Blind Ego / Numb
Numb Spielzeit: 70:55
Medium: CD
Label: Red Farm Records, 2009
Stil: Prog Rock

Review vom 14.04.2009


Boris Theobald
Blind Ego ist eines dieser musikalischen 'Nebenprojekte', die mehr Sinn ergeben als andere. Was Gitarrist Kalle Wallner - das 'W' in RPWL - unter diesem Namen auf Solopfaden feilbietet, ist weitaus mehr, als ein bloßes Sammelbecken überschüssiger musikalischer Ideen aus den RPWL-Sessions. Insbesondere dieses zweite, "Numb" betitelte Blind Ego-Album ist eine echte Überraschung: Ein hart und intensiv geführtes, modern klingendes Rockalbum mit größeren Prog Metal-Anleihen.
Die auf dem 2006er-Debüt Mirror noch vorhandenen psychedelischen Atmosphären sind größtenteils passé. Und im direkten Vergleich mit RPWL und deren letztem Album
The RPWL Experience von 2008 sind die Pink Floyd-Anteile sogar um gefühlte 90 Prozent reduziert. Es wird überdeutlich, dass sich auf der Spielwiese namens Blind Ego nunmal Kalle Wallner ganz ohne die David Gilmour-Reinkarnation Yogi Lang kreativ auslebt. Das 'L' aus RPWL ist trotzdem mit beteiligt - als Produzent und Background-Sänger.
Der kreative Freischwimmer Kalle Wallner überzeugt auf "Numb" von vorn bis hinten mit kompakten und griffigen, aber keinesfalls platten Songs. Und obwohl er mit den Co-Instrumentalisten John Jowitt (IQ), Sebastian Harnack (Sylvan) und Michael Schwager (Ex-Dreamscape) eine All-Star-Truppe mit im Boot sitzen hat, ist es in erster Linie Wallner selbst, der ein ums andere Mal über sich hinauswächst. Die Riffs auf "Numb" sind nicht von dieser Welt. Sie erinnern mich vielmehr an eine dunkle und unwirklich-geniale progressive Parallelwelt namens Tool.
Es ist die beklemmende Finsternis von "Numb", die mich diesen Vergleich ziehen lässt. Die äußerst harten, modern und makellos produzierten Gitarren. Die bedrückenden Melodien. Dieses Riffing in perfekt ausgetüftelten Klangräumen - unendlich intensiv und schwermütig klingend, und dennoch komplex und dynamisch. Das kenne ich sonst eben nur von Tool. Und denen stehen Wallners komplexe Hooklines mit sich stetig weiterentwickelnden Melodien und famos verkomplizierter Rhythmik bei immenser Eingängigkeit in nichts nach.
Als Anspieltipps ragen vor allem "Guilt", "Numb" und "Vow" heraus. Und "Change", das zudem wie viele andere der Stücke, aber ganz besonders extrem mit Gegensätzen spielt. Die Dynamik dieses Stücks bewegt sich zwischen fast lebloser Psychedelik (unter anderem hier sind die übrigen 10 Prozent Pink Floyd versteckt) und hypnotischen Riffs. Nicht nur hier ist deren Härtegrad sehr Metal-lastig und sogar immer wieder mit punktuellen Double Bass-Salven gespickt. Nicht nur die Riffs, auch die Soli sind fesselnde Hinhörer - meistens eher instrumentale Weiterentwicklungen der raffiniert aufgebauten Spannungsbögen.
Ein Neo Prog-Album ist "Numb" nicht, zumindest nicht in erster Linie. Entsprechende Höreindrücke sind trotzdem vorhanden, was allein schon am Gesang liegt. Paul Wrightson, den man von Arena kennt, lässt unweigerlich Erinnerungen an "The Visitor" hochkommen. Atmosphärische, schwebende Refrains wie im Titeltrack "Numb" gehören ganz seiner gewohnt präsenten Stimme. Im Gegensatz zum ersten Blind Ego-Album teilt er sich den Gesang dieses Mal nicht mit John Mitchell, sondern ist allein für's Vokale verantwortlich.
In der reinen Akustiknummer "Risk" hat die ganz spezielle Klangfarbe seiner Stimme besonders viel Platz zur Entfaltung - und beim attraktiv vertrackten Instrumentalstück "Torn" Sendepause. Noch eine Nummer, die 'aus dem Rahmen fällt' ist "Leave". Die fängt mit lyrischer Akustik-Gitarre im Stile alter Genesis an, darauf folgt eine elegische Solo-Gitarre; und mit einem genialen Überraschungseffekt kommen plötzlich ganz starke Spannungen in die zuvor so sanft anmutenden Harmonien - eine echte Wundertüte und Kandidat für die Powerballade des Jahres.
Eher ein Bonus-Track denn ein elfter Song am Ende des Albums ist die "Change Reprise", auf der Sepultura-Schlagzeuger Iggor Cavalera die Drums in noch Metal-lastigerer Weise spielt als Michael Schwager in den zehn Tracks zuvor ohnehin schon. Hätte man sich sparen können - dennoch wird Cavalera sogar offiziell im Line-up geführt für diese spontane Kooperation nach einem Besuch im Studio.
"Numb" ist eine saustarke Platte mit einer ganz speziellen musikalischen Duftnote - ein Mix aus Tool und Neo Prog, könnte man sagen. "Numb" ist ein sehr emotionales Album. Um Emotionen, und zwar äußerst bedrückende, geht es auch in den Songtexten, laut Wallner »Gefühle, die einen für kurze Zeit vollständig überfluten, vereinnahmen und nichts anderes neben sich zulassen. Deswegen die kurzen Songtitel: Man fühlt sich z.B. einfach nur 'verlassen', 'schuldig' oder 'betäubt'«.
Wirklich beeindruckend, wie sehr es ihm gelungen ist, die Gefühle mit Musik auszudrücken!
Line-up:
Kalle Wallner (guitar)
Paul Wrightson (vocals)
John Jowitt (bass)
Sebastian Harnack (bass)
Michael Schwager (drums)
Iggor Cavalera (drums)
Yogi Lang (backing vocals)
Tracklist
01:Lost (6:09)
02:Guilt (6:15)
03:Numb (6:09)
04:Leave (6:52)
05:Death (9:38)
06:Change (7:19)
07:Seek (5:40)
08:Risk (3:52)
09:Torn (4:45)
10:Vow (7:01)
11:Change Reprise (5:05)
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