelfranken, den Club bei seinem Existenzkampf in der Bundesliga unterstützen. Was aber eine willkommene Erweiterung war; eigentlich stand 'nur' ein abendlicher Kurztrip zum Konzert von Ray Bonneville an, der im Bad Staffelsteiner Ortsteil Unnersdorf gastierte. Nun, ich will weder die Club-Metropole Nürnberg, noch das moderne oberfränkische Bad diskreditieren, aber als Franke erlaube ich mir halt mal zu sagen, dass ganz Franken (eine schöne) Provinz ist … .
Unnersdorf liegt genau zwischen der Rentnerwaschanlage ('Obermain Therme') des relativ jungen Bads und dem bekannten Kloster Banz. Dort gibt es die Kneipe 'Zur Linde' in der der selbst bluesende Wirt Norbert seit rund zwei Jahren in seinem kleinen Saal Konzerte veranstaltet. Allerdings hatte er kurzerhand den guten Ray an den benachbarten Getränkehändler 'ausgeliehen', der für sein Geschäftsjubiläum ein größeres Partyzelt und selbst eine Band für den gleichen Abend organisiert hatte. Zwei solche Events verträgt nicht einmal das mit seiner ländlichen Duftnote beeindruckende Unnersdorf, also wurde kurzerhand einer draus gemacht. Bevor die Don Promillos (oder so ähnlich) mit sattem Blues Rock die Party aufmischen durften, hatte der Kanadier seine Pflicht zu erfüllen, der es vorzog, nicht den 'Hauptakt' zu geben.
Ray BonnevilleNun, es war natürlich eine etwas ungünstige Konstellation, zumal wohl die wenigsten Leute wegen eines nicht unbedingt bekannten Gitarristen, dessen Stil auch keineswegs die Luft zum Brennen bringt, sondern zum Feiern ins Bierzelt gekommen waren. Mr. Bonneville, der aber Profi genug ist, zog kurzerhand seinen ursprünglich auf zwei Sets verteilten Auftritt ohne Unterbrechung durch und hatte denn auch unter dem fluktuierenden Publikum gut zwei Dutzend wirklich zuhörende Musikliebhaber.
Es kam aber niemand dabei zu Schaden, weder die gegen die zunehmende Kühle erstaunlich resistenten Unnersdorfer, noch der freundliche Nordamerikaner, der diesmal als Alleinunterhalter ohne seinen bewährten Partner Geoff Arsenault mehr als anderthalb Stunden unbeirrt seine Stories zur gezupften Gitarre und mit Mundharmonika erzählte. Dabei stellte er die Songs des neuen Albums Goin' By Feel vor, griff aber auch tief in seine Repertoirekiste. Er wechselte zwischen seinen beiden Gitarren, einer Gibson und einer Epiphone, die er für kurze Slideinlagen benutzte. Allerdings beschränkt sich sein Spiel mit den Röhrchen nicht auf spektakuläre Heulorgien und feurige Läufe übers Griffbrett, er ergänzt dabei nur für bestimmte Effekte seinen Zupfstil. Mit dem Handrücken an der Gitarrenwand und Absatzklopfen auf dem Holzboden sorgte er selbst auch für die Perkussion. Mit einer Zugabe war dann kurz vor 10 Uhr Schluss.
Ray BonnevilleNachdem meine Frau und ich den Künstler beim außergewöhnlichen Gig in Saalfeld vor ziemlich genau einem Jahr kennengelernt hatten, verabredeten wir uns anschließend in der doch noch etwas wärmeren Kneipe. Nun, das wurde dann auch eine lockere Runde, zumindest habe ich das, als einziger Biertrinkender (es gab übrigens keines der leckeren Biere einer Kleinbrauerei aus der Umgebung, aber das gezapfte der Großbrauerei war auch in Ordnung) des am Tisch sitzenden Trios, so empfunden… O.k. Mr. Bonneville war jedenfalls nicht abgeneigt, bei seiner nächsten Tour mal anzuklingeln, um sich dann wieder mit uns zu treffen.
Jedenfalls erfuhren wir in bunter Themenrunde einiges aus seinem bewegten Leben, der Musikerlaufbahn, dem Touralltag und seinen persönlichen Ansichten, wie es wohl nur möglich ist, wenn man locker zusammensitzt und ohne Zeitdruck oder Interviewvorgaben miteinander plaudert. Auszugsweise will ich ein paar Punkte hier wiedergeben, die vielleicht auch für unsere RockTimes-Leser interessant sind.
