Editorial / November 2013



Editorial vom 01.11.2013


Nadja F.
Huch, so schnell kann es gehen, da ist schon wieder November. Die Tage werden kürzer, kälter, stürmischer und wenn man es sich recht überlegt, würde man am liebsten gar keinen Fuß mehr vor die Tür setzen. Doch läuft man am Wochenende abends durch die Stadt, fallen einem eventuell die einen oder anderen jungen Leute auf, die trotz des Wetters draußen verharren. »Können die sich nicht einen anderen Platz suchen?« »Die Armen, die holen sich noch den Kältetod!« »Typisch, immer die asozialen Jugendlichen, die nur auf der Straße rumhocken!« Gedanken wie diese werden viele haben, die einem solchen Trupp über den Weg laufen. Aber warum ist das eigentlich so? Wieso sitzen die da draußen? Ein kleiner Schwank aus meinem 'Wochenend-Alltag'.
Freitag, 19 Uhr. Ich treffe mich mit meinen Leuten am Bahnhof. Wir suchen den Supermarkt unseres Vertrauens auf, jeder kauft sich ein paar Bierchen oder wonach sein Herz auch immer begehrt. Danach zieht es uns an unseren 'Stammplatz', an dem wir uns seit eh und je so ziemlich jeden Freitag aufhalten. Es wird getrunken, Musik gehört, sich unterhalten. Bei jedem Wetter, zu jeder Jahreszeit. Mal mit mehr Leuten, mal mit weniger. Einige kennt man eher flüchtig, andere sind schon fest in den guten Freundeskreis integriert. Plötzlich stolpert eine den Altersdurchschnitt senkende Gruppe Teenies auf uns zu. Wie alt sind die wohl? 12? 13? 14? Älter jedenfalls nicht. »Eeeh, hat wer von euch ma' 'ne Kippe?«, tönt deutlich alkoholisiert das erste 'Kind' der neu dazugestoßenen Gruppe. Alle verneinen. Was wollen die hier? Woher auch immer haben sie plötzlich selbst Zigaretten, schreien rum, werfen Flaschen durch die Gegend, trinken. Um halb elf abends. Falscher Platz für Leute dieser Altersklasse, und vor allem falsche Uhrzeit. Auf einmal ergreift der Trupp die Flucht und wir haben das Ordnungsamt an der Backe, das eigentlich wegen den soeben Verschwundenen gerufen wurde. Natürlich sind sofort wir für die zerbrochenen Flaschen auf dem Boden und den dadurch entstandenen Lärm verantwortlich, ein Beamter spricht uns einen Platzverweis aus. Auf die Frage »Aber wo sollen wir denn hin?«, kommt als Antwort nur:
»Egal, aber Hauptsache hier weg!«
Also ziehen wir weiter, in einen kleinen Park, in dem sämtliche Alkis und Junkies der Stadt rumzulungern scheinen. Die haben allerdings meistens Ruhe vor den netten Herrschaften in den blauen Uniformen. Die bösen Jugendlichen sollten ja viel eher kontrolliert werden. Allmählich wird es ungemütlich, die außer uns anwesende Klientel ist mir mehr als unsympathisch. Um sich noch in irgendeine Kneipe zu verkriechen, haben die Wenigsten das Geld, und haben sie es diese Woche, fehlt es in der nächsten. Irgendwann mache ich mich auf den Weg zurück zum Bahnhof und fahre nach Hause. Der Spaßfaktor bleibt mal wieder aus, den Abend hätte ich genau so gut daheim verbringen können.
Eine Woche später, Freitag, 19 Uhr am Bahnhof... Naja, ihr kennt das Szenario. Und jede Woche bleibt die Frage:
»Wo sollen wir denn hin?«
Als Jugendlicher oder junger Erwachsener bekommst du heutzutage das Gefühl vermittelt, nirgendwo erwünscht zu sein. So wirklich haben will dich keiner in der Stadt, Ordnungshüter haben dich auf dem Kieker und Kneipen sind erstens eine Frage des Geldes und zweitens eine Frage des Alters. Aber warum? Ist es denn so schwer, ein paar Alternativen zu geben? Scheinbar schon. In der ganzen Stadt gibt es nur einen Ort, der Leuten wie uns zumindest ein bisschen Aufmerksamkeit schenkt und gelegentlich Konzerte veranstaltet. Ich verlange ja gar nicht jede Woche ein Konzert, sondern würde auch gerne mit ein paar Freunden zusammensitzen, drinnen im Warmen, vielleicht 'ne Runde Dart oder Tischkicker spielen. Aber nicht einmal der Jugendtreff mit besagten Konzerten kann diese Möglichkeit bieten, da er nur montags bis donnerstags geöffnet hat. Trauriges Bild, werden einige jetzt sagen. Aber wo genau hängt es denn? Geld. Geld, das kein Verantwortlicher investieren möchte.
Andere Stadt, anderer Abend. Dieses Mal dreht es sich um ein Konzert in einem selbstverwalteten Jugendzentrum, kurz JUZ. Es ist Samstag, Bands spielen, Alkohol fließt. Immerhin ist hier ein Großteil der Besucher achtzehn aufwärts, es sind allerdings auch einige Jugendliche anwesend. Nach dem Alter fragt hier niemand, obwohl das Konzert bis tief in die Nacht geht. Nicht, dass ich hier jetzt den großen Moralapostel spielen will, ich zähle ja selbst noch zum jungen Gemüse. Es geht mir darum, dass mit Konzertende alle vor die Tür gesetzt werden. Auch hier spielen weder Jahres- noch Uhrzeit eine Rolle. So kann es passieren, dass Minderjährige plötzlich um drei Uhr nachts durch die Straßen einer Großstadt pilgern, auf dem Weg zum Bahnhof, auf der Suche nach etwas zu essen oder einer Bleibe. Züge fahren erst wieder ab frühestens vier, das Bahnhofsgebäude öffnet sonntags um halb fünf. Dementsprechend bleiben mindestens anderthalb Stunden draußen. Irgendwo. Ohne Schlaf. Mit Obdachlosen, Kriminellen, Schlägern, Drogennehmern. Ich sauge mir das nicht unbegründet aus den Fingern, ich hatte in genau dieser Stadt schon diverse nächtliche Begegnungen, von seltsam bis sehr unangenehm, spreche also quasi aus Erfahrung. Und gerade in einer solchen selbstverwalteten Einrichtung, in der so sehr auf Solidarität und ähnliche Grundwerte gepocht wird, frage ich mich: Warum passiert das so? Und es bleibt ebenfalls wieder die altbekannte Frage: »Wo sollen wir denn hin?« Doch diese Frage wird mir so schnell vermutlich keiner beantworten können, denn außer den Betroffenen scheint es die Wenigsten zu interessieren, am allerwenigsten die, die etwas daran ändern könnten.
Während ich frustriert auf unserer RockTimes-Homepage rumstöbere, sticht mir plötzlich ein Review besonders ins Auge, und zwar das über eine junge Dame, die in ihren Jugendzeiten wohl mit ähnlichen Problemen, allerdings in einem viel heftigeren Ausmaß, zu kämpfen hatte. Louise Distras heißt sie, in ihrem Album Dreams From The Factory Floor verarbeitet sie traumatische Erlebnisse, die sie als Jugendliche auf der Straße gemacht hat.
Außer diesem Review hatte der Oktober aber noch ganz anderes zu bieten, wunderbare Neuentdeckungen wie zum Beispiel Antun Opic als Singer/Songwriter. Nicht ganz so passend zum bunt gemischten und stürmischen Wetter geht der restliche RockTimes-Oktober eher ruhig zu Ende. Ein bisschen Blues Rock mit den neu vorgestellten Scheiben von GT's Boos Band und
Leslie West, ebenso Ten Years After und Eric Clapton. Hierzu gesellt sich in gemütlicher Runde etwas Prog Rock, auch gerne mal in französischer Sprache, wie Nemo demonstrieren, auch gibt es ein paar neue Visionen aus der Realität. Andere tanzen vielleicht lieber auf dem Mond oder prallen ganz wild mit der Kultur aufeinander.
Hmmmm, da bekommt man doch irgendwie Lust auf ein ruhiges Konzert, am besten in einer kleinen, gemütlichen Bar oder so etwas, mit einer ruhigen Band zum Entspannen. Moment mal, da war doch noch was... Ach ja, tatsächlich! Ich gehöre also auch zu den Pflegern der Livekultur im kleinen Rahmen (wenn nicht gerade... s. o.). Na, dann stehen meine Pläne für die nächsten kalten Novemberwochenenden ja schon fest.
Vielleicht lassen sich ja ein paar von euch mitreißen und man trifft sich demnächst auf einem solchen Event mit tollen, unbekannten Bands.
Bis bald und auf Wiederlesen,
Nadja
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