Editorial / September 2013



Editorial vom 01.09.2013


Sabine Feickert
Der August ist zu Ende, die Haupturlaubszeit auch, in vielen Bundesländern hat die Schule schon wieder angefangen. Die Koffer sind ausgepackt, die höchsten Erhebungen stellen die Schmutzwäscheberge vor den Waschmaschinen dar. Die Urlaubsfotos werden gesichtet – »ach, da waren wir auch?« Was vor Jahren noch als blöder Witz über (vorwiegend japanische) Touristen kursierte, kehrt in neuer Form zurück. »Auf welchen Konzerten ich war? Moment, ich guck mal schnell auf meinem YouTube-Channel nach...« ...könnt' man zumindest meinen, wenn man sich bei so manchem Konzert im (in halbminütigen Intervallen hell erblitzten) Zuschauerraum umschaut. Ich red jetzt nicht von ein paar Erinnerungsfotos oder mal die Kamera beim Lieblingssong draufgehalten. Nee, ich meine EUCH, die ihr das ganze Konzert nur noch durchs Display von Kamera oder Handy wahrnehmt, die zweibeinigen Stative, die böse Blicke austeilen, wenn es in unmittelbarer Nachbarschaft jemand wagt, sich zur Musik zu bewegen und euch dabei womöglich anzurempeln und das Bild zu verwackeln.
Schon klar, das geht jetzt eigentlich an die falsche Adresse, denn RockTimes-Leser, die sich Zeit für gute Musik nehmen, wissen ja selbst, welch ein Unterschied es ist, ein Konzert mit allen Sinnen zu genießen und dass da keine, auch nicht die mühevoll selbst hergestellte, Konserve mithalten kann. Also ärgern wir uns lieber gemeinsam ein bisschen über diese Banausen und die Auswirkungen dieser Displayabhängigkeit, die oft einhergeht mit der Unfähigkeit, das Blitzlicht abzuschalten. Oder mit der Hoffnung, das kleine Blitzlicht könnte mehr erleuchten als die Glatze des Vordermanns und die Abermilliarden von Staubpartikeln in der nahegelegenen Luft. So wundern wir uns dann auch nicht mehr wirklich, wenn in der Konsequenz immer mehr Veranstalter und Bands das Fotografieren nicht nur pro forma, sondern durch Verbotsschilder und Taschenkontrollen, auch de facto verbieten. In Extremfällen kann das letztlich dazu führen, dass der Fotopass, der auch für unsere Konzertberichte die Grundlage für Bilder darstellt, nur noch sehr restriktiv erteilt wird. Klar,
Diven und Zicken unter den Rockstars gibt es als andere Seite der Medaille natürlich auch...
Und was brachte der August außer Blitzlichtgewitter und Bilderschau noch? Festivals und Open Airs natürlich!! Hier ein paar ausgewählte Highlights: Unsere Berliner Fraktion tummelte sich zwischen heißer Musik und heißen Öfen, während es Joe zu den klimatisierten Summer Specials 2013 - More Than Hits der Go Music Reihe ins Cafe Country nach Kleve zog. Udo liebts deftig und labt sich in Viersen an Eiern mit Speck, derweil Leser Carlo Reßler sich auf dem Bonner Kunst!Rasen beim Fast-Namensvetter Carlos tummelt. Weitere Leserberichte zum
Headbangers Open Air aus Brande Hörnerkirchen (echt jetzt - gibt’s 'nen passenderen Ort für ein Metalfestival!?!) und vom Free And Easy Festival bereichern unseren August genauso wie Bildergalerien unseres RockTimes-Pabstes Uwe von Foreigner in Leipzig, der Zappanale und dem Herzberg Festival, von dem auch unsere jüngste Schreiberin Impressionen mitbrachte.
Während tausende von Metalheads in Wacken weilten, traf sich die RockTimes-Redaktion (alle Jahre wieder) in Lippoldshausen, wo neben redaktionsinternen Themen natürlich auch wieder kräftig über Musik gefachsimpelt wurde. Zum Beispiel von Somebody's Darling, der mit dem
Wrong Object, After The Exhibition des doppelten Gurus und seinen Electric Cats zum Flirtin' With Disaster führt. Schade, dass unser Berliner Mike nicht dabei sein konnte, um persönlich von seinem Interview mit Kai Hawaii zu erzählen.
Auch ein bisschen Klatsch und Tratsch kommt nicht zu kurz. Motörheads Konzertabbruch auf Wacken, (das übrigens Tage nach der diesjährigen Veranstaltung schon »Ausverkauft!!« für 2014 vermeldet) beschert einigen Redakteuren Sorgenfalten um Lemmy Kilmister auf der Stirn. Runzeln auf selbiger ruft eher so eine plumpe Aktion wie die der Saltatio Mortis hervor. Ein Song des neuen Albums wird "Wachstum über alles" betitelt, darin wird – naaaaa, wer errät's? Jawoll, die olle Nationalhymne verwurschtelt, das Ganze in fürrrrchterlich böhsen Deutschrock gewandet und als dann tatsächlich im hintersten Eck von YouTube der ersehnte »seid ihr etwa rechts geworden?« Kommentar auftaucht und in der Diskussion dann auch noch der Quoten-Nazi erscheint, geht der Candystorm los. Bissl arg durchschaubar, Jungs, will nicht lieber noch einer von Euch im Aso-TV heiraten?
Und jetzt nochmal von Kuchenbacken auf ääh Wacken - das mit dem 'W:O:A' mit Kreppband riesengroß auf der Heckscheibe find ich richtig gut, doch ehrlich! So kriegt man schon von Weitem den deutlichen Hinweis (Hilf Deiner Polizei!?!), dass man jetzt VIELLEICHT (!) gleich in einen Pulk restalkoholisierter, übermüdeter und ohrenklingelnder Fahrer in gemieteten Kleintransportern gerät. So kann man doch das planlose Fahrverhalten gleich richtig einordnen, ggf. einfach eine Pause einlegen und sich bei 'nem feinen Raststättenkaffee einen angenehmeren W:O:A-Mitfahrpulk aussuchen. Gibt's ja auch, sind wahrscheinlich sogar in der Überzahl und bräuchten diesen Warnhinweis wahrscheinlich gar nicht. Vielleicht sollten wir uns fürs nächste, zehnjährige Redaktionstreffen auch so einen Warnhinweis überlegen... liebe Mitautofahrer, vor dir fährt jemand, der Musik aus der 'Krabbelkiste' hört, tendenziell überfressen und eventuell noch ein ganz kleines bisschen verkatert ist. Vorschläge für eine standesgemäße Kennzeichnung werden gerne angenommen!
Nur einer macht im heißen August leider keinen Urlaub (oder wenigstens ein bisschen halblang): der Sensenmann sucht neben Jazz-Musiker George Duke, Keyboarder und Gitarrist Allan Lanier und Sängerin Almut Klotz auch Fritz Rau heim. Mehr als nur ein Konzertveranstalter war er, der Mann, der die Großen nach Germany brachte, dabei aber seine Menschlichkeit und die Liebe zur Musik nie verlor. R.I.P. Fritz!
Ich bin mir ziemlich sicher, dass ihm unsere Vorfreude auf die neue Clubsaison und die vielen hochinteressanten Neuerscheinungen gefallen werden. Eins kann ich jetzt schon versprechen – es wird ein musikalischer Altweibersommer werden!
Bis demnächst, bei guter Musik,
Sabine
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