Joe Bonamassa / Dust Bowl
Dust Bowl Spielzeit: 63:06
Medium: CD
Label: Mascot Records, 2011
Stil: Blues Rock


Review vom 28.03.2011

      
Jürgen Hauß                  Olaf 'Olli' Oetken
Eines muss man Joe Bonamassa lassen: Er ist sehr oft Thema innerhalb der Redaktion und auch von Seiten unserer Leser. Da ist es eigentlich fast Naturgesetz, ein Zwei-Meinungen-Review zu veröffentlichen.
Bitte schön, der Jürgen fängt an.
Als Gastschreiber für RockTimes einen Beitrag zu Joe Bonamassa zu verfassen ist in gewisser Weise ein gewagtes Unterfangen. Zum einen gibt es unter den gestandenen RockTimes-Redakteuren einige, die sein musikalisches Schaffen und insbesondere seine Konzerte seit vielen Jahren beobachten; von daher ist es naheliegend, dass sie auch die neue CD-Veröffentlichung - und damit auch jeden Beitrag darüber - genauer unter die Lupe nehmen. Zum anderen wird das musikalische Œuvre Joe Bonamassas durchaus auch kritisch bis negativ gewürdigt, wie die unterschiedlichen Beiträge - nicht nur im Rahmen der Reviews, mehr noch in zahlreichen Beiträgen im
RockTimes-Forum (s. nur die Diskussion, ausgelöst durch einen über David Gogo - zeigen. Auch meine bisherigen Beiträge waren durchaus ambivalent.
Der vorliegende Review soll sich jedoch nicht mit die Vergangenheit betreffenden Fragen ('Hat Joe sich weiter entwickelt?' 'Hat er seine Wurzeln verraten? ' etc.) befassen, sondern allein die aktuelle CD zum Gegenstand haben.
Diese hatte ich bereits sehr frühzeitig ausnahmsweise über einen großen Versandhändler im Internet bestellt, um sicherzugehen, die Scheibe am Erscheinungstag in Händen halten zu können (was auch geklappt hat). Die Bestellung erfolgte quasi 'blind' bzw. 'taub', weil zu diesem Zeitpunkt noch keine Hörproben verfügbar waren. Als ich später doch noch vorzeitig Hörproben (bei einem anderen Versandhändler) entdeckte, bereute ich schon fast meine Bestellung, denn die Soundschnipsel weckten bei mir keine Begeisterung.
Mit derartigen Vorbehalten ging ich also an die vorliegende CD heran, und, um es vorwegzunehmen: Ich bin begeistert von der Scheibe!
Bereits der Opener "Slow Train" ist ein (Dampf-)Hammer, erinnert er doch soundtechnisch sehr stark an The Ballad Of John Henry vom gleichnamigem Album, zugegebenermaßen einer meiner erklärten Favoriten von Joe Bonamassa. Damit kann man bei mir nichts falsch machen. Damals die Dampfmaschine, hier die Dampflokomotive; grandios, wie das musikalische Thema an Fahrt aufnimmt. Und auch beim Gitarren-solistischen Mittelteil gibt es Parallelen, ohne eine Kopie zu sein.
Der Titeltrack "Dust Bowl" beginnt hingegen - später mehrfach wiederholt - mit einem Gitarren-Intro, das stark an die Shadows erinnert. Das düstere Thema wird durch einen stampfenden, fast monotonen Rhythmus untermalt; welch ein Kontrast. Dazwischen eine klagende, fast anklagend klingende Solo-Gitarre, bevor der Song abrupt endet.
Kann man einen Song über Auto-Nummernschilder singen? Klingt nicht gerade spannend. Sie dienen in dem Country- bis Rockabilly-mäßig vorgetragenen Song "Tennessee Plates" auch lediglich als Aufhänger für die Geschichte eines Mannes, der nach einigen kriminellen Aktionen - u.a. in einem Cadillac mit Nummernschildern des Staates Tennessee - schließlich im dortigen Staatsgefängnis landet, wo er die nächsten Jahre damit verbringen wird, ebendiese Nummernschilder prägen zu 'dürfen'. Während der Komponist des Songs John Hiatt Gast-Vocals beisteuert, gibt es ein Gitarren-Duell über den rechten Lautsprecher, aus dem Joe Bonamassa erklingt, und den linken Lautsprecher, den der amerikanische Country-Sänger und Gitarrist Vince Gill belegt. Der Original-Song ist über zwanzig Jahre alt, womit zu erklären ist, dass in dem Song noch vom »Brushy Mountain« die Rede ist; das so bezeichnete Staatsgefängnis von Tennessee wurde zwischenzeitlich im Jahr 2009 geschlossen!
