Editorial / März 2014



Editorial vom 01.03.2014


Andrea Groh
Liebe Leserschaft und Musikfreunde,
Februar 2014. 30 Jahre sind seit dem Februar 1984 vergangen. Doch die Erinnerungen an damals sind noch lebendig.
Im Rückblick sehe ich das als die Zeit an, in der die Metalszene zwar nicht entstand, jedoch als solche wahrgenommen wurde und ins Bewusstsein (der Öffentlichkeit) gelangte. Natürlich sind musikalische Entwicklungen fließende Vorgänge und es lässt sich nicht wirklich festmachen, was ab wann wie war, denn harte Musik und wegweisende Ideen gab es vorher auch schon.
Doch 1984 war es dann soweit: der Axel Springer Verlag brachte ein Heft an die Kioske, das sich dem Metal widmete und nannte es "Metal Hammer". Klar, viele der dort aufgeführten Bands waren schon vorher in Rockmagazinen aufgetaucht und es existierten bereits Fanzines oder Hefte (vorwiegend im Ausland), die sich den metallischen Trends widmeten, doch nun griff dies ein großer deutscher Verlag auf. Gleichzeitig begannen die Plattenläden eigene Registerkarten für Metal zu erstellen. Im Radio entstanden Sondersendungen, z. B. entdeckte ich im HR3 "Hard'n'Heavy" als Special innerhalb des "100 Minuten Rock". Kann sich noch jemand an die erste Sendung erinnern? War das nicht auch ungefähr in diesem Zeitraum?
Metallica veröffentlichten "Ride The Lightning", die ihnen den Durchbruch brachte und von vielen Fans heute noch als ihr bestes Werk angesehen wird. Ein Standard-Werk, das man kennen musste, während heute die Meinungen zu neueren Metallica-Outputs ziemlich auseinander gehen.
Das bringt mich zu dem Gedanken, was heute anders ist als vor 30 Jahren. Die Jubiläumsausgabe des 'Hammers', der ein Reprint der ersten Ausgabe (ich erinnere mich, dass ich die damals hatte…, ein paar andere alte Teile habe ich sogar bis heute aufgehoben) beilag, bestätigt den Eindruck, den ich bereits hatte.
Sprach man in den 70ern vorwiegend von Rock, Blues, Punk, vielleicht noch als Unterteilung Krautrock, Prog Rock und Hard Rock, so war trotz kompositorischen und stilistischen Unterschieden trotzdem alles noch recht nah beieinander empfindungsmäßig.
In den 80ern trennte man nicht nur Metal vom Rock (von Pop, New Wave etc. will ich hier gar nicht erst anfangen…), sondern auch den Metal begann man zu unterteilen: Speed Metal, Thrash Metal, Power Metal, Black Metal usw., etwas später noch Death Metal, Doom Metal - da dürfte ich den meisten ja nichts Neues erzählen. Metal nehme ich hier als Beispiel, weil ich den Eindruck habe, dass es nirgendwo sonst dermaßen extrem wurde mit Begriffen… vielleicht kenne ich mich aber da halt auch am besten aus. In den 90ern kamen weitere Richtungen hinzu und nach der Jahrtausendwende gab es immer mehr Unterunterschubladen… Für Insider werden damit Nuancen innerhalb einer Stilrichtung gekennzeichnet. Nehmen wir als Beispiel mal Death Metal.
Anfang der 90er boomte dieser in Florida, den Niederlanden und vor allem in Schweden. Irgendwann witzelte jemand, es gäbe in letzterem Land so viele Bands wie Elche und der Begriff 'Elchtod' kam auf. Dem wurde der 'Tulpentod' gegenüber gestellt. Warum niemand sich etwas für Florida einfallen ließ, beispielsweise 'Krokodiltod', weiß ich auch nicht. Später entwickelte sich in der Region um Göteborg eine andere, modernere Variante des Death Metals. Kurios wird es, wenn in Foren darüber diskutiert wird, dass die alten schwedischen Bands (also Elchtod) besser sind als Sachen der Göteborger Schule, also quasi neuerschwedisch gegen älterschwedisch… was für Nicht-Metaller wahrscheinlich alles Krach ist…
Noch mehr Untersparten gibt es im vor allem im Doom und Black Metal, was gerade den Bluesern in der Redaktion immer wieder Stirnrunzeln verursacht, ich spare mir das jetzt hier, weil das einfach zu weit führt… und man das Ganze auch nicht zu ernst nehmen sollte.
Mittlerweile kreieren sich viele Bands ihre eigenen Sparten, was ich oft recht amüsant finde und das deswegen auch ganz gerne in die Reviews übernehme. Post Metal bzw. Post Rock ist heutzutage ein gängiger Begriff, über den sich nur wenige wundern (die satirische Frage: »und was ist mit DHL?«, die ich im "Rock Hard" im Review zu Secret Of The Sky gelesen habe, fand ich allerdings klasse), etwas exotischer wird es bei Gaul Black Metal, Zombie Death Metal oder Apokalyptischem Neofolk. Spitzenreiter war jedoch bisher Macrocosmic Caveman Crust Doom, wobei Moss inzwischen 'nur noch' Doom machen…
Abgesehen vom Unterhaltungswert - braucht man das alles denn? Damit komme ich wieder zurück in die 80er. Schlug man damals ein Musikheft auf, war die Zahl der Reviews übersichtlich. Nahm man ca. 4 bis 5 weitere hinzu, deckte sich oft die Bandauswahl und zählte man alle Namen zusammen betrug die Summe einen Bruchteil von dem was man heute in vergleichbaren Heften (oder in der Kombi aus ein paar Heften und Online-Zines) findet. Ich möchte sogar behaupten, dass heute oft in EINEM Magazin mehr stehen als damals insgesamt. Dafür ist der Anteil von dem, was überall vorkommt (vorkommen muss, weil wichtig) deutlich geringer. Tatsächlich ist niemand mehr in der Lage, bei der Veröffentlichungsflut den Überblick zu behalten. Da kann es von Vorteil sein, durch Schubladen, etwas vorzusortieren. Aber wie in den Schränken ist es auch in der Musik: Rock ist nicht gleich Rock, Hose nicht gleich Hose und Hemd nicht gleich Hemd. Ob es gefällt ist wiederum eine andere Sache, nämlich abhängig vom Geschmack, manchmal auch von der gebotenen Qualität - aber wenn ich einen Rock suche, gehe ich eben an jenes Fach.
Um dort innerhalb einen Überblick über die Vor- und Nachteile einzelner Exemplare zu erhalten, können Reviews hilfreich sein, wobei das natürlich alles relativ zu sehen ist, denn es kann natürlich sein, dass ein Redakteur rot gut findet, aber ein Leser eher auf blau steht. So sind die Aussagen, die wir RockTimer (und ebenfalls alle Kollegen, ob Online oder Print) tätigen auf gewisse Weise subjektiv, trotz stellenweiser Bemühungen um objektive Kriterien. Dies gilt für den Februar 2014 genau wie für viele Jahre zuvor… und hoffentlich noch einige Jahre in der Zukunft. Und zwar in vielen Stilrichtungen und Unterkaterorien, aktuell darunter ein paar Tipps wie Don't Wait Down,
Break These Chains, Backyard Band, Illumination, Reincarnation On Stage,
Where The Wild Oceans End, Precious Metal, Other World, Over, The Cadillac Three oder Boo Hoo Hoo.
Wobei es auch Entdeckungen und Hörerlebnisse gibt, bei denen die Grafik nicht gesetzt wurde, derjenige sie vielleicht später doch setzen würde, unabhängig vom VÖ-Termin. Interessanter Gedanke, den Sabine hatte… oder ein anderer wurde das Gehörte höher einstufen, die Bewertungen sind lediglich Momentaufnahmen und - wie bereits geschrieben - relativ.
Die Flut der Veröffentlichungen wird nicht abreißen, unzählige neue Scheiben alter und neuer Bands sind angekündigt. Irgendwie will jeder noch etwas auf den Markt werfen und ein wenig verdienen, bevor die Fans alle pleite sind, so hat es den Anschein.
Ich hatte die Hoffnung, dieses Editorial mit dem Hinweis auf Übersättigung, Konkurrenzdruck und dem Jammern über sinkende Verkaufszahlen zu beenden (je mehr von dem Kuchen abhaben wollen, desto kleiner werden nun mal die Stücke…).
Bis zum 17.02. sah es auch fast danach aus. Doch der 18.2. brachte zwei Todesmeldungen deutscher Musiker, die beide schon einige Jahrzehnte aktiv waren: Zum einen Kralle Krawinkel, bekannt durch Trio, doch nicht nur da als Gitarrist aktiv. Zum anderen Birth Control-Schlagzeuger Bernd 'Nossi' Noske, was wohl nicht nur unseren Ulli erschüttert hat. Beide Musiker waren fast im gleichen Alter (66 bzw. 67 Jahre) und erlagen Krankheiten. Ihre Bedeutung und ihre Musik werden unvergessen bleiben. Das ist leider auch ein Zeichen der fortschreitenden Zeit, die alten Helden (und manchmal auch junge) treten irgendwann ab - daher sollten wir dankbar sein für die Zeit, die wir mit ihnen und ihren Kompositionen hatten und uns freuen, dass wir auf so viele Jahre Rock/Metal etc. zurückblicken können und dennoch immer wieder Neues dazukommt - dabei ist die Auswahl breiter gefächert denn je.
In diesem Sinne…
Andrea
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