Editorial / Juni 2012



Editorial vom 01.06.2012


Jochen v. Arnim
Liebe RockTimes-Leser,
Ist das nicht ein Traum - man sitzt entspannt im Garten, ein wolkenloser Himmel über einem, ein leichter Wind streicht durch die Äste der Tannen und auf dem Nachbargrundstück spielen Kinder im Pool, ihr freudiges Kreischen dringt allerdings nur am Rande in das Bewusstsein. Perfektes Setting, die Geschehnisse der letzten Wochen im Wonnemonat Mai Revue passieren zu lassen. Es war wieder einmal viel Erfreuliches, aber leider wie üblich auch Betrübliches zu vermelden gewesen. Die Zahl der täglich eintrudelnden Meldungen, die Masse an Neuerscheinungen und der stetig breiter gefächerte Konzertmarkt machen es nicht immer einfach, eine halbwegs ausgewogene und interessante Berichterstattung in Gang zu halten. Die Schnellebigkeit des Internet sorgt dafür, dass Nachrichten von morgens am Abend schon weit nach unten oder auf die zweite Seite gerückt sind, so dass man dadurch gern mal etwas verpasst. Ein Freund, der regelmäßig diverse Newsletter studiert, bekam so erst mit zwei Tagen Verspätung die Todesanzeige von Robin Gibb mit. Man mag nun zu dieser Musik stehen wie man will, die Bee Gees haben sicherlich die Nation ebenso gespalten wie Peter Maffay. Von Dilettanten verächtlich als australischer Kastratenchor beschimpft, haben sie sich doch unstrittig einen Platz in der Geschichte des Rock erarbeitet und generationsübergreifend unzählige Fans gewonnen. Ich bin nie ein Fan gewesen, eher das Gegenteil, werde aber ebenso wenig jemals vergessen, wie "Saturday Night Fever" in die Kinos kam und wir im zarten Teen-Alter da reingelaufen sind.
Auch der zweitgenannte Künstler weckt die unterschiedlichsten Reaktionen in den Menschen. Ich schenke mir die Nennung des wenig erfreulichen Spitznamens, den ihm die Anti-Fraktion mit Anspielung auf seine rumänische Herkunft und ein körperliches Merkmal gegeben hat. Von Maffay bin ich ebenso nie ein Fan geworden, weiß aber um die musikalischen Qualitäten (zumindest die, die er nach seiner Zeit der Auftritte bei Ilja Richters Disco herauspräpariert hat) und seine Fähigkeit, gute Musiker um sich zu scharen. Was ich aber schon immer mit aufrichtiger Hochachtung registriert habe, ist sein Engagement für Kinder, das sich auch und besonders in der
Tabaluga-Stiftung äußert. Da darf sich so manch einer seiner 'großen' Kollegen eine gehörige Scheibe von abschneiden und den Vorteil seiner Popularität zum Wohle Anderer einsetzen.
Möchte ich eigentlich noch mehr in der Vergangenheit herumstochern, sprich den Ereignissen, den Todesanzeigen der letzten vier Wochen zu Gibb, Donna Summer oder 'BamBam' McConnell sowie anderer Kollegen? Im Grunde nicht so richtig. Wir hatten hier schöne Tipps zu Veröffentlichungen von sowohl altgedienten und auch hoffnungsvollen, neuen Musikern, uns sogar dem Rap'n'Roll oder dem HipHop nicht verschlossen. Zudem gibt es ja Leser, die ihre Uhren noch von Hand aufziehen und wohl auch am Grammophon noch die Kurbel drehen müssen ;-). Für diese treuen Zeitgenossen, aber selbstverständlich auch für diejenigen, deren Zeitrechnung nicht zehn Jahre vor dem Mauerfall endete, bringen wir immer mit viel persönlicher Freude etwas zu verschiedenen Genres in der Rubrik der Zeitreise. Leider muss aber ab und zu konstatiert werden, dass so manch einer der alten Recken die Welt vielleicht besser nicht mit seinen Erzeugnissen 'erfreuen' sollte - aber letztendlich bleibt auch das Geschmackssache, zum Glück! Nicht nur bei den CD-Releases hat es Verzichtbares gegeben, auch die Meldungen aus der Szene bergen für meinen persönlichen Geschmack oft Inhalte, die mich eher langweilen. Klaus Hess ist mal wieder (fast) solo unterwegs, W. Axl Rose fällt zum zweitausendsten Male auf die Fresse, die Van Halen-Brüder kloppen sich mal wieder verbal mit David Lee und sagen daraufhin 30 Gigs in Nordamerika ab - oder war's ne Ente? - Bill Ward darf jetzt doch wieder nicht mitspielen und Ron Wood labert erneut unausgegorenes Zeug über sich und seine Kumpels. Blablabla…eigentlich allesamt Beleidigungen für Augen und Ohren, die kaum mehr interessieren als der sprichwörtlich Sack Reis und dennoch werden wir uns auch weiterhin solchen Dingen widmen (müssen) und sie mehr oder weniger gern, mit einem zwinkernden Auge, an den Leser weitergeben.
Erfreulich ist es dagegen, ab und zu mal Besserungsmeldungen auf den Ticker zu bekommen, wie die Genesungsnews zu Jon Lord oder Tony Iommi. Ebenso schön ist es, dass sich an der Live-Front nach wie vor viel tut. Die Festival- und Open Air-Saison ist ein weiteres Mal eingeläutet und wir würden noch einen Haufen mehr Berichte dazu verfassen, wenn, ja wenn die Zeit nicht fehlte. Der Aufwand ist ungleich größer als beim Verfassen einer CD-Rezension und trotzdem werden wir nicht müde, Euch die interessantesten Shows nahezubringen. Naturgemäß treibt es viele Acts immer wieder in unsere Hauptstadt, wo die beiden nimmermüden Redakteure Mike und Holger aber auch NICHTS auslassen - nur in einen bestimmten Laden in Kreuzberg trauen sie sich nicht, dafür muss dann die Vertretung aus Aachen anreisen. ;-) Aber auch in anderen Regionen der Republik gibt es freilich viele Termine, manchmal denke ich, es sind zu viele. Zu viel kann es nie geben, mag man mir nun entgegen halten, aber es muss auch verarbeitbar bleiben. Mittlerweile gibt es doch kaum einen Tag, an dem man nicht im Umkreis von ein paar Kilometern spontan zu einer Show fahren könnte. Früher war das ein Abenteuer, auf das man sich wochen- oder monatelang freuen konnte und zu dem man sich von den Eltern in die alte Sporthalle nach Köln oder die Gruga nach Essen fahren lassen musste. Und wehe, das ging erst nach Feierabend, dann war man ja gar nicht rechtzeitig unter den Ersten am Eingang, um beim Öffnen der Tore den Run auf die erste Reihe mitzumachen.

Noch heute komme ich ungern erst mit Beginn der Show in die Halle, brauche bei der Musik und auch beim Fußball dieses Aufsaugen der Atmosphäre im Vorfeld. Zwar muss ich längst nicht mehr fünf Stunden vor Einlass an der Türe kratzen, aber dieses Gefühl der Vorfreude und der erwartungsvollen Ungewissheit ob der Darbietung in einer sich langsam füllenden Halle ist geblieben. Und so möchte ich statt des - in Teilen trotzdem erfolgten - Rückblicks lieber die Hoffnung auf ein paar tolle Konzerte in der näheren Zukunft zum Ausdruck bringen. Nicht wenige unserer alten Helden gehen ja derzeit mal wieder auf irgendeine Anniversary- oder Farewell- oder Reunion-Tour. Nehmt die Gelegenheit wahr und zieht sie Euch rein, »die Zeit wird nicht ewig sein, in der wir auf Tour gehen oder als Band existieren«, sagte gerade vor wenigen Tagen Status Quo-Mastermind Francis Rossi zu den Plänen einer ebensolchen Reunion-Tournee in Originalbesetzung und hat damit eine bedauerliche Tatsache beim Namen genannt. Nicht nur, dass die Einschläge langsam immer näher kommen (wie wir ja leider bei den Todesanzeigen immer wieder vor Augen geführt bekommen), manch einer verkommt im Alter auch einfach nur zu einer Karikatur seiner selbst. So freue ich mich trotz der grobmotorischen Probleme des Frontmannes auf die in wenigen Tagen anstehenden Shows mit den Gunners. Auch Mötley Crüe und Slash stehen ganz oben auf der Liste, ebenso wie Jon Oliva's Pain, die das komplette Hall Of The Mountain King auf der Setlist haben werden und Crimson Glory, die gleich mehrmals in erreichbarer Nähe auftreten oder das Ersatzkonzert von Eloy, oder das German Kultrock Festival in Balve oder Deep Purple zum einhundertvierundachtzigsten Mal, oder, oder, oder. Und nach dem Sommer fängt ja auch schon wieder die Clubsaison an, mit diesen unzähligen tollen kleinen Konzerten, die oft an Atmosphäre nicht zu überbieten, leider häufig auch an Zuschauerzahlen nicht zu unterbieten sind. Trotzdem will es einfach nicht aufhören und solange es nicht aufhört, werden wir nicht arbeitslos.
In diesem Sinne, rock on!

Jochen
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