Im Slow-Blues "The Meaning Of The Blues" besingt Bonamassa Situationen, in denen einen der Blues überkommen kann. Musikalisch bestätigt er indes, was ich schon immer wusste, dass er die Bedeutung des Blues kennt und umzusetzen versteht. Ruhig beginnend, wird mittels mehrfacher Schlagzeugwirbel sowie gesanglicher und musikalischer Steigerungen eine Dramaturgie erzeugt, die sich in einem längeren Gitarren-Solo in bewährter Manier entlädt, bevor in einer ruhigen letzten Strophe das Ganze zum Ende gebracht wird.
Mit "Black Lung Heartache" knüpft Joe durch den Einsatz von Bouzouki, Baglama und Tzouras klanglich an das letzte Album Black Rock an, das teilweise durch griechische Klänge beeinflusst war; wahrscheinlich handelt es sich vorliegend um eine der Aufnahmen, die wiederum auf Santorini entstanden sind. Demgegenüber erinnert das folgende "You Better Watch Yourself" durch das einleitende Sirenengeheul anfangs wiederum sehr an "The Ballad Of John Henry", wechselt aber alsbald in einen flotten Rock'n'Roll.
Mein absolutes Lieblingsstück ist der Slow-Blues "The Last Matador Of Bayonne", eine Ballade über einen Stierkämpfer in Frankreich, der sich dagegen wehrt, dass die jahrhundertealte Stierkampftradition wohl unwiderruflich zu Ende gehen soll. Derart gefühlvoll vorgetragen, meint man fast Mitleid haben zu müssen mit dem Matador (und nicht mit dem Stier!).
Zur duettweisen Interpretation des Free-Klassikers "Heartbreaker" holt sich Joe Bonamassa den Ex-Deep Purple / Black Sabbath-Bassisten/Sänger Glenn Hughes, was dem Song gleich eine härtere Gangart vermittelt und durch wiederum monotone, stampfende Drums unterstützt wird.
Mit "No Love On The Street" folgt - sowohl musikalisch wie auch inhaltlich - ein weiterer schwermütiger Song, der nur durch die brillanten Gitarrensoli aufgehellt wird. Die additive Rhythmus-Gitarre des Südafrikaners Blondie Chaplin ist kaum wahrnehmbar, und auch die im Booklet als weitere Sängerin angegebene Beth Hart kommt offenbar nur bei der sinnleeren Textzeile »Whoop-de-doop-de-doop-de-doop-doop-de-doop-de-doop« einmalig 'zu Wort', was deren Nichtberücksichtigung auf der Rückseite des Digipacks schon fast wieder erklärt.
"The Whale That Swallowed Jonah" ist eine auf flotte Weise vertonte alt-testamentarische Geschichte in modernem Gewand. Das shuffelt ganz angenehm so vor sich hin. Und leicht swingend - nicht zuletzt aufgrund des schönen Pianos von Steve Nathan - folgt "Sweet Rowena": Vince Gill übernimmt die Lead-Vocals und erneut das wechselhafte Gitarrenspiel, und die Rhythmus-Wechsel des Drummers - hier wie schon beim vorherigen Stück Chad Cromwell, der bereits mit Neil Young und Mark Knopfler zusammenspielte - gestalten das Ganze noch interessanter.
Und wie die Augen der Angesprochenen im letzten Song "Prisoner" - einem wunderschönen, melodiösen Slow-Blues - den Protagonisten in ihren Bann ziehen, hält mich die vorliegende CD von Anfang bis Ende gefangen. Sehr abwechslungsreich bekommt man durchweg wunderschöne Songs geboten.
Produktionstechnisch - wie üblich von seinem langjährigen Produzenten Kevin Shirley verantwortet - ist die Scheibe einwandfrei. Höhen sind klar vernehmbar, Tiefen mit dem nötigen Druckpegel spürbar.
Doch ein Review von mir wäre kein Review von mir, wenn nicht auch kritische Töne darin vorkämen:
Ich habe mir die "Ltd. Deluxe Edition" gekauft, der im Vergleich zu der normalen CD ein 64-seitiges Booklet beigeheftet ist, das - neben dem obligatorischen Vorwort des Protagonisten - eine ausführliche Darstellung des musikalischen Werdegangs Joe Bonamassas - ausdrücklich nicht als Biographie bezeichnet - enthält, geschrieben von dem Musik-Journalisten Henry Yates. Leider führen Schriftart, -grad (teilweise '5'!) und farbliche Gestaltung dazu, dass das Ganze unter ungünstigen Lichtverhältnissen nur schwer zu lesen ist; schade und eigentlich unnötig.
Keinen Platz fanden im Booklet - im Gegensatz zum letzten Album - die Songtexte oder wenigstens nähere Informationen über sie, die über die Angabe der mitwirkenden Künstler hinausgehen würden. Auch das ist schade, da Joes Stimme auch nicht immer leicht zu verstehen ist. Die Hülle der CD ist - wie beim Vorgänger-Album - ein etwas zu groß geratenes DigiPak, das in so manchem CD-Regal nur schwer Platz finden wird; das Album ist halt leider auch in diesem Zusammenhang 'hervorragend'.
Die meisten Stücke hat Joe Bonamassa mit den Musikern eingespielt, die ihn in den letzten Jahren begleitet haben, namentlich Carmine Rojas, Rick Melick sowie Anton Fig. Nicht mehr dabei - jedenfalls im Booklet an keiner Stelle erwähnt - war offenbar der bisherige Drummer Bogie Bowles. Dies verwundert ein wenig im Hinblick darauf, dass die vorliegenden Songs bereits im vergangenen Jahr über einen längeren Zeitraum hinweg aufgenommen worden sind, Bowles aber seinen Ausstieg bei Bonamassa erst Mitte Dezember 2010 öffentlich verkündet hat, wonach er zudem mit Joe über seinen Ausstieg erst nach dem letzten Konzert der gerade abgeschlossenen Tour wenige Tage zuvor gesprochen habe. Dies verwundert aber - musikalisch betrachtet - umso mehr, als das wahrnehmbare kraftvolle Schlagzeugspiel oftmals so klingt, als ob »Bowles und Fig … wie siamesische Zwillinge die Taktvorgaben für Joes Konzertklampfe" geben« (Zitat aus dem DVD-Review
Live From The Royal Albert Hall). Nach einer fünfjährigen Zusammenarbeit mit wohl dem Höhepunkt des gemeinsamen Auftritts in London finde ich es schon merkwürdig, dass Bowles - trotz eines angabegemäß Ausscheidens »on good terms« - nicht einmal in den ansonsten recht ausführlichen Danksagungen Erwähnung gefunden hat. Honi soit qui mal y pense!
Doch diese - bei Bewertung allein der Musik der vorliegenden CD - 'Randerscheinungen' können den Gesamteindruck des Albums nicht schmälern: Ob es sich bei "Dust Bowl" tatsächlich - wie von Joe in seinem Grußwort beschrieben - um das beste Album handelt, das der Produzent Kevin Shirley aus ihm herausgeholt hat: Nun, das lasse ich mal so dahin stehen. Aus meiner Sicht ist die CD jedenfalls ein eindeutiger Tipp!
Olli sieht das wie folgt:
Von großen Rädern, dicken Hosen, Rückschritten und verlorenen Seelen
Joe Bonamassa will es wissen. Endgültig. Studioalben im Jahrestakt, Live-Scheiben, eine transatlantische 'Supergroup', wo bereits der zweite Studiostreich in der Pipeline steckt, kam doch der erste gerade mal vor einem halben Jahr heraus, Bonamassa nutzt die Gunst der Stunde und schürt das Feuer des neuen (Blues-) Rockgitarrero-Superstars auf Teufel komm raus. Konsequenterweise knallt der Sound im Vergleich zu Black Rock jetzt auch via Küchenradio direkt in die Gehörgänge, die Gitarren jubilieren, solieren, jaulen und sägen im Monumentalgewand, erstmals habe ich beim Hören eines Bonamassa-Werkes den leider jüngst viel zu früh verblichenen Gary Moore vor meinem geistigen Auge und bekomme damit den endgültigen Beweis geliefert, dass 'Smokin' Joe' endgültig in der Beletage der auch kommerziell erfolgreichen Gitarrenhelden anzukommen gedenkt.
Die beiden Vorgängeralben waren wichtige Schrittmacher, nun soll wohl reiche Ernte eingefahren werden. Durch die teilweise Rückbesinnung auf klassischen Blues Rock wie beim Opener "Slow Train" sind gar wieder die teilweise verprellten Fans der ersten Stunden im Visier, zusätzlich sind durch Gäste wie John Hiatt und Vince Gill ganz neue Zielgruppen im Fokus und nicht nur die Coverversion von "Heartbreaker" mit Glenn Hughes am Mikro lässt Assoziationen zu Black Country Communion wach werden. Mit anderen Worten: Zumindest beim Rezensenten entsteht der Eindruck eines höchst kalkulierten Produkts und das ist vielleicht auch dafür verantwortlich, dass mich weite Teile dieses brandneuen Albums kalt lassen.
Das durchaus kritisierte 'Posertum' auf der Bühne scheint jetzt auch seinen Durchschlag in der Studioproduktion zu finden. Joe Bonamassa macht nach des Rezensenten rein subjektiven Höreindrücken einen auf dicke Hose, dreht gemeinsam mit seinem Leib und Magen-Produzenten Kevin Shirley am ganz großen Rad und verliert dabei jene Seele und Emotionalität, die noch seinem Fast-Meisterwerk "Black Rock" zu Eigen war. Stattdessen gerät er auf das Gary Moore-Gleis, der Zeit seines Lebens kontroverse Diskussionen ausgelöst hat, was jedoch sehr gut passt, denn genau eben diese ruft Bonamassa nicht erst seit heute ebenfalls hervor.
Es ist dieser Tage viel davon zu lesen, dass "Dust Bowl" Bonamassas bisher reifstes, ausgewogenstes und bestes Album sei. Ich wage es, dies in Zweifel zu ziehen, denn den Weg, den Joe in den letzten Jahren konsequent beschritten hat, einhergehend mit musikalischer Weiterentwicklung, Ausprägung individueller Ausdrucksmöglichkeiten und Entwicklung einer gewissen emotionalen Tiefe, hat er mit diesem Werk verlassen. Indes ist dies Jammern auf sehr hohem Niveau, dafür sind die Qualitäten aller beteiligten Protagonisten zu hoch.
Insgesamt gibt es aber recht wenige echte Highlights, zu denen am ehesten die sehr beschwingte Kooperation mit John Hiatt gehört, das schwermütige, Maultierlastige "The Meaning Of The Blues", das leicht zeppelineske "Black Lung Heartache" (klingt wie ein "Black Rock"-Outtake), der geradezu dramatische Rausschmeißer "Prisoner" oder das endlich mit einer gewissen Leichtigkeit ausgestatte "The Whale That Swallowed Jonah". Genau diese Leichtigkeit geht diesem Album über weite Strecken ab. Joe Bonamassa sollte dringend seinen Output etwas zügeln. Er ist immer noch vergleichsweise sehr jung, es ist zu früh, die Schraube zu überdrehen.
6,5 von 10 RockTimes-Uhren!
Nachtrag:
Es soll nicht nur reiche Ernte eingefahren werden, es wird reiche Ernte eingefahren. So wie es aussieht, steigt "Dust Bowl" in den neuesten UK-Albumcharts auf Platz 4 (!) ein, für ein Blues Rock-Album, noch dazu im Vereinigten Königreich, geradezu sensationell! Sollte wirklich Kalkül im Spiel sein - es geht auf.
Line-up:
Joe Bonamassa (lead guitar, vocals)
Carmine Rojas (bass)
Rick Melick (keyboards, tambourine)
Anton Fig (drums)

Guests:
Michael Rhodes (bass, - #3, 10, 11)
Vince Gill (guitar, vocals - #3, 11)
Chad Cromwell (drums - #3, 10, 11)
Steve Nathan (keyboards -#3)
John Hiatt (vocals - #3)
Glenn Hughes (vocals - #8)
Beth Hart (vocals -#9)
Tony Cedras (trumpet - #7)
Tracklist
01:Slow Train (6:49)
02:Dust Bowl (4:32)
03:Tennessee Plates (4:19)
04:The Meaning Of The Blues (5:44
05:Black Lung Heartache (4:14)
06:You Better Watch Yourself (3:30)
07:The Last Matador Of Bayonne (5:24)
08:Hearbreaker (5:49)
09:No Love On The Street (6:32)
10:The Whale That Swallowed Jonah (4:46)
11:Sweet Rowena (4:34)
12:Prisoner (6:49)
Externe Links: