Alle Jahre wieder, wenn es auf Weihnachten zugeht (jedenfalls liegen die Lebkuchen bereits in den Regalen der einschlägigen Geschäfte) kommt der WDR mit seinem Rockpalast in die Bonner Harmonie und beschert uns sein Crossroads-Festival. An vier Abenden hintereinander treten jeweils zwei Künstler bzw. Bands auf, die stilistisch in der Regel nicht unter einen Hut zu bringen sind. In diesem Jahr war dies an einem Abend beispielsweise Brian Auger mit seiner Band (einschließlich Sohnemann und Tochter), der auf die finnische Band 22-Pistepirkko - was soviel heißt wie '22-gepunktete Marienkäfer'! - traf. Ein Kollege, der diese Auftritte erleben durfte, sprach danach von einer »sehr interessanten Kombination».
Als ich von der RockTimes-Redaktion das Angebot vermittelt bekam, am Schlussabend den Auftritt von Hundred Seventy Split (nachfolgend kurz: HSS) erleben zu dürfen, habe ich natürlich 'nicht nein' gesagt, bin ich doch als alter und neuer TYA-Fan auch von diesem musikalischen Ableger begeistert.
Dennoch ging ich an diesem Abend mit Vorbehalten in die Harmonie, die allerdings nicht den Haupt-Act betrafen. Angekündigt waren Tramp, die aus ehemaligen Mitgliedern der schwedischen Hardrocker The Hellacopters bestehen, und die ich als gerade wieder einmal mit der schwedischen Musik-Szene unmittelbar in Kontakt Geratener gerne kennengelernt hätte. Nach der Absage wurden The Fabulous Penetrators verpflichtet, über die ich nun so gar nichts wusste. Ein Blick auf deren Homepage bei MySpace verriet immerhin, dass die Band sich selbst dem Genre Easy Listening/Garage House/Rock zurechnet. Als Einflussgeber benennen sie in einer - allerdings nicht abschließenden - Liste nicht weniger als 134 (!) Musiker der unterschiedlichsten Stilrichtungen (ich habe nachgezählt; allerdings scheint die Liste nach dem Motto: Jedes Band-Mitglied darf mal was sagen! zusammengestellt zu sein, denn es gibt auch Doppelnennungen). Was soll bei einem derartigen Querschnitt rauskommen?
Ich würde das Ganze nach dem Konzert - möglicherweise abwertend - als 'Punk' beschreiben: Laut, kraftvoll, dreckig vorgetragen, Gesang kaum verständlich, überwiegend auch eine Art Sprechgesang; das Ganze aber auch nicht ohne Charme, jedenfalls wenn man die Live-Show dazu berücksichtigt. Und die hat in der Tat 'das gewisse Extra'.
 Im Vordergrund steht der Sänger Liam Casey, der sich mit stark geschminktem Gesicht wohl an Alice Cooper orientiert, eine Frisur hat, als ob sein Mikro, das er umklammert, unter Strom steht, und Attitüden des unvergesslichen Jim Morrison pflegt.  Demgegenüber könnte der Gitarrist Crispin Weir mit seinen gegelten Haaren aus der Begleitband von Bill Haley stammen. Dazu passt auch seine alte E-Gitarre, die mich an amerikanische Straßenkreuzer der damaligen Zeit erinnert. Der Bassist und Sänger Clement C-Colom wiederum erinnert an Michael Mittermaier und führt sich teilweise auch so auf; lediglich der im Hintergrund optisch kaum wahrnehmbare, musikalisch dafür umso mehr die Szene beherrschende Drummer Joao Felzardo macht einen 'normalen' Eindruck (die Namen der einzelnen Band-Mitglieder habe ich der MySpace-Seite der Band entnommen, die noch einen weiteren Gitarristen und Sänger auflistet. Inwieweit diese beim Auftritt in der Harmonie tatsächlich dabei waren - und inwieweit es sich nicht möglicherweise um Künstlernamen handelt - war nicht zu klären).
 Geboten wurden in erster Linie Songs ihres ersten Albums "With Love" aus dem Jahr 2010. Angekündigt wurden auch öfters »new songs«. Da aber die Ansagen genauso regelmäßig wenig verständlich waren wie der Gesang, habe ich den Versuch, eine Set-List mitzuschreiben, schnell aufgegeben. Die Show kam jedenfalls beim Publikum der zu dieser Zeit noch nicht vollen Harmonie gut an; die 'Headbanger-Fraktion' hatte ihren Spaß. Nach gut einer Stunde verließ die Band die Bühne - nicht ohne zwischendurch zu bemerken, dass sie es üblicherweise nicht gewohnt sei, mehr als 45 Minuten  ohne Pause zu spielen - und nachdem sie in dieser Zeit eine schicke Flasche Whiskey unter sich hatte kreisen lassen und diese gemeinsam geleert hatte. Eine vom Publikum - allerdings nicht allzu euphorisch herbeigerufene - Zugabe wurde dennoch geboten, bevor The Fabulous Penetrators nach insgesamt 75 Minuten die Bühne endgültig freimachten für den - nicht nur aus meiner Sicht - Haupt-Act des Abends - und das war gut so!
Warum ich dennoch so ausführlich über die 'Vorgruppe' geschrieben habe? Erstens, weil es vom Konzept des Veranstalters nicht unbedingt diese Unterscheidung gibt. Zweitens, weil mich die Band (trotz meiner persönlichen Präferenz für andere Musik) durchaus beeindruckt hat und es daher verdient hat, hier vorgestellt zu werden. Und drittens, weil HSS auf RockTimes
insbesondere hier und nachfolgend noch hier ausführlich vorgestellt worden sind. Und für die Beschreibung des Live-Auftritts in der Harmonie kann ich weitgehend
hierauf zurückgreifen.
