Editorial / April 2014



Editorial vom 01.04.2013


Sabine Feickert
Liebe Leser,
endlich Frühling – und was für einer!! In ganz RockTimes-Land wird es bunt und freundlich, die Sonne lacht am Himmel. Nur in einer kleinen dunklen Ecke sitzen ein paar bekümmerte Wesen und jammern vor sich hin. »Unsere schöne Szene geht flöten...«. Was passiert war? Es gab ein neues Album ihrer Lieblingsband. So weit, so gut. Eigentlich ja ein erfreulicher Anlass. Doch die neue Scheibe war bei einem Majorlabel erschienen. Brachte die Band ins Fernsehen, in die Werbung, gar zur Nominierung für den Echo.
War das vor 30, 40 oder 50 Jahren auch schon so? Ist es ein verklärter Blick, wenn ich vermute, dass damals Freude und Stolz bei den Fans die vorherrschenden Gefühle waren, wenn ihre Helden es ins TV oder die großen Hallen schafften? Oder gab es solche Insiderszenen damals auch schon? Gab es ein Grüppchen Beatles-Fans, die zutiefst traurig darüber waren, dass die Pilzköpfe nicht mehr im Starclub spielten? Wer weiß? Bedauern darüber, dass die Lieblingsband nicht mehr für kleines Geld vor der Haustür auftritt, kann ich mir gut vorstellen. Zu allen Zeiten.
War damals eigentlich auch schon die Angst im Spiel, die Band könne in ein Raster gepresst werden? Wann fing das an, dass die Musik auf den breiten Publikumsgeschmack zugeschnitten wurde? An welchem Punkt der Popularität haben Bands angefangen, sich um des Erfolges Willen zu verbiegen? Wieviel Popularität brauchen Bands schon vor einem Majordeal, um sich in diesem selbst treu bleiben zu können, zu dürfen? Und ab welchem Punkt waren Bands dann mit zunehmendem Erfolg für die Fans der ersten Stunde unten durch? Wirklich immer nur und erst dann, wenn sie sich verbogen haben? Oder vielleicht schon dann, wenn dieses kuschelige Insidergefühl der kleineren Clubs den immer größeren Locations weichen musste? Wenn das Schwätzchen vor oder der Drink nach dem Gig nicht mehr so ohne weiteres möglich war?
Ich weiß nicht, wie es euch so geht – mich zieht es heute nicht mehr in die großen Locations. Ganz egal, wer da vorne auf der Bühne steht. Naja, fast egal, einige ganz wenige Musiker würden mich schon noch reizen, wären da nicht (unter anderem) die Ticketpreise. Bei einigen sollte man mal überlegen, wie viele kleine Konzerte man dafür besuchen kann. Mit Musikern, die wirklich noch brennen... aber jetzt bin ich schon wieder bei der Livekultur... dabei wollte ich doch eigentlich noch was zu Szenen schreiben.
Ich hab lange Zeit sehr viel Musik gehört, die der 'schwarzen Szene' zugerechnet werden kann: Mittelalterrock, Gothic, teils in den Industrial rein. Doch 'szenezugehörig' war ich in dem Sinn nie. Nix schwarze Klamotten oder Gewandung, keine Szeneclubs – mir ging es ausschließlich um die Musik. Manchmal stelle ich mir dann schon die Frage, wie wichtig den hartgesottenen 'Szenegängern' oder eingefleischten Fans die Musik wirklich ist. Oder bricht da vielleicht die Welt zusammen, weil dieses 'Wir-Gefühl' gefühlt auf der Strecke bleibt, wenn es mit mehr Leuten geteilt werden muss? Schock, Enttäuschung, wenn plötzlich Hinz und Kunz die Band kennt, die man schon seit Jahren mit der klammheimlichen Schadenfreude »Ich kenne wen, den ihr nicht kennt...« hört. Ist es im umgekehrten Fall vielleicht auch ein 'Wir-Gefühl', das die Menschen zu den ganz großen Acts treibt, der (manchmal auch Irr-)Glaube, wenn da 5.000 oder 10.000 andere auch hingehen, dann müssen die ja gut sein?
Ganz nüchtern betrachtet muss eine Band und auch ein Einzelmusiker gewisse Verkaufszahlen und eine gewisse Größenordnung erreichen, um von der Musik leben zu können. Damit meine ich jetzt nicht, nebenbei noch Unterricht zu geben oder mit einer Coverband Geld zu verdienen, sondern die eigene Musik; obwohl genau das bei verdammt vielen Musikern die Realität darstellt. Von denen, die nebenher noch im Baumarkt oder sonstwo jobben, gar mit Hartz IV aufstocken müssen, will ich jetzt gar nicht reden... traurige Realität. Und wenn es das Leben dann mal nicht gut meint...jüngstes und vermutlich noch lange nicht letztes Beispiel ist Walter Trout, der dringend eine Spenderleber braucht. Schlimm genug. Noch schlimmer aber, wenn das Ganze dann durch Verdienstausfall und Rehakosten auch noch das finanzielle Aus bedeutet.
Für uns RockTimer ist das immer wieder Antrieb, euch drüber zu erzählen, welche Bands uns besonders gut gefallen, wo es sich lohnt hinzugehen (auch wenn der Name nicht so bekannt ist), welche CDs man unbedingt oder ruhig mal anchecken sollte. Gerne auch mit dem Hintergedanken, dass ihr, liebe Leser, mithelfen könnt, die 'Insider' etwas bekannter zu machen. So haben wir auch im letzten Monat wieder aus den Hallen und Clubs der Republik berichtet.
Leider noch sehr 'Insider', sehr zu unrecht, durften wir Antun Opic live in Franks Bodega erleben und euch versichern, dass er live noch besser rüberkommt als auf seinem DebütalbumNo Offense. Unser Kollege Joe war im blues in Rhede und kehrte diesmal mit der Erkenntnis zurück, dass Cassie Taylor das 'b' in brillant ist. Unser Leser Hans-Jürgen Schmidt ist davon überzeugt, dass der Trend zu den kleinen Festivals mit Herzblut und Wohlfühlgarantie geht und lässt uns an seinen Eindrücken vom Hell Over Hammaburg teilhaben. Wolfgang überzeugte sich in Wilhelmshaven davon, dass Michy Reincke mehr zu bieten hat als nur überlange Albentitel.
Rock Meets Classic lieferte im Tempodrom wohl eine nicht so durchgehend überzeugende Vorstellung in nicht ausverkaufter Halle, wogegen das Kölner Luxor aus allen Nähten platzte, als dort Blackberry Smoke die Southern-Junkies, allen voran den Kollegen Steve, begeisterten. Kaum kleiner war unsere Begeisterung beim nächsten Bodega-Besuch in Großkarlbach bei
Yngve & The Innocent, einer jungen Band aus London, die ich als echten Insider-Tipp handeln würde.
Den Beweis, dass Bilder manchmal mehr als Worte sagen, erbrachte Lutz Müller-Bohlen, der Henrik Freischlader in eben solchen ausdrucksstark einfing. Eingefangen wurde unser Kollege Jürgen in der Bluesgarage von Charme und Können der Layla Zoe; warum er manchmal gerne ihr Gitarrist wäre, könnt ihr in seinem Bericht selbst nachlesen. Zurück nach Berlin, wo in der O²World Status Quo in 'Frantic Four'-Besetzung ein Gastspiel gaben. Wenige Tage später zeigte sich in der Hauptstadt Helene Fischer bei der Echoverleihung von ungewohnt rockiger Seite. Zur Releaseparty von Gun Barrel nach Köln und der Feststellung »So muss eine Release-Party abgehen, genau so und nicht anders.« zog es unseren Jochen, während Joe als überzeugter 'Wiederholungstäter' erneut nach Rhede aufbrach. Last but not least trieb es unsere Berliner... nein, nicht zum Wannsee, sondern nach Seelow zum Blues-Rock-Fest.
Da Ostern vor der Tür steht, wink ich mal mit dem Scheunentor. Falls ihr euren Lieben noch was Musikalisches ins Nest legen wollt, da hatten wir auch letzten Monat wieder ein paar Tipps für euch:Stier, D'Accord, Tim McMillan, Paul Roland, David Crosby, Wyatt Easterling oder The Fleshtones zum Beispiel. Und was ich mir vom Osterhasen wünsche? Dass wenigstens ein paar von unseren 'Insidern' ein bisschen bekannter werden...ihr wisst ja, wie es geht...
Bis demnächst bei guter Musik,
Sabine
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