Gov't Mule / Shout!
Shout! Spielzeit: 75:16 (CD), 65:58 (Bonus-CD)
Medium: CD plus Bonus-CD
Label: Provogue/Mascot Records, 2013
Stil: Jam Rock


Review vom 21.09.2013


Steve Braun
Was macht aus einer Band eine 'große'? Eine, die richtig High & Mighty ist?? Und warum gibt es nur noch so wenige Charakterköpfe in dieser eminenten Kategorie??? Ich meine nicht die ganzen sehr guten Vertreter ihrer Zunft, sondern diese seltene Spezies, durch deren Finger sich alles, was sie nur berühren, in pures Gold zu verwandeln scheint.
Ich glaube es liegt daran, dass eine Band mit derartigen Qualitäten in der Lage sein muss, sich ständig neu zu erfinden, ohne dabei ihren 'Markenkern' preiszugeben. Sorry, Leute, aber außer Gov't Mule fällt mir derzeit keine in vollem Saft und Kraft stehende Formation ein, auf die dieses - von vielleicht einer winzigkleinen Delle mal abgesehen - Kriterium zutrifft. Wohlgemerkt: Über eine Wegstrecke von mittlerweile fast zwanzig Jahren und immerhin fünfzehn CD-Veröffentlichungen!!
Wenn man ein neues Album von Gov't Mule besprechen soll, steht man vor einem nicht unbeträchtlichen Dilemma. Zumeist 'wachsen' diese (ein weiteres Kriterium - s. o.!!) nämlich mit der Zeit. Es ist nicht ungewöhnlich, dass man ein und die selbe Scheibe im Wochenzyklus völlig neu beurteilt, immer neue Facetten wahrnimmt, ein Gesamteindruck sich quasi puzzleartig über einen längeren Zeitraum zusammensetzt. Das war sogar (und gerade!) bei Mules umstrittensten Werk, Mighty High, so. Nicht wenige Rasta-Allergiker hörten diesen lupenreinen Reggae-Trip nach einem halben Jahr mit völlig 'anderen' Ohren. Einzig beim oben angesprochenen "Dèjá Voodoo" war das nicht so. Diese Songs waren sofort 'präsent' - gewannen aber eben nur unwesentlich mit der Zeit an Tiefe. Um diesen Umstand mit Weinen zu vergleichen und damit ein leicht verständliches Bild zu projizieren: Kein Tropfen zum Lagern, sondern ein süffiger Zechwein 'for the allday' ;-)
Beim letzten Meisterwerk - "By A Thread" von 2009 - war dagegen meine Rezension bereits nach einem guten Dutzend von Tagen und unzähligen Hördurchläufen in dieser Spanne schon wieder Makulatur. Dieses Monument wuchs nämlich zu einem wahren Giganten heran...
Da wir RockTimer aber zumeist 'auf Termin arbeiten' (d. h. die Rezensionen sollten - wenn möglich - zum Veröffentlichungstermin online sein), sehe ich mich genötigt, hier und jetzt eine Momentaufnahme zu verfassen - so sind nun mal die Spielregeln. Es ist aber sehr gut möglich, dass diese augenblickliche Betrachtung schon sehr bald durch neue Eindrücke verändert wird, nicht zuletzt durch sehr fruchtbare Diskussionen mit anderen Muleheads. Diese Fangemeinde hebt sich gerade durch ihre Toleranz gegenüber Mindermeinungen überaus wohltuend von anderen, manchmal etwas sektiererisch wirkenden Musikzirkeln ab.
Mit ihrem letzten Album, "By A Thread" (2009), hatten Gov't Mule - wie schon kurz angemerkt - ein wahres Monument errichtet. Eines von der Sorte, bei denen man sich insgeheim fragt, wie man das eigentlich noch toppen soll. Wir leben schließlich in 'gigantomanischen' Zeiten: Alles muss schneller, höher, weiter, größer oder verrückter als das Vorhergegangene ausfallen, sonst fehlt der Thrill...