Insbesondere die dortigen Absätze drei bis sechs kann ich voll unterschreiben und daher - um sie hier nicht zu wiederholen - zur Lektüre empfehlen. Denn der Auftritt entsprach dem seinerzeitigen weitestgehend. Selbst die Set-List - aufgrund der Doppelveranstaltung zwangsläufig etwas gekürzt - entsprach der damaligen nahezu; insbesondere die ersten sieben Songs wurden auch in derselben Reihenfolge dargeboten.
Der Auftritt begann nach einer lediglich 30-minütigen Umbaupause. Der Saal der Harmonie hatte sich zwischenzeitlich merklich gefüllt und HSS wurden pünktlich um 21.00 Uhr vom erwartungsfrohen Publikum begeistert empfangen. Offenbar aber war die Umbaupause zu kurz geraten, um sämtliche Gerätschaften nach den Wünschen der Musiker aufzubauen bzw. einzustellen, denn jedenfalls Joe Gooch war während der ersten Songs mehr damit beschäftigt, die Einstellungen an diversen Verstärkern (TubeThomsen - Finest Handmade Amplifiers - Joe Gooch signature!) bzw. Effekt-Geräten entsprechend seinen Vorstellungen zu korrigieren (darauf ging Gooch selbst später noch ein).
 Den achten Song an diesem Abend bildete die - vor der Zugabe - einzige Fremdkomposition "Poison", die aus der Feder des kürzlich verstorbenen Folkies Bert Jansch stammt, und Leo Lyons vergaß auch nicht, den genialen Musiker und Komponisten angemessen zu würdigen. Der Song ist musikalisch zweigeteilt: Den anfangs ruhigeren Part spielte Joe Gooch auf seiner hier einzig eingesetzten 'Zweit-Gitarre', wechselte anschließend 'fliegend' das Instrument und brachte den Song auf seinem Hauptinstrument rockiger zu Ende ( Leo Lyons wechselte an diesem Abend kein einziges Mal zu seinem auf der Bühne bereit stehenden 'Zweit-Bass').
 Schade nur, dass HSS anschließend den sonst folgenden John Hiatt -Song "Tennessee Plates" ausließen; ich hätte gerne deren Interpretation im Vergleich zu der kürzlich von Joe Bonamassa dargebotenen Variante gehört.
 Den Abschluss bildete - wieder einmal - Leo Lyons Erinnerung an das legendäre Woodstock-Festival im Jahr 1969, wodurch einem wieder einmal bewusst wurde, dass er seit nahezu 45 Jahren mit Ten Years After auf der Bühne steht - Chapeau! Zwar konnte er bei einigen Bewegungen - insbesondere beim Betreten der Bühne und beim Abgang - nicht völlig verleugnen, dass er bald ein 'Alt-68er' ist, aber: ich möchte erst einmal selbst in diesem Alter noch so agil und vor Spielfreude sprühend auf der Bühne stehen - und so begnadet Bass spielen können! Und Joe Gooch? Der ist gerade einmal halb so alt wie Leo Lyons, macht auf 'Cooler Hund' und hat sicherlich noch viele Jahr(zehnt)e auf der Bühne vor sich. Möge er so faszinierend die Saiten zum Glühen bringen wie an diesem Abend in der Bonner Harmonie.
 Bei der vom Publikum frenetisch geforderten Zugabe gab es ebenfalls - jedenfalls zunächst - nichts Neues: Der ZZ Top-Klassiker "La Grange" wurde beim ersten Anspiel sofort erkannt und mit rhythmischem 'Overhead-Handclapping' begeistert begleitet. Nach - gefühlten - 20 Minuten waren HSS zwar nicht ganz »out of songs« (vgl. dazu nochmals hier), griffen aber auf das anfangs bereits gespielte "Where The Blues Began" zurück, was Joe Gooch damit erklärte, dass seine Gitarre beim erstmaligen Anspiel  nicht funktioniert hätte! Vielleicht nicht nach seinem Geschmack, denn man hatte das wirklich nicht so wahrgenommen!
Ach, fast hätte ich vergessen, den Drummer zu erwähnen. Es war wieder Damon Sawyer, der seinen Job solide, aber unspektakulär versah. Doch seine Schläge saßen, wo sie hingehörten, und er gab damit den beiden Frontmännern ein starkes Rückgrat.
Einziges Ärgernis während des Auftritts war eine Gruppe Girlies (allerdings in männlicher Begleitung), die sich in vorderst möglicher Front so vor Joe Gooch positionierten und aufführten, als stünden ihre Mütter bei einem Roland Kaiser-Konzert in der ersten Reihe. Doch Gooch blieb die ganze Zeit so cool, wie er unter seinem Hütchen wirken wollte, und ließ sich davon in keinster Weise irritieren, sondern konzentrierte sich allein auf seine Musik. Optisch störend waren natürlich auch die zahlreichen Kameraleute des WDR, die sich unmittelbar vor der Bühne nicht nur positioniert hatten, sondern stets in Bewegung waren, um bewegte und bewegende Bilder einzufangen. Die Aussicht aber, dieses Konzert nochmals erleben zu dürfen (aushanggemäß am 29./30.01.2012 um 00.15 Uhr im WDR; auch auf 3SAT zu einem noch unbekannten Datum) ließ mich diese Beeinträchtigung gelassen ertragen.
Setlist Hundred Seventy Split (mit Gewähr):
No Deal
Where The Blues Began
The World Won't Stop
All My Yesterdays
Yes Man
Going Home
Let The River Flow
Poison
Bad Blood
The Smoke
A Promise Is Forever
Wish You Were At Woodstock
Zugaben:
La Grange
Where The Blues Began
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