Liebe RockTimes-Leser,
Kennt Ihr das auch? Ihr geht voller Freude zu einem Konzert und fragt Euch schon auf dem Parkplatz, ob man die Show nicht vielleicht abgesagt hat. Beschwichtigend schiebt Ihr die Vermutung hinterher, dass die meisten Besucher sicherlich nicht alleine in einer dicken Karre, sondern umweltschonend mit dem ÖPNV angereist sind. Leider wird es in der Halle dann direkt Zeit für die nächste Beschwichtigung und Ihr beruhigt Euch damit, dass die wenig bekannte und Eurer Meinung nach vielleicht vom Genre her auch nicht unbedingt so richtig passende Vorgruppe ja am Anfang spielt. Wird schon werden, ist ja noch Zeit. Bei so einem Headliner muss ja noch massig Volk kommen. Das Ende vom Lied ist ein mäßig besuchtes Konzert eines im Grunde ganz tollen Interpreten – Zeit für ein wenig Fremdschämen ob des Fernbleibens anderer Besucher. Selbst Schuld, mag man denken und das Ereignis beiseite wischen. Leider aber bleibt es nicht dabei, denn kaum zwei Wochen später ist es Zeit für ein Déjà-vu und was die Sache besonders schlimm macht, ist die Tatsache, dass ein Dorf weiter gerade eine AC/DC-Coverband (zugegebenermaßen eine gute) spielt und viele Hundert Zuschauer gezogen hat. Woran mag das wohl liegen, fragt Ihr Euch. Ist es die seit Jahren zunehmende Konsummentalität, die dazu führt, dass man eher ein tausendfach gehörtes "Highway To Hell" mitgröhlt (so gut das auch sein mag), als sich vielleicht neuem und unbekanntem Material eines großartigen Musikers auszusetzen? Kennt man nicht, kann man nicht mitsingen, frei nach dem Motto »Wat de Buer nich kennt, dat itt he nich«? Leute, das kann es doch nicht sein.
Da spielen Legenden (als Band zusammen) und trotz der Achtzig-Euro-Tickets sind die Shows binnen Minuten ausverkauft. Kaum aber geht eines der Bandmitglieder solo auf Tour, zieht es gerade mal 30 People in den Club. Klar, man will ja seine sauer verdiente Kohle nicht irgendeiner geschmacklichen Unwägbarkeit in den Rachen werfen und stattdessen lieber auf Altbewährtes zurückgreifen. Klar, die Zeiten sind hart und jeder T€uro wird von vielen Menschen mehrfach umgedreht. Aber macht das denn Sinn, richtig viel Geld für einen Superstar auszugeben und einer recht unpersönlichen, wenngleich auch perfekt inszenierten Show mit dreißigtausend anderen Besuchern beizuwohnen? Für das Geld kann man sich locker fünf bis zehn andere Abende leisten, die am Ende sogar noch eine angenehme musikalische Überraschung bereithalten. Um Missverständnissen vorzubeugen: Auch ich gehe zu Megastars und Legenden, keine Frage, aber ich gebe gern und zunehmend sog. kleineren Bands, Musikern, Clubs oder Veranstaltern die Chance, mich davon zu überzeugen, dass gutes Entertainment (wir sind wieder beim Konsum) nicht zwangsläufig an hohe Eintrittspreise gebunden ist. Da gibt es so unglaublich viele Bands, die sich alle zehn Finger nach Auftrittsmöglichkeiten (natürlich für lau!) lecken und später bei der Show den sprichwörtlichen Arsch abspielen, um 'ihrem' Publikum eine gute Show zu bieten. Habe ich zigfach erlebt und verspüre auch nicht ansatzweise eine Tendenz zur Veränderung. Und dabei spielt es oft noch nicht einmal eine Rolle, ob da ausschließlich No-names in der Band sind oder vielleicht auch das weiter oben angesprochene Mitglied einer tollen Combo. Da spielen Legenden vor gerade mal 50 Mann, wie unlängst bei den Brüdern Appice geschehen - nur ein winzig kleines Beispiel.
Um in diesem Zusammenhang mal einen gedanklichen Exkurs zu vollziehen: Verpasst nicht die Chance, einen oder zwei der die Musikwelt Bereichernden noch einmal zu sehen, egal, wie klein der Club ist oder ob man dafür in irgendein Drecksnest in einer gottverlassenen Region fahren muss. Denkt dran, dass die Einschläge naturbedingt immer näher kommen. Da nützt es dann nichts, sich hinterher zu ärgern, weil man die Gelegenheit, ihn oder sie noch einmal zu sehen, wegen der neuen Staffel von "Der letzte Bulle" oder weil es geregnet hat oder was-weiß-ich verpasst hat. So werden wir leider nie wieder die Möglichkeit bekommen, einen derjenigen zu sehen oder etwas Neues zu hören, die sich im abgelaufenen Monat in den Musik-Olymp verabschieden mussten. Ohne Anspruch auf Vollständigkeit zählen dazu: Rick Huxley, Tony Sheridan, Mindy McCready, Kevin Ayers, Magic Slim, Cleotha Staples und ganz neu auch 'Dangerous' Toler . May you rest in peace!
Umso wertvoller sind daher die weltweit veröffentlichten Genesungswünsche für Jimmy Vaughan, Gary Rossington oder Trevor Bolder in der Hoffnung, sie mögen recht bald wieder in der Lage sein, uns mit ihrer Musik zu erfreuen! Wie armselig sehen dagegen die Meldungen aus, dass Slayer ihrem Drummer den Stiefel gegeben haben, Todd LaTorre jetzt nur bei Queensrÿche und nicht mehr bei Crimson Glory singt oder W. Axl auf einen Teil seiner Kohle verzichten muss?! Das Leben geht weiter und wie viele Bands haben einen Wechsel im Line-up schon (besser) überlebt – kein Grund zum Weinen.
Zumindest wir bei RockTimes müssen uns nicht den Vorwurf machen, die reich besäte Konzertlandschaft zu ignorieren. Dass dabei nicht ausschließlich Namen aus der ersten Reihe vertreten sind, versteht sich von selbst und das macht unser Magazin ja nun mal auch aus. An Live-Berichten im Februar hatten wir u. a. DIE Wishbone Ash ohne Martin Turner, die Savannah Blues Band, Jessy Martens oder auch Jimmy Thackery. Fast schon eine Bank ist übrigens das mit schöner Regelmäßigkeit tolle Künstler bietende Go Music-Event und auch die Metal-Fraktion wird nicht müde, von Assault
zu Attack und weiter zu Raven zu bangen. Dass das natürlich nur die Spitze des Eisbergs ist, wissen die regelmäßigen Leser unserer Meldungen. Schenkt man den Ankündigungen Glauben – und das tue ich – dann werden da noch richtig feine Sachen auf Euch/uns zukommen. Ihr merkt schon, ich mache keinen Hehl daraus, ein Freund guter Live-Unterhaltung zu sein und ich gebe mir redlich Mühe, diese Freude daran auch intensiv auszuleben. Wenn ich mal in einem Jahr weniger als 50 Konzerte auf die Uhr bekomme, dann war das ein schlechtes. Ohne große Anstrengung könnte ich jeden Abend zu zwei bis fünf Shows im Umkreis von vielleicht 100 Kilometern gehen, da müsste ich noch nicht einmal großartig suchen. Ist das vielleicht die selbstgegebene Antwort auf das eingangs angesprochene Phänomen? Dieses inflationäre Aus-dem-Boden-Schießen von Live-Dates? Wie oft habe ich mich schon darüber unterhalten, dass der Terminkalender einfach zu voll ist, dass man gar nicht so viel sehen kann, wie man eigentlich wollte (oder müsste, s. o.). Aber letztendlich ist es doch eine der wenigen noch realistisch existierenden Chancen für Bands, etwas PR für sich zu machen. Zudem geht der Erlös aus dem Verkauf von CDs vor Ort voll in die eigene Tasche. Da hängt kein gerade mal wieder täglich in den Nachrichten für Negativschlagzeilen sorgender Großhändler zwischen, keine Provisionen für sonstige windige Gestalten und das Merch Girl macht das eh für ein T-Shirt. Ich kenne Leute, die fliegen auf eigene Kosten durch halb Europa, um für 'ihre' Band den Verkaufsstand bei einem Festival zu schmeißen.
Ähnlich wie mit den Live-Berichten verhält es sich auch bei den anderen persönlichen Kontakten, die wir zu Musikern pflegen wollen – leider viel seltener, als uns das im Grunde lieb ist. Die Rede ist von Interviews, die noch einmal eine zusätzliche Würze in die Suppe der Auseinandersetzung mit dem Medium Musik bringen. Hier kann man den Bands oder Solointerpreten mal so richtig auf den Zahn fühlen und ein paar interessante Details erfahren. Aber der Aufwand, für jeden zweiten oder dritten Tag ein fertiges Interview parat zu haben, ist ungleich größer als bei ’regulären’ CD-Reviews. So dürfen wir uns im Februar dennoch ein paar feine Exemplare in den Index packen und als wäre es bestellt, trägt eines davon den Titel Wer sich Newcomern verschließt, verpasst was!! Da wir ja ein Haufen ’hoffnungslos Zurückgebliebener’ sind und uns den topaktuellen und weltweit angesagten DSDS-Stars verweigern, macht auch der Titel des kernigen Moderate Pace-Interviews richtig Sinn: Wir sind einfach rundum ’old school’… Sanftere, wenngleich nicht weniger aufregende Töne gibt es dagegen von Joanne Shaw Taylor zu hören, bzw. zu lesen und bei Joon Wolfsberg kommt am Ende sogar richtig deutliche Kritik an der Musiklandschaft durch.
Natürlich ist es für Bands auch von einer immensen Wichtigkeit, ihre Scheiben (die neuen) bei den Magazinen an den Mann zu bringen und gerade die kleineren oder neueren (oder beide) Combos haben es da vergleichsweise schwer. Und natürlich ist auch das ein Anliegen von RockTimes, so sehr wir uns auch intern um die Neue von Judas Priest oder die Limited Edition-Luxusversion von Rumours zoffen, die feinen Sachen aus nicht ganz der ersten, vielleicht sogar der zweiten und manchmal dritten Reihe vorzustellen. Da fallen für den abgelaufenen Monat sofort neue CDs wie 61 And 49 ein oder Just Because oder Katmandon't oder Better The Devil oder Mysterium ein. Ganz zu schweigen von den mehr als tausend anderen Scheiben, die hier jedes Jahr an das Licht der Öffentlichkeit gezogen werden. Ihr seht, es ist uns ernst und wir werden so schnell nicht müde, Euch an unserem Ernst teilhaben zu lassen.
Bis bald mal vor irgendeiner Bühne!
Jochen
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