Ray BonnevilleDass er diesmal ohne seinen kongenialen Perkussionisten und Drummer auf seiner inzwischen vierten Europatour (die sich nun in Irland und England fortsetzt) angetreten ist, hatte einfach terminliche Gründe: Geoff war in einem anderen Teil dieser Welt unterwegs. Auch in der Heimat (die sich neuerdings in Montreal, Kanada und Austin, Texas, aufteilt), spielt er nur solo oder im Duett. Mit größerer Besetzung hält er es unterwegs nicht aus, außerdem seien dafür die Kosten zu hoch, verriet er. Sein ganzes Leben spielte die Musik eine wichtige Rolle, allerdings zunächst nur nebenbei. Sein Geld verdiente er als Pilot bei der US-Army, u.a. in Vietnam, als Werbeflieger in New Orleans und als Buschpilot im nördlichen Kanada. Erst dann entschied er sich für das Profimusikertum, bevor er sich als zunehmender Hasardeur in seiner Kiste den Garaus machen würde, wie er selbst befürchtete.
Ray BonnevilleSein Leben scheint nun immer mehr in ruhigeren Bahnen zu verlaufen, er hat sich selber eine Auszeit vom Trinken verordnet, die mittlerweile schon drei Jahre dauert. Drogen und Sauferei seien unter Kollegen ein großes Problem, vor allem wenn sie unterwegs sind. Deswegen stand vor ihm auch eine Orangenschorle auf dem Tisch. Zwar kann er mittlerweile ein »Wasser mit Kohlensäure« bestellen, aber ansonsten bleibt Deutsch für ihn unlernbar. Den im französischsprachigen Quebec Aufgewachsenen und weit Herumgekommenen nervt das aber, zumal er damit vor allem im Osten Deutschlands an sprachliche Grenzen stößt. Auch auf seine Ansagen im Zelt kam kaum Resonanz, was ihn leicht frustrierte; aber dass die Oberfranken halt selber keine großen Emotionsbolzen sind und unter diesen Umständen schon gar nicht, konnte wir ihm dann beibringen. Nun, zwischen dem letztjährigen Auftritt im früheren Kloster von Saalfeld (»the best one of that tour«) und dem jüngsten im reichlich frischen Partyzelt von Unnersdorf lagen Welten, die ihm, dem Dauerspieler, schon zu schaffen machten. »But there were two kids in the front, who listened. Maybe something will stick to them …«. Verheiratet ist er auch seit Kurzem und das zeitweilige Leben (wenn dort das bessere Wetter herrscht) in der pulsierenden Musikstadt Austin gefällt ihm. Allerdings ist es hart, dort, wo so viele Künstler aufeinander treffen, vernünftig zu verdienen.
Dass er seinen Produzenten Colin Linden für das letzte Album ausgewechselt hat, lag daran, dass er nicht immer dasselbe machen wollte. Auf meine anfängliche Ansicht, dass "Goin' By Feel" eine Fortsetzung von Roll It Down sei und ich erst allmählich hinter die unterschwellige Dunkelheit gekommen bin, meinte er »it's an edgy thing«, wobei er mir mit meiner Einschätzung von zunehmender 'Bitternis' nicht zustimmen wollte. Die Nuancen seien das Entscheidende, aber bei manchen Songs, wie "Sabine River" wolle er dem Hörer seine eigene Deutung überlassen.
Ray BonnevilleNatürlich war damit auch das Thema New Orleans auf dem Tisch, er lebte von 1983 bis 1986 in der Stadt. Als wir ihm erzählten, dass wir eigentlich an diesem Wochenende zum 'Jazzfest' dort sein wollten und nur durch traurige Umstände zuhause bleiben mussten, kam spontan: »I would prefer to be there too now …«. Er wohnte in der gleichen Ecke wie sein Kollege John Mooney, den er einen 'harten Hund' nannte und auch oft mit ihm spielte. Er erzählte, dass zu seiner Zeit das große Festival (das nur tagsüber auf der Rennbahn stattfindet), nachts u.a. auf den Mississippi-Dampfern weiterging und da an einem Abend oft vier solcher Größen wie Dr. John, Bonnie Raitt, Irma Thomas oder die Dirty Dozen Brass Band nacheinander auftraten. Dazu gab es auch reichlich gut zu essen … und zu trinken »of course«! New Orleans ist eine tolle Stadt, aber auch eine sehr gefährliche, deshalb sei er fortgezogen. Dass er jedoch, wie wohl die meisten seiner ehemaligen Bewohner, an der Crescent City hängt, zeigt sein aktueller Song "I'm The Big Easy". Nun, vielleicht treffen wir uns ja eines Tages mal dort. Und wenn nicht, dann halt wieder in Unnersdorf!
Jedenfalls war es, nach dem keineswegs berauschenden Spiel des Clubs und dem am Ende zu mageren 2:2 gegen Bielefeld, ein zwar etwas seltsames Konzert unter diesem Umständen, aber eine sehr angenehme Runde mit einem sehr offenen Künstler in der gemütlichen alten Kneipe, gestern in der Provinz.
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