Oingo Boingo / Dead Man's Party
Dead Man's Party Spielzeit: 42:02
Medium: CD
Label: MCA Records, 1985
Stil: New Wave


Review vom 04.12.2012

  
Sabine Feickert
Ein ganzes Album über den Tod – wer da düster-depressiven Gruft-Sound erwartet, wird hier ausnahmsweise von mir derbe enttäuscht werden. Denn auch wenn Trauermärsche, Geysterstunden, Totensonntage mit Leichenwetter und sogar Liebe, Tod und Teufel in meine Zuständigkeit fallen, fallen Oingo Boingo hier völlig aus dem Rahmen.
Hervorgegangen ist Oingo Boingo aus The Mystic Knights Of The Oingo Boingo, einer ziemlich bizarr-avantgardistischen Musikertruppe, die von Richard Elfman gegründet worden war und aus bis zu 20 Musikern bestand. Nachdem Richard das Interesse daran (oder vielleicht die Nerven dafür) weitgehend verloren hatte, übergab er die Leitung seinem Bruder Danny. Doch auch dem war die riesige Band bald zu kompliziert und er bildete 1981 mit ein paar anderen Mystic-Knights die 'nur noch' achtköpfige Rockband Oingo Boingo. 1985 veröffentlichten diese Musiker aus Los Angeles "Dead Man's Party".
Die Heimat der Musiker liegt ja relativ nah an der mexikanischen Grenze, man mag nun darüber spekulieren, ob lediglich ein kulturelles Interesse am mexikanischen Totenkult oder vielleicht auch ein weniger botanisches Interesse an gewissen Gräsern und Pilzen im Spiel war, Einflüsse aus dem Nachbarstaat liegen jedenfalls nahe.
Betrachtet man das Cover, so weckt die knöcherne Partygesellschaft unzweifelhafte Assoziationen zum Día de los Muertos (Tag der Toten), einem der wichtigsten mexikanischen Feiertage, an dem die Familien ein buntes Volksfest zu Ehren der Toten feiern und zum Abschluss auf die Friedhöfe ziehen, um dort zu essen und trinken, musizieren und tanzen. Bunte Skelette und andere Todessymbole dienen als Festdekoration.
So befremdend das für unseren Kulturkreis (und ganz sicher erst Recht für das 'rich-young-beautiful'-Kalifornien der 80er Jahre) wirken mag, so befremdend wirkt im ersten Moment vielleicht auch die Musik.
Die deutsche Wikipedia ordnet sie als New Wave ein, die englische ist da schon großzügiger und gibt auch noch Alternative Rock, Ska, Art Punk, Experimental und Jazz an. Und irgendwo zwischen all diesen Stühlen findet sich dann tatsächlich die Lücke, die groß genug für diese acht sehr schrägen und individuellen Musikanten ist.
Zudem unterscheiden sich auch ihre einzelnen Alben sehr stark voneinander, weshalb ich mich hier ganz bewusst auf "Dead Man's Party" beschränke. Ende der 80er platschte diese Scheibe als grellbunter Farbklecks in mein Leben. Durchgeknallt bis zum geht nicht mehr, aber irgendwo auch total gut!! – so fand ich sie damals.
Und heute, 25 Jahre später?
Für mich hat sie nichts von ihrer Frische verloren. »Düddeldüddeldüdüdüddel-düddeldüddeldüdüdüddel-düddeldüddeldüdüdüddel-düüüüüüü – äwääääääähh« das Intro von "Just Another Day" lebt von einem ganz markanten – hmmm - Xylophon ist es nicht wirklich. Reiner Synthesizer aber ganz bestimmt auch nicht, dafür erscheint mir der Klang zu warm und natürlich. Einen Hinweis finde ich in einem Kommentar zu einem YouTube-Video, dass es sich um eine Marimba handeln könnte, einen weiteren Hinweis auf eine 'pre-programmed marimba' in einem Artikel des San Francisco Chronicle von 1993.
Doch was auch immer nun genau diesen Sound erzeugt, er ist markant genug, um mir nach langer Zeit wieder genau so im Ohr hängenzubleiben wie damals, als ich diese Platte zum ersten Mal hörte. Dazu dann die schräge Gitarre, die treibenden Bläser und Danny Elfmans markanter Gesang, der mehrstimmige Unterstützung erhält und dazwischen die wolfsheulenden Background Vocals - das alles gibt ein sehr eigenes und eigenwilliges Konglomerat. Auch wenn Oingo Boingo im weitesten Sinn durchaus eine Rockband ist, merkt man ihnen doch auch einen anderen Hintergrund an:
Danny Elfman, der alle Lieder dieses Albums textete und komponierte verdient die großen Brötchen und den Braten in den nächsten Jahren wohl eher auf einer anderen Schiene – die Liste seiner Soundtracks seit 1983 liest sich wie das Kinoprogramm der letzten Jahrzehnte: "Batman", "Edward mit den Scherenhänden", "Mission Impossible", diverse "Men in Black" oder auch "Spider-Man 2". Viermal heimst er einen Oscar für die beste Filmmusik ein, diverse andere Awards gesellen sich dazu.
Kurt Weill mit seiner "Dreigroschenoper", den Danny Elfman 1986 in einem Interview mit der Denver Post als wichtigen Einfluss angibt, hätte wahrscheinlich seine helle Freude am "No One Lives Forever"-Chorgesang. Doch das stur und präzise wie ein Uhrwerk hämmernde Schlagzeug nimmt fast schon den sich zig Jahre später verbreitenden Industrialcharakter vorweg. Manche Passagen sind kaum mehr als Klangcollagen, zwischendurch immer wieder das Wolfsgeheul – die ganze Geschichte ist schon reichlich experimentell. Aber ich find' sie irgendwo auch total gut!! (sagte ich das schon?)
Der Titelsong ruft vor meinem geistigen Auge eine Mischung aus Lucky Luke, tanzenden Comic-Skeletten und dopsenden kleinen Strubbelwesen hervor, die durch die Wüste zur besungenen Party strömen. Nein, ich brauch da keine Kräuter oder Pilze für solche Phantasien – so durchgeknallte Musik bringt meine Kreativität ohne weitere Zusätze auf Höchsttouren.
Bevor ich jetzt nochmal auf Play drücke und zur Party in die Gruft der feiernden Toten tänzele, lasse ich es hier mit dem Schreiben lieber mal gut sein.
Hört selbst rein wenn ihr von der Band noch nichts gehört habt (was keine Schande ist, die SIND exotisch).
Line-up:
Danny Elfman (lead vocals, rhythm guitar)
Steve Bartek (lead guitar)
John Avila (bass, vocals)
Mike Bacich (keyboards)
Johnny "Vatos" Hernandez (drums, percussion)
Sam Phipps (tenor saxophone)
Leon Schneiderman (baritone & alto saxophones)
Dale Turner (trumpet, trombone)
Tracklist
01:Just Another Day
02:Dead Man's Party
03:Heard Somebody Cry
04:No One Lives Forever
05:Stay
06:Fool's Paradise
07:Help Me
08:Same Man I Was Before
09:Weird Science
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