Aber solche Spielchen machen die Mannen um Warren Haynes konsequent nicht mit. Wer würde das auch von ihnen ernsthaft erwarten?!?
Zunächst fällt (mir) positiv auf, dass sich Gov't Mule mit "Shout!" wohl wieder mehr auf ihre Frühphase beziehen - in etwa die Zeit von "Life Before Insanity", als der spröde Charme der ersten beiden Alben langsam aufbrach. Die Songs sind wieder überwiegend etwas sperriger und klotziger, in ihrer schwerblütigen Art aber stets typisch Mule. Großen Anteil hat hier sicher der gar nicht mehr sooo neue Bassist Jorgen Carlsson. Hier hat man das Gefühl, dass die scheunentorgroße Lücke, die Woody hinterlassen hat, endlich geschlossen wurde. Der junge Schweden-Ami spielt einen ähnlich knurrigen Bass, kauzig, packend, fordernd und nie bequem. Seine Läufe umwehen ein Hauch von Genialität, die sich mit Matt Abts' Genius deckungsgleich darstellen. Die beiden haben sich gesucht und gefunden!!
Gleich die beiden ersten Takes scheinen meine obige Wahrnehmung zu unterstreichen. "World Boss" und "No Reward" kommen jeweils wie ein Panzer oder wenigstens ein geländegängiger Hummer daher... scheinbar alles niederwalzend und dabei doch mit Finessen nur so gespickt. Schwer pumpend, kraftstrotzend, mit unbändigem Zug nach vorne und kaum zu bändigender Power... "Whisper In Your Soul" ist eine für Mule urtypische Ballade - schwerblütig, voller kaum zu verbergender Lebenskraft und unbändiger Lebensfreude.
"Captured" atmet den Spirit Pink Floyds (und zwar den der siebziger Jahre), deren Kunstwerke sie ja bereits des Öfteren in beeindruckenden Hommage-Shows interpretiert haben. Matt Abts hat auf dem Gebiet - dies sei nur nebenbei bemerkt - ganz spezielle Erfahrungen. Lange Rede, kurzer Sinn: "Captured" wäre auf der Dark Side Of The Moon ein Glanzstück gewesen!!
Mit "Scared To Live" hält dann der mittlerweile anscheinend obligatorische Reggae Einzug, der allerdings durch einen tollen Refrain, der so gar nichts Jamaikanisches an sich hat, konterkariert wird. Und auch das Haynes'sche Soloprojekt hat offenbar bleibenden Eindruck hinterlassen. Jedenfalls ist "(How Could You) Stoop So Low" ein gleichartig glutvoller R&B. Ungemein spielfreudig, fast explosiv agiert hier die Band, die von einem rabenschwarzen Gospelchor unterstützt wird, um die Spannung in einer Heiligen Gospelmesse (man erinnere sich an James Brown im Blues Brothers-Movie!!) zu entladen. Sensationell!!
Es folgt mit "Forsaken Savior" die zweite Ballade, erneut eine durchaus charakteristische für Gov't Mule. Diese ist eindeutig der Beautifully Broken-Liga und damit der allerhöchsten Balladen-Spielklasse zuordenbar! Mir liegt weder Text noch Booklet vor und ich kann mich irren, aber der Song scheint eine Hommage an den verstorbenen Levon Helm zu sein...
Mit "Done Got Wise" kehrt man zum rumpeligen 'Ausgangsmaterial' zurück, bevor mit "When The World Gets Small" der gefühlte Höhepunkt von "Shout!" erreicht wird. Es klingt irgendwie wie der beste Traffic-Song, der niemals geschrieben wurde. Da erscheint es konsequent, dass ausgerechnet ein gewisser Steve Winwood eine alternative Version dieses Takes bereichert... (uuups, jetzt hab ich mich glatt verplappert!!)
Einzig mit "Funny Little Tragedy" komme ich auch nach gut einer Woche Dauerrotation noch nicht zurecht. Kann gut sein, dass dieser minimalistische Uptempo-Rocker einer der Songs ist, die sich erst langsam zu öffnen bereit sind. Da ist das elfminütige Epos "Bring On The Music" schon sehr viel anschmiegsamer, wie eine Geliebte, die man jahrelang (in diesem Fall vier lange Jahre!) nicht spüren konnte. Dieser Song beschließt dieses Album wie eine Offenbarung, eine Manifestation, ein Selbstbekenntnis, eine Standortbestimmung... und hier schließt sich bezüglich der Einleitung der Kreis wieder. Denn Bandleader Warren Haynes kokettiert seit jeher mit dem Adjektiv 'stubborn' und höchstwahrscheinlich ist diese Sturheit, die kompromisslose Härtnäckigkeit eine weitere Grundvoraussetzung für die Frage nach den Wesensmerkmalen einer 'großen Band'. Government Mule ist groß, knorrig und unverwüstlich wie eine uralte Eiche in den Appalachen North Carolinas, der Heimat eines gewissen Warren Haynes.
Kommen wir zur Bonus-CD und hier gibt es eine überaus positive Überraschung. Machen wir uns nix vor: Solche 'Zugaben' sind oftmals nur mäßig und höchstens für Die-Hard-Fans erfreulich. Ganz anders bei dem hier vorliegenden Exemplar. Ich will nicht zuviel vorab verraten, denn dieser Bonus-Silberling sorgt für hochgradige Verblüffung - ein absoluter Knaller!!
Von allen elf Songs gibt es hier, teilweise vom Original ziemlich unterschiedliche Versionen - natürlich mit elf verschiedenen Gastsängern! Diese Interpretationen ergeben noch einmal einen völlig anderen Blickwinkel auf die Urfassungen und bieten damit einen echten Mehrwert. Lasst euch überraschen!!
Vier lange Jahre haben wir seit "By A Thread" auf ein neues Album von Gov't Mule warten müssen. Die Wartezeit wurde zwar durch Sideprojekte - die Warren Haynes Band sowie Planet Of The Abts - etwas verkürzt, aber die Ungeduld begann doch mittlerweile etwas zu kribbeln. "Shout!" steht seinem Vorgänger nicht nur in nichts nach, sondern stellt einen weiteren großen Schritt nach vorne dar.
Und jetzt bin ich mal gespannt, wie sich "Shout!" über die kommenden Wochen und Monate so entwickeln wird...
Line-up:
Warren Haynes (lead vocals, guitars)
Danny Louis (Hammond B3, Wurlitzer, Clavinet D6)
Jorgen Carlsson (bass)
Matt Abts (drums, percussion)
(Gastmusiker unbekannt)
Tracklist
CD:
01:World Boss (5:24)
02:No Reward (4:54)
03:Whisper In Your Soul (5:11)
04:Captured (9:04)
05:Scared To Live (6:16)
06:(How Could You) Stoop So Low (8:23)
07:Forsaken Savior (6:18)
08:Done Got Wise (6:11)
09:When The World Gets Small (7:45)
10:Funny Little Tragedy (4:15)
11:Bring On The Music (11:05)
Bonus-CD:
01:World Boss (with Ben Harper)
02:Funny Little Tragedy (with Elvis Costello)
03:(How Could You) Stoop So Low (with Dr. John)
04:Captured (with Jim James)
05:Whisper In Your Soul (with Grace Potter)
06:Scared To Live (with Toots Hibbert)
07:No Reward (with Glenn Hughes)
08:Bring On The Music (with Ty Taylor)
09:Forsaken Savior (with Dave Matthews)
10:Done Got Wise (with Myles Kennedy)
11:When The World Gets Small (with Steve Winwood)
Externe